Berlin | aktualisiert | Im Zusammenhang mit der Zwangslandung einer Ryanair-Maschine in Minsk hat Deutschland den weißrussischen Botschafter für Montagabend ins Auswärtige Amt einbestellt. Staatssekretär Miguel Berger werde das Gespräch führen, teilte Außenminister Heiko Maas mit. „Zugleich werden die Staats- und Regierungschefs der EU beim heutigen informellen Europäischen Rat über Konsequenzen beraten.“ Der CDU-Politiker Norbert Röttgen fordert eine Sperrung des Flugverkehrs über Belarus. FDP-Chef Lindner forderte Sanktionen. Der Linken-Politiker Gregor Gysi wirft Weißrussland „Akt staatlicher Luftpiraterie“ vor. Der Satiriker Jan Bömmermann ruft zur Freilassung von Roman Protasevich auf und die USA fordern eine internationale Untersuchung des Vorfalls

Eine Übersicht zu den Reaktionen zur Festnahme des Regimekritikers Roman Protasevich in Belarus.

Dieser Übergriff könne nicht folgenlos bleiben. Die bisherigen Erklärungen der weißrussischen Regierung für die erzwungene Landung seien „abwegig und nicht glaubwürdig“, so Maas. „Wir brauchen Klarheit, was sich gestern wirklich an Bord und am Boden zugetragen hat.“

Röttgen für Sperrung des Flugverkehrs über Weißrussland

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen hat nach der erzwungenen Landung eines Passagierflugzeugs in Minsk eine Sperrung von Flügen über weißrussischem Staatsgebiet gefordert. „Die Internationale Zivilluftfahrtorganisation muss unverzüglich eine Untersuchung des Vorfalls einleiten“, sagte Röttgen der „Welt“ (Dienstagsausgabe). Bis zum Bericht muss Weißrussland als Mitglied suspendiert werden.

„Der Flugverkehr über Belarus sollte gesperrt, und Flüge von und nach Belarus sollten ausgesetzt werden.“ Er sehe „eindeutig eine neue Dimension im brutalen Kampf des diktatorischen Regimes Lukaschenko gegen das eigene Volk“, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag weiter. Man habe am Sonntag „Staatsterrorismus und Staatspiraterie erlebt, die sich auch gegen Zivilisten anderer Nationen und die zivile Luftfahrt richtet“.

Damit gefährde die Gewalt Lukaschenkos erstmals direkt die Sicherheit in Europa, sagte der CDU-Außenpolitiker. Die Forderungen der Europäer an das „Regime des Diktators Lukaschenko“ müssten eindeutig sein: „Dazu zählt die Freilassung von Roman Protasevich und aller anderen politischen Gefangenen. Die Europäische Union und die USA sollten nun endlich konsequent gegen den gesamten Machtapparat Lukaschenkos unter Einschluss der Staatsunternehmen Sanktionen verhängen.“

Die Reaktion müsse „so hart ausfallen, dass er nicht im entferntesten daran denkt, diesen Vorgang zu wiederholen“. Es gehe auch darum, mögliche Nachahmer abzuschrecken.

Lindner verlangt Wirtschaftssanktionen gegen Lukaschenko

FDP-Chef Christian Lindner hat eine strafrechtliche Verfolgung der Personen gefordert, die für die erzwungene Landung der Passagiermaschine in Weißrussland verantwortlich sind. „Die faktische Entführung eines Flugzeugs auf einem EU-internen Flug ist ein krimineller Akt“, sagte Lindner den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Dienstagsausgaben). „Es ist Zeit für internationale Haftbefehle.“

Er rief auch zu Wirtschaftssanktionen gegen den weißrussischen Machthaber Alexander Lukaschenko auf. „Mit Appellen kommt man diesem Diktator nicht bei, deshalb muss seine Finanzierungsbasis getroffen werden“, sagte er. „Die Staatsunternehmen in Belarus, auf denen seine Herrschaft materiell aufbaut, müssen auf die Sanktionsliste.“

Der Forderung nach einem Überflugverbot des Luftraums über Weißrussland schloss sich Lindner an. Zugleich verlangte der FDP-Vorsitzende, den festgenommenen Journalisten Roman Protasevich und alle Oppositionellen umgehend freizulassen. „Wir dürfen nicht zur Tagesordnung übergehen.“

Gysi wirft Weißrussland „Akt staatlicher Luftpiraterie“ vor

Der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Gregor Gysi, hat die erzwungene Zwangslandung eines Ryanair-Fluges in Minsk und die anschließende Festnahme des Oppositionsaktivisten Roman Protasevich als einen „Akt staatlicher Luftpiraterie“ verurteilt. In der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ erinnerte Gysi zugleich an umstrittene Aktionen der USA und Russlands. Nach seinen Worten kann es deshalb nur eine Antwort geben: „Die internationale Staatengemeinschaft muss kollektiv aus dem Kreislauf der mal geduldeten und mal angeklagten Völkerrechtsbrüche ausbrechen. Der Weg dorthin kann nur politischer Dialog sein – auch mit Minsk und vor allem mit Moskau.“ In der Geschichte habe letztlich keine Repression einem Machthaber dabei geholfen, dauerhaft die Überwindung seiner Macht zu verhindern. Das müsse auch Alexander Lukaschenko in Weißrussland begreifen.

Gysi erinnerte zudem daran, „wie die USA das Flugzeug des bolivianischen Präsidenten Evo Morales 2013 zur Landung in Wien zwangen, weil Washington fälschlicherweise hoffte, dort den Whistleblower Edward Snowden zu finden und festnehmen zu lassen“. Auch dadurch sei der Völkerrechtsbruch „scheinbar zu einer Bagatelle“ verkommen. So gebe es keine moralische Instanz mehr, die das Völkerrecht wirksam verteidigen könne.

„Wer gestern selbst das Völkerrecht gebrochen hat, kann heute nicht glaubhaft einen anderen anklagen, der ebenfalls das Völkerrecht bricht. Dasselbe gilt für das Kosovo und die Krim.“

USA fordern nach Zwangslandung in Minsk internationale Untersuchung

Nachdem Weißrussland eine Ryanair-Maschine auf dem Flug von Griechenland nach Litauen zur Landung gezwungen hat, fordern die USA eine internationale Untersuchung. Diese „schockierende Tat des Lukaschenko-Regimes“ habe das Leben von mehr als 120 Passagieren gefährdet, einschließlich US-Bürgern, sagte US-Außenminister Antony Blinken. Die USA koordinierten ihre Reaktion eng mit der EU sowie litauischen und griechischen Behörden.

Angesichts der Anzeichen, dass die Notlandung offenbar auf Täuschungen beruhte, unterstütze man eine frühestmögliche Sitzung des Rates der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) zu dem Vorfall, so Blinken weiter. Der am Sonntagmorgen in Athen gestartete Ryanair-Flug FR4978 nach Vilnius war über weißrussischem Territorium kurz vor Erreichen der Grenze zu Litauen gegen 11:45 Uhr nach Minsk umgeleitet worden und dort gegen 12:20 Uhr gelandet. Der Regimekritiker Roman Protasevich, der sich an Bord befand, wurde nach der Zwangslandung festgenommen.

SPD-Chef Walter-Borjans fordert Wirtschaftssanktionen gegen Belarus

Nach der erzwungenen Landung einer Ryanair-Maschine in Minsk fordert SPD-Chef Norbert Walter-Borjans die EU zu Wirtschaftssanktionen auf. „Die EU muss schnell und spürbar reagieren“, sagte Walter-Borjans dem „Spiegel“. „Neben raschen und empfindlichen wirtschaftlichen Sanktionen muss die EU jetzt prüfen, ob Überflug- und Landerechte belarussischer Maschinen solange zu untersagen sind, wie die entführten Personen nicht sicher und unversehrt in ihren Zielländern der EU sind“, so Walter-Borjans.

„Es wäre wichtig, dass die EU-Staats- und Regierungschefs heute Abend ein starkes Signal dieser Art an Lukaschenko senden.“ Die Behörden in Belarus hatten am Sonntag die Linienmaschine auf dem Weg von Athen nach Vilnius zum Stopp in Minsk gedrängt. Dort nahmen sie den Oppositionellen Roman Protasewitsch und dessen Begleitung, die sich beide an Bord befunden hatten, fest.

Die Regierung von Alexander Lukaschenko rechtfertigt das Manöver mit einer angeblichen Bombendrohung gegen das Flugzeug. „Belarus hat bei dem Flug innerhalb der Europäischen Union unmittelbar in deren Luftverkehr eingegriffen – und das mit einer Entführung von Passagieren, die durch nichts zu rechtfertigen und zu entschuldigen ist – selbst wenn es eine Bombendrohung gegeben hätte“, sagte Walter-Borjans dazu.

Autor: Andi Goral
Foto: Der Screenshot von Flightradar 24 zeigt den Weg des Fluges über dem Gebiet von Belarus. https://www.flightradar24.com/data/flights/fr4978#27cce9a2