Köln | aktualisiert | Im Prozess um das im Dezember 2012 an den Folgen massiver Gewalteinwirkung verstorbenen Lea-Sofie ist der Angeklagte Patrick L. wegen Totschlags zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Die ebenfalls angeklagte Mutter des verstorbenen Mädchens, Franziska M., wurde zu sieben Jahren Jugendstrafe wegen Totschlags durch Unterlassung verurteilt.

Richterin Ulrike Grave-Herkenrath folgte mit ihrem Urteil nicht dem Strafmaß der Staatsanwaltschaft, die eine lebenslange Haftstrafe für Patrick L. gefordert hatte. Während der über zweieinhalbstündigen Urteilsverkündung mit anschließender Begründung durch Richterin Grave-Herkenrath kam es zu tumultartigen Szenen. Zwei jüngere Männer hatten eine Plastikabsperrung im Gerichtssaal durchbrochen und wurden daraufhin aus dem Saal abgeführt. Da dabei eine Plexiglas-Scheibe zu Bruch ging, werden sich die beiden wahrscheinlich noch wegen Sachbeschädigung zu verantworten haben.

Das Urteil war nur wenige Sekunden verkündet und zwei Männer, darunter der Ex-Freund von Franziska M., 20, kletterten über eine mehr als zwei Meter hohe Plexiglas-Trennwand, die den Zuschauerbereich im Sitzungssaal 210 von Gericht und Angeklagten trennt. Ein Freund begleitet ihn. Richterin Ulrike Grave-Herkenrath und ihre Beisitzer schauen geschockt auf die Vorgänge. Wachtmeister der Justiz sichern die beiden jungen Männer, die dann immer wieder rufen „ich mache nichts“. Als der Ex Freund herausgeführt wird, ruft er dem 23-jährigen Patrik L. zu „Du Bastard, Dich krieg ich noch Du Hurensohn, für Dich ist das noch lange nicht vorbei“. Der sitzt ruhig und blass auf der Anklagebank, nur wenige Meter weiter die Angeklagte. Patrick L. nimmt keinen Blickkontakt mit Franziska M. auf, die mit dem Rücken zu den Pressevertretern und dem Publikum sitzt.

Sehr ausführlich, über zwei Stunden lang erläutert Richterin Ulrike Grave-Herkenrath, das Urteil der Kammer und spricht von einem besonderen Verfahren, aber auch einem Verfahren das in besonders negativer Weise heraussteche. Minutiös schildert die Richterin die Vorgänge am 17. Dezember 2012, davor und danach und erläutert warum die Kammer nicht der Staatsanwaltschaft gefolgt sei und Anzeichen für niedrige Beweggründe sehe und damit lebenslange Haft für Patrick L. gerechtfertigt wäre. Der Angeklagte sei an diesem Tag mit der Situation überfordert gewesen. Alleine mit Lea-Sophie, die nach seiner Aussage eine dreiviertel Stunde geschrien habe, dazu alkoholisiert und mit schweren Problemen belastet, keine Arbeit, Stress mit Franziska M., seiner Ex-Freundin und finanziellen Problemen habe der Angeklagte glaubhaft durch sein Geständnis machen können, dass er die Nerven verloren habe und sich nicht mehr unter Kontrolle hatte. Fünf Mal hatte er Lea-Sophie mit Wucht ins Gesicht geschlagen, zweimal sei das Kind auf den Boden mit dem Gesicht aufgeschlagen, habe er es an den Haaren nach oben gezogen und wieder ins Gesicht geschlagen. L. hatte dem Gericht erklärt, dass seine Hand schneller war, als sein Verstand. Das Geständnis des Angeklagten sei glaubhaft gewesen, weil es sich auch aus Täterwissen speiste, so die Vorsitzende der Kammer.

Den Aussagen von Franziska M. schenkte das Gericht, durch ihr „Mauern“, wie die Richterin die Verweigerung eines Geständnisses nannte, weniger Glauben und zeichnete ein Psychogramm der Mutter von Lea-Sophie, als einer jungen Frau, die sich in schwierigen Situationen „wegbeame“ und einfach die Realitiät ausblende. So hatte die Mutter unterschiedliche Versionen über das Auffinden des schwer verletzten Kindes am Montag, nach der Attacke von L. beschrieben. Die Mutter habe erkennen müssen, dass ihre Tochter schwerst verletzt war, denn Lea-Sophie zeigte deutliche Zeichen eines Hirntraumas, lag im Koma, war schlapp wie eine Puppe und hatte sich aus Nase und Mund erbrochen. Auch die Aussagen von Franziska M., das Lea Sophie in den nächsten Tagen Salamibrote gegessen habe, herumgelaufen und geredet habe, ergaben die Ermittlungen nicht. Die Obduktion ergab, dass das Mädchen kaum gegessen hatte und keine Flüssigkeit zu sich genommen habe. Zudem waren durch die Schläge zwei Zähne verdreht und fast herausgeschlagen. Franziska M., hatte zudem behauptet schon am Montag den Zahnstatus des Kindes kontrolliert und nichts Auffälliges festgestellt zu haben. Die Mutter habe ein nicht krankhaftes dissoziatives Verhalten, so ein Gutachter, wie etwa der ausgewertete SMS Verkehr bewiesen habe. Während ihre Tochter im Nebenzimmer mit dem Tod rang, flüchtete sie in eine andere Welt und machte Pläne für die Zukunft. Das der Angeklagte L. sie daran gehindert habe, Hilfe zu holen, konnte die Kammer nicht feststellen. Denn L. war etwa mehr als den halben Mittwoch nach der Tat gar nicht in der Wohnung, wo die Mutter Zeit gehabt hätte den Arzt zu rufen. Besonders tragisch ist, dass Lea-Sophie, wie der Gutachter feststellte, bei sofortiger Behandlung gerettet und darüber hinaus sogar wahrscheinlich wieder komplett gesund geworden wäre. Die Richterin erläuterte auch, dass wenn Patrick L. sofort den Rettungsdienst verständigt hätte, er sich nur wegen Körperverletzung verantworten hätte müssen.

Die Vorsitzende Richterin spricht bei Franziska M. von einer Reifeverzögerung, die die Anwendung des Jugendstrafrechts rechtfertige. Ihre Brüche im Leben, auch in der Jugend, die schwierige persönliche Situation, die fehlende berufliche Orientierung, eine abgebrochene Schwangerschaft und die Suche nach einer eigenen Familie haben, führte das Gericht als Begründung an. Das fehlende Geständnis und vor allem das Nachtatverhalten, die falschen Verdächtigungen, dazu die Schwere der Schuld sprächen für das Urteil von sieben Jahren. Für die Angeklagte sei unter geregelten Rahmenbedingungen das Strafmaß auch Chance sich beruflich zu qualifizieren und zu einer tragfähigen Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Bei so schweren Straftaten so die Richterin trete der Erziehungsgedanke des Jugendstrafrechts in den Hintergrund.

Im Fall von Patrik L. sprach die Vorsitzende der Kammer eine besonders deutliche Sprache in Richtung der Staatsanwaltschaft. Nur weil man Mord nicht erkennen könne, könne man nicht über die gesetzlichen Regeln zum besonders schweren Fall des Totschlages die lebenslängliche Strafe fordern und den Mordgedanken durch die Hintertür einführen. Die Tat am Montag zeichne sich nicht, und nur die könne Patrick L. zur Last gelegt werden, durch besondere Grausamkeit oder mehrere Opfer aus, wie sie das Gesetz für den besonders schweren Fall von Totschlag vorsehe. L. habe etwa keine Freude an Misshandlung empfunden. Es habe sich auch nicht um eine Straftat im Affekt gehandelt, da zuvor schon eine Konfliktlage zwischen den Partnern und dem Kind bestand. Strafverschärfend haben sich die Misshandlungen von Lea-Sophie im Vorfeld der Tat durch den Angeklagten und die Dauer der Schmerzen die das Kind erdulden musste. Für den Angeklagten spreche sein Geständnis, aber er sei auch uneingeschränkt schuldfähig. Zwar habe er viel Alkohol getrunken, aber dieser Konsum habe noch nicht zu Persönlichkeitsverformungen geführt. Auch eine verminderte Schuldfähigkeit am Tattag durch den Alkoholgenuss im Vorfeld der Tat sei nicht anzunehmen, da der Verurteilte L. die Tat in der richtigen Reihenfolge durchgeführt habe.

Den Angeklagten gab die Richterin mit auf den Weg in der Zeit ihrer Inhaftierung einen Weg zu finden ihre Schuld aufzuarbeiten. Die Rolle der Polizei, gerade in den ersten Stunden, als die beiden jetzt Verurteilten noch als Zeugen vernommen wurden, sei nicht zu beanstanden und zu kritisieren, da zunächst das Wohl des Kindes vor der Ermittlung der Täter im Fokus stand. Zu klären, warum im November 2012 ein Brief der Polizei nicht das Jugendamt erreicht habe, sei nicht Aufgabe des Gerichtes gewesen. Aber auch die Einschaltung des Jugendamtes hätte die Tat nicht verhindert, so die Überzeugung der Kammer, da es sich bei der Tat um eine einmalige zugespitzte Situation gehandelt habe. Richterin Ulrike Grave-Herkenrath verurteilte deutlich dass Lynchjustiz oder die Forderung nach der Todesstrafe in Foren unter dem Deckmantel der freien Meinungsäußerung gefordert wurden. Wer sich außerhalb der Gesetze stelle und Drohung in Richtung der Angeklagten aussende, mache sich strafbar, auch wenn die Kammer nachvollziehen könne, dass der Fall Emotionen freigesetzt habe.

Autor: Andi Goral
Foto: Symbolfoto