Berlin | Die Behörden haben bundesweit mehrere Wohnungen mutmaßlicher Mitglieder und Mitläufer des Hackerkollektivs Anonymous durchsucht. Ermittelt wird gegen insgesamt 106 Beschuldigte wegen Teilnahme an einer Attacke auf Server der deutschen Musikrechteverwertung Gema, wie der Sprecher der federführenden Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main, Alexander Badle, am Mittwochabend der Nachrichtenagentur dapd bestätigte.

Bei den Razzien am Dienstag und Mittwoch seien unter anderem Computer, externe Festplatten, Karten-Lesegeräte und Mobiltelefone beschlagnahmt worden, schreibt die Nachrichtenseite „Spiegel Online“. Der Schwerpunkt der Aktion habe mit 33 Fällen in Nordrhein-Westfalen gelegen, 18 seien es in Baden-Württemberg gewesen, 15 in Berlin und zehn in Hessen.

Die Fälle der nicht in Hessen ansässigen Beschuldigten seien von der örtlichen Polizei übernommen worden, sagte Badle. Die Ermittlungen führe zentral das Bundeskriminalamt (BKA). Ergebnisse lägen noch nicht vor, die Auswertung dauere an.

Gema im Fadenkreuz der Hacker

Ein Gema-Sprecher sagte „Welt Online“: „Die Gema steht häufiger im Fadenkreuz von Hackerangriffen, das sind wir schon gewohnt. Doch im Dezember gab es einige Angriffe, die zu massiven Einschränkungen für Kunden und Mitarbeiter der Gema geführt haben.“ Die Gesellschaft hatte daraufhin die IP-Adressen der Angreifer gesammelt und den Ermittlungsbehörden übergeben.

Der Aufruf zu der Attacke auf den Server sei zwar auf der Webseite von Anonymous veröffentlicht worden, sagte Badle. Ob die Verdächtigen Mitglieder oder Sympathisanten von Anonymous sind oder einfach nur von dem dort veröffentlichten Aufruf angestachelt wurden, könne jedoch nicht gesagt werden, betonte er.

Laut „Spiegel Online“ erfolgte die Attacke im Dezember vergangenen Jahres. Die Seite der Gema sei aber ständig erreichbar gewesen. Sie habe lediglich verlangsamt. Wer die Datenverarbeitung anderer erheblich stört, dem können nach Strafgesetzbuch, Paragraf 303, eine mehrjährige Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe drohen.

Anonymous diskutiert nach Hausdurchsuchungen über „Amateure“

Die Hausdurchsuchungen bei mutmaßlichen Anhängern der Anonymous-Bewegung haben Diskussionen innerhalb des Internetkollektivs nach sich gezogen. Dabei gaben einige Kommentatoren den Betroffenen selbst die Schuld. Sie hätten ihre digitale Spur bei dem mutmaßlichen Angriff auf die Gema-Seite nicht ausreichend verwischt. „Sind das Amateure, die hier die Attacken ausüben, oder was war da los?“, fragte am Mittwoch ein Nutzer auf einer Facebook-Seite von Anhängern der Bewegung.

Aktivisten nutzen häufig Internetverbindungen über mehrere Knotenpunkte, damit sie bei illegalen Aktionen nicht nachverfolgt werden können. Doch nicht alle kennen offenbar diese Tricks. „Deswegen mach ich auch bei solchen Angriffen gar nicht erst mit, weil ich nicht genau weiß, wie ich mich perfekt schütze“, schrieb ein anderer Nutzer. Im konkreten Fall heißt es jedoch, einige der angeblichen Angreifer hätten möglicherweise unwissentlich bei der Aktion mitgemacht. Sie hätten durch einen Klick auf eine Webseite eine automatische Attacke ausgelöst, berichtete „Spiegel Online“.

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Hintergrund: Das Hacker-Kollektiv Anonymous

Anonymous entstand im Kampf gegen Scientology. 2008 begannen die Aktivisten damit, in aller Welt vor den Dependancen von Scientology für Redefreiheit zu demonstrieren. Noch heute postieren sich Aktivisten von Anonymous demonstrativ neben Scientology-Ständen in Fußgängerzonen. Die Aktivisten sind an ihren weißen sogenannten Guy-Fawkes-Masken zu erkennen, die für Anonymität sorgen.

Inzwischen kämpft Anonymous auch für ein freies Internet, die Akzeptanz von Homosexualität und gegen Rechtsextreme. Die Hacker streiten zudem für den Schutz von Daten im Internet, indem sie auf Sicherheitslücken aufmerksam machen. Mit diesem Ziel erklären sie nicht zuletzt ihre umstrittenen „Leaks“ („Enthüllungen“), bei denen sie vertrauliche Informationen und Dokumente abgreifen und frei ins Internet stellen. Anonymous ist letztlich ein loser Verbund von Hackern. Sie planen ihre Aktionen unter anderem über sogenannte IRC-Chats und verteilen ihre Kommandos zudem über soziale Netzwerke wie Twitter. Im Prinzip kann sich jeder zu Anonymous zugehörig fühlen und Aktionen starten.

Neben dem Eindringen in die Datenbanken legen die Aktivisten von Anonymous Internetseiten auch zeitweise lahm – etwa indem sie Seiten so oft aufrufen, bis diese unter der Last zusammenbrechen. Dabei helfen Programme, die teils auf Rechner Unbeteiligter geschmuggelt werden. Immer mehr Aktionen sorgen zudem für Streit unter Aktivisten.

Autor: Johann Tischewski und Gerhard Kneier, dapd