Köln | Vier Tage zeitgenössischer Tanz, das bietet das tanz.tausch-Festival zum sechsten Mal in Köln. Am gestrigen Abend startete das Festival mit dem Pre-Opening in der Tanzfaktur an der Siegburger Straße mit „Tea/t for Two“ von „Two – Commedia Futura, Hannover“ und der Geschichte zweier Butoh-Tänzerinnen vor ausverkauftem Haus. Minako Seki und Yumiko Yoshioka fesselten das Publikum mit ihren wilden, unberechenbaren, stillen Tänzen und skurrilen Bewegungen. Getanzte Radikalität, Revolution, Rebellion und mit sich abwechselnder Brutalität und Zärtlichkeit. Das Publikum goutierte die Performance zeitgenössischen Tanzes mit Begeisterungsstürmen.

Ein kalter frostiger Winterabend in Köln. Das Industriegebiet an der Siegburger Straße zeigt sich wenig charmant, sondern eher in der Rohheit moderner Lebens- und Arbeitswelten. Eiskaltes Neonlicht eines Discounters, der Parkplatz spärlich besetzt, im Deutzer Hafen flackert Blaulicht. Den Eingang zur Tanzfaktur muss man suchen. Er führt über eine ehemalige Verladerampe in das gestaltete Foyer einer Halle mit viel Fenstern. Das Licht schummrig, die Tische aus Europaletten gefertigt, das Publikum drängt sich um die Eingangstür zum Bühnenraum. Echte kreative Atmosphäre innen.

Als die Stahltür sich öffnet, wird ein klassischer Theaterraum – extrem reduziert – sichtbar. Weißer Boden, schwarze Wände an einem riesigen Tisch sitzen bereits zwei Akteurinnen sich gegenüber. Jede hat eine Tasse vor sich, im Hintergrund zeigt eine Videoinstallation in Schwarz-Weiß zwei Menschen, überlebensgroß. OK, klar, der Titel lautet „Tea/t for Two“, das Eingangsbild wie ein Plakat für die Veranstaltung inszeniert, aber wir sind ja jetzt schon da. An einer Wand hängen Rettungsringe, ein Mikrofonständer mit Mikrofon steht links in der Ecke und zwei runde Gegenstände seitlich in der Mitte der Performancefläche.

Wild und ungestüm

Der Tanz beginnt wild und ungestüm. Es ist ein Kampf, die Tänzerinnen schreien sich an, es geht brutal zur Sache. Der Butoh-Tanz gilt als Ventil, in dem Träume und Emotionen ausgedrückt werden dürfen, die im Alltag keinen Platz finden. In der Kargheit der Bühne verschmelzen die Körper der Tänzerinnen in ihren dunkelblauen Tanzkleidern zu einem und einer sich daraus ergebenden Bewegung oder bilden schon in der ersten Sequenz hunderte von Einzelbildern, die nicht nur die menschliche Beziehung der beiden zueinander widerspiegeln, sondern wie einzelne perfekt in der Form gesetzte Zeichnungen von in Relation bestehenden Figurenkompositionen entstehen und sich in der Rhythmik der nächsten Bewegung auflösen. Harmonie folgt auf Disharmonie oder alternierend greift Harmonie in Harmonie. Dazu teils monotone Töne, die brutal den Kampf untermalen. Im Ohr entsteht manchmal das Gefühl brechende Knochen zu hören. Minako Seki und Yumiko Yoshioka tanzen dies in absoluter Perfektion und ihre Variationstiefe ist enorm. Buchhalter würden sich fragen, wie merken die beiden Tänzerinnen sich eigentlich diese Vielzahl von Schritten und Formen, die Aktenordner füllen würden.

Minako Seki und Yumiko Yoshioka tanzen nicht nur mit den dafür im Körper vorgesehenen Gliedmaßen. Sie vermitteln: alles tanzt, kann tanzen und wird zu Bewegung, Rhythmik und Tanz. Augen, Ohren, Haare, Finger nichts bleibt außen vor. Und so lenkt ihr Butoh-Tanz den Betrachter geschickt vom Großen ins Kleine. Der Zuschauer ist voll und ganz in der Hand der Tänzerinnen. Dazu kommt die Stimme, Worte, Wortfetzen und das vielsprachig. Denn auch das Wort kann tanzen. Japanisch, englisch und deutsch. Dabei wird Skurrilität nicht ausgeschlossen, sie ist erwünscht, in der Bewegung, in den Worten, in der Erzählung. „I´am eating your heart“ oder „Don´t count on me“ klingt genauso barsch und brutal, wie wenn eine der Tänzerinnen die andere an den langen schwarzen Haaren über die Bühne zieht. Die Wahrheit tut weh und Menschen sind nicht nur süß oder nett, sondern auch brutal. 70 Minuten Tanz, Inspiration und Emotionen pur, getanzt auf Weltklasse-Niveau erlebten die Besucher von „Tea/t for Two“ und zeigten sich mit langanhaltendem Applaus erkenntlich.

Wiedervereint

Die Idee und künstlerische Leitung stammt von Minako Seki, Yumiko Yoshioka und Wolfgang Piontek. „Tea/t for Two“ ist die Geschichte zweier junger Butoh-Tänzerinnen, die sich durch Zufall 1987 in Berlin kennenlernen und die bis Mitte der 1990er Jahre im „Tatoeba – Théatre Dans Grotesque“ zusammenarbeiteten und die anschließend ihre eigenen künstlerischen Wege verfolgten. Piontek brachte sie im Projekt „Two – Commedia Futura, Hannover“ nach 20 Jahren wieder zusammen. In dem Stück reflektieren sie ihre persönlichen Erinnerungen und die Begegnung zweier Kulturen: Der europäischen und der japanischen Kultur. Die Festivalmacher von tanz.tausch um Mechthild Tellmann ergänzen einen Aspekt, der dieses Projekt auszeichnet. Die Tänzerinnen sind 55 und 63 Jahre alt. Das merkt man ihnen nicht an und das Stück über zwei Tänzerinnen in fortgeschrittenem Alter trifft andere Aussagen und Qualitäten als das von Jüngeren. Im Begleittext heißt es; „Es geht nicht um höher, weiter, schneller, sondern größtmögliche Präsenz und Intensität, die Wiederentdeckung der Langsamkeit in der Auseinandersetzung mit existenziellen Themen“.

Größer hätte der Kontrast nicht sein können: Wer auf der Laderampe und im banalen Gewerbehof wieder in der Realität ankam und durch dessen Kopf noch die Bilder, Töne und Emotionen rauschten, dem wurde noch einmal mehr bewusst, wie zwei besondere Menschen mit ihrer Kunst Gedanken und Gefühle sensibilisieren und inspirieren können.

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Das Festival tanz.tausch

tanz.tausch findet zum sechsten Mal statt. Kompagnien und Künstler aus NRW treffen auf ihre Kollegen aus anderen Bundesländern und sich mit dem Publikum auszutauschen. So gab es gestern Abend auch eine Einführungsveranstaltung und nach der Aufführung eine Diskussionsrunde. Das Festival läuft vom 12. bis 16. Dezember. Alle Termine und Beschreibungen des Programms finden sich hier: www.tanztausch.de

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Zur Tanzfaktur

Seit vier Spielzeiten hat die Tanzfaktur ihre Spielstätte in der Siegburger Straße. Auf 2000 Quadratmetern befinden sich fünf Studios und eine Probebühne. Rund 60 Veranstaltungen zum zeitgenössischen Tanz finden hier im Jahr statt. Slava Gepner, der künstlerischen Leiter, erkennt viel Handlungs- und Arbeitsbedarf für den zeitgenössischen Tanz in Köln. Vor allem durch kontinuierliche Arbeit ein Publikum aufzubauen. Und er sieht viel Potenzial, auch für die Außendarstellung Kölns. Allerdings müssten hier Bund, Land und Stadt bessere Förderinstrumente schaffen, so sein Appell an die Politik.

Autor: Andi Goral
Foto: Minako Seki und Yumiko Yoshioka bei der Aufführung von „Tea/t for Two“ in der Kölner Tanzfaktur