Dortmund | Sie gilt als sozialer Brennpunkt: Die Arbeitslosigkeit in der Dortmunder Nordstadt ist hoch, Armut, Drogen und Gewalt sind verbreitet – genauso wie Vorurteile gegen ihre Bewohner. Wer nicht aus der Nordstadt kommt, meidet den Bezirk meist lieber. Nicht so das Dortmunder Theater. Mit einem neuen Projekt will das Haus seine Besucher mitten hinein führen in das Leben des Stadtteils.

„Wir wollen die Vielfalt der Menschen hier unmittelbar erfahrbar machen“, erläutert Jörg Lukas Matthaei die Idee hinter dem Konzept für „Crashtest Nordstadt – Mach mein Spiel“. Er selbst ist der Regisseur der Inszenierung – oder vielleicht besser: der Spielleiter. Denn mit einem klassischen Theaterstück hat das Projekt ebenso wenig zu tun wie die Nordstadt mit einem heimeligen Theatersaal. Vielmehr ist es eine Art Schnitzeljagd oder interaktiver Spieleparcours durch den Bezirk.

„Wir schicken die Leute auf einen Trip in wahrscheinlich unbekannte Welten“, sagt Matthaei. Vor dem Start werden die Besucher in Aktien verwandelt und müssen ihren Wert im Laufe der Inszenierung immer wieder beweisen. An etwa zwei Dutzend Stationen warten Nordstädtler auf sie, um sie zu prüfen. Doch nicht jeder Besucher läuft auch jede Station an. „Es ist wie im richtigen Leben: Wenn ich mich für einen Weg entscheide, verpasse ich etwas anderes“, sagt Matthaei und schmunzelt.

Etwa 50 Akteure aus dem Viertel machen mit. So wie Adolf. Der 79-jährige gehört zu den Verkäufern der Obdachlosenzeitung „Bodo“ der ersten Stunde. Nachdem er seine Arbeit verloren hatte, rutschte er ab, trank, stand plötzlich ohne Wohnung da. Inzwischen hat er sich jedoch gefangen, ist trocken, raucht auch nicht mehr. „Und das alles ohne Entzugstherapie“, wie er stolz berichtet.

Dann ist da Metin, der die Besucher in seine Wohnung lässt – eine heruntergekommene Unterkunft, an der das Wasser in den Wänden sitzt. Oder die Prostituierte, die von ihrer Arbeit wegkommen will. „Man weiß nie, ob die Geschichten, die man hört, wahr oder ausgedacht sind“, sagt Dramaturg Michael Eickhoff. Etwas Wahres sei jedoch immer dran. Und das, was sie sagten, sei den Akteuren nicht vorgegeben worden wie im normalen Theater. „Die Menschen haben ihre Geschichten mitgebracht“, erläutert Eickhoff.

Theater will größere Zielgruppe erreichen

Von den Akteuren habe bislang kaum einer mit dem Theater zu tun gehabt, weder als Schauspieler noch als Besucher, sagt Matthaei. Doch genau das ist Teil des Konzepts. „Wir wollen Theater machen, das für alle interessant ist, nicht nur für die fünf Prozent, die eh ins Theater gehen“, erläutert Eickhoff.

Zeynep jedenfalls ist begeistert. Die Augen der kleinen Frau, die unter dem Kopftuch hervorlugen, strahlen. „Das macht riesig Spaß“, sagt die Nordstädtlerin und schiebt hinterher: „Ich habe durch das Projekt viele Orte kennengelernt, die ich nicht kannte, obwohl ich 20 Jahre hier lebe.“

Auch am Theater selbst sind sie zufrieden mit dem Projekt. „Bei uns ist eine Liebe gewachsen zur Nordstadt“, sagt Pressesprecherin Djamak Homayoun. Für den Herbst ist daher bereits ein Nachfolgeprojekt geplant. Doch erst einmal feiert „Crashtest Nordstadt“ am Freitag Premiere. Die Karten sind bereits ausverkauft, für die neun weiteren Vorstellungen, die es bis Ende Juni gibt, sind jedoch noch welche erhältlich.

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„Crashtest Nordstadt“

Premiere feiert die Inszenierung am Freitag (15. Juni), danach sind bis zum 29. Juni neun weitere Vorstellungen geplant. Beginn ist jeweils um 18.30 Uhr.

Start und Zielpunkt ist bei gutem Wetter der Nordmarkt, bei schlechtem Wetter die ehemalige Neuapostolische Kirche an der Braunschweiger Str. 31 – 33 in Dortmund.

Die Reise durch die Nordstadt dauert etwa zweieinhalb Stunden.

Empfohlen werden bequeme Schuhe, wetterfeste Kleidung und ein Handy.

Tickets kosten zehn Euro, ermäßigt sechs Euro. Sie sind erhältlich beim Theater Dortmund unter der Ticket-Hotline 0231 / 50-27 222

Autor: Tonia Haag, dapd | Foto: Sascha Schuermann/dapd
Foto:         Theaterstueck „Crashtest Nordstadt“Dortmund (dapd)Darsteller spielen in Dortmund bei einer Probe eine Szene des Theaterstuecks „Crashtest Nordstadt – Mach mein Spiel“. Sie gilt als sozialer Brennpunkt: Die Arbeitslosigkeit in der Dortmunder Nordstadt ist hoch, Armut, Drogen und Gewalt verbreitet – genauso wie Vorurteile gegen ihre Bewohner. Wer nicht aus der Nordstadt kommt, meidet den Bezirk meist lieber. Nicht so das Dortmunder Theater. Mit einem neuen Projekt will das Haus seine Besucher mitten hinein fuehren in das Leben des Stadtteils.