Berlin | Die Einmischung des Bundesjustizministeriums von Minister Heiko Maas (SPD) in die Ermittlungen des Generalbundesanwalts gegen Journalisten wegen Landesverrats beschäftigt nun auch die Berliner Staatsanwaltschaft. Die Politik fordert restlose Aufklärung und mehr Unabhängigkeit der Justiz. Kanzlerin Merkel stärkt Heiko Maas den Rücken.

„Wir prüfen den Anfangsverdacht einer Strafvereitelung im Amt“, sagte Behördensprecher Martin Steltner dem „Tagesspiegel“ (Donnerstagausgabe). Der Staatsanwaltschaft lägen mehrere Anzeigen vor, die sich gegen Mitarbeiter des Ministeriums richten.

Der Verein der Bundesrichter und Bundesanwälte am Bundesgerichtshof (BGH) hatte zuvor kritisiert, es gäbe „Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Behinderung der Ermittlungen des Generalbundesanwalts“.

Sprecherin: Merkel unterstützt Entlassung von Generalbundesanwalt

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) unterstützt nach Angaben einer Sprecherin die Entlassung von Generalbundesanwalt Harald Range durch Justizminister Heiko Maas (SPD). Der Minister genieße die „volle Unterstützung der Kanzlerin in dieser Frage“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz am Mittwoch in Berlin. Die Geschäftsordnung der Bundesregierung sehe vor, dass für derartige Personalentscheidungen die Kanzlerin gefragt werde, so Wirtz.

Merkel habe keine Einwände geäußert. Maas hatte Range am Dienstagabend in den Ruhestand versetzt. Kurz zuvor hatte dieser dem Minister noch einen „unerträglichen Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz“ vorgeworfen.

Künast fordert „komplette Aufklärung“ der Landesverrats-Affäre

Nach der Entlassung von Generalbundesanwalt Harald Range hat die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Renate Künast (Grüne), weitere Aufklärung vom Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, gefordert: „Der Generalbundesanwalt ist entlassen, aber es ist kein Problem gelöst oder geklärt. Ich will eine komplette Aufklärung, angefangen bei Maaßen und seiner Strafanzeige“, sagte Künast dem „Handelsblatt“. Zudem müssten die Maßnahmen, die Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) gegenüber Maaßen und Range ergriffen hätten, auch dem Parlament vorgelegt werden.

Auch der Grünen-Innenpolitiker Volker Beck betonte, dass die Sache mit Range als „Bauernopfer“ nicht erledigt sei. „Die Minister Maas und de Maizière sind dabei nicht aus dem Schneider“, sagte Beck dem „Handelsblatt“. „Sie und der Verfassungsschutzpräsident müssen dem Bundestag nun Einblick in alle relevanten Unterlagen geben, damit wir diesen Landesverrat-Skandal und den inakzeptablen Angriff auf die Pressefreiheit aufklären können.“

Außerdem, so Beck, müsse das Verfahren gegen Netzpolitik.org endlich eingestellt werden. Beck wandte sich zugleich gegen die Forderung aus der SPD, als Konsequenz aus der Affäre den Straftatbestand des Landesverrates um eine Schutzklausel für Journalisten zu erweitern. „Dass die SPD mit Aktionismus und neuen Vorschlägen von den eigenen Verstrickungen in diesen Skandal ablenken möchte, ist offensichtlich“, sagte Beck.

„Guten Vorschlägen werden wir uns sicherlich nicht verschließen“, fügte der Grünen-Politiker hinzu. Allerdings habe die SPD bislang innenpolitisch viel gefordert und nichts gegen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) durchgesetzt.

SPD-Politiker attackiert Verfassungsschutzpräsident Maaßen

Der Obmann der SPD im NSA-Untersuchungsausschuss, Christian Flisek, hat in der Affäre um die Ermittlungen gegen das Internetportal netzpolitik.org schwere Vorwürfe gegen Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen erhoben. Maaßen werde sich im NSA-Untersuchungsausschuss kritischen Fragen stellen müssen. „Es liegt der Verdacht nahe, dass Herr Maaßen mit seiner Strafanzeige gegen Netzpolitik.org eine Art Abschreckungspolitik gegenüber seinen eigenen Leuten einleiten wollte“, sagte Flisek dem „Handelsblatt“.

Das Durchstechen sensibler Dokumente finde ja vor allem in Behörden und Ministerien statt. Möglich sei zudem, dass Maaßen mit seinem Vorgehen gegen die Blogger auch von eigenen Fehlern habe ablenken wollen. „Denn: Wenn die Wikileaks-Enthüllungen zutreffen, dann hat seine Spionageabwehr völlig versagt.“

Der Forderung der Linken nach einer Entlassung Maaßens wollte sich Flisek jedoch nicht anschließen: „Zum jetzigen Zeitpunkt sehe ich keine Veranlassung, weitere personelle Konsequenzen zu fordern“, sagte der SPD-Politiker. Flisek zeigte sich jedoch offen dafür, als Konsequenz aus der Affäre den Straftatbestand des Landesverrats um eine Schutzklausel für Journalisten zu erweitern. Der SPD-Politiker sprach von einem interessanten Vorschlag.

„Der Straftatbestand des Landesverrats darf kein Mittel sein, um investigative Journalisten einzuschüchtern“, sagte er. „Wir haben ein großes Interesse daran, dass Journalisten ihre Arbeit machen können.“ Dass sie sich dabei aber nicht im rechtsfreien Raum bewegten, liege auf der Hand.

Leutheusser-Schnarrenberger fordert mehr Unabhängigkeit der Justiz

Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) fordert unter dem Eindruck der Entlassung von Generalbundesanwalt Harald Range mehr Unabhängigkeit der Justiz von der Politik. Bereits in einem 2009 einstimmig angenommenen Bericht für den Europarat habe sie empfohlen, „die Unabhängigkeit der jeweiligen Generalstaatsanwälte zu stärken und sie möglichst frei zu machen von Weisungen, die letztlich immer sehr schnell politisch interpretiert werden“, sagte Leutheusser-Schnarrenberger im Interview der „Welt“. Das dienstrechtlich mögliche Weisungsrecht des Ministers in Einzelverfahren halte sie „grundsätzlich für sehr bedenklich“.

Leutheusser-Schnarrenberger kritisiert im konkreten Fall den Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, der durch Anzeigen die inzwischen ruhenden Ermittlungen gegen Journalisten erst ausgelöst hatte. „Hier ist vom Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz der Vorwurf des Landesverrats ersatzweise herbeigezogen worden, um das Ermittlungsverbot gegen Journalisten bei der Verletzung von Dienstgeheimnissen zu umgehen“, sagte Leutheusser-Schnarrenberger. Sie äußerte aber Verständnis für das Problem der Sicherheitsdienste, dass in Zeiten des Internets zunehmend geheime Papiere veröffentlicht würden.

Die FDP-Politikerin fordert eine grundsätzliche Debatte. „Wir sollten wissenschaftlich fundiert über die Frage diskutieren: Was heißt Verrat von Staatsgeheimnissen in Zeiten der Digitalisierung? Also zum Beispiel durch sogenanntes Whistleblowing, durch geleakte Papiere, durch Informationen, die erst durch die Digitalisierung in die Öffentlichkeit gebracht werden können“, so die ehemalige Justizministerin.

Autor: dts