Bonn | Es sind Szenen eines Straßenkampfes: Im Sekundentakt werfen Salafisten Steine, Flaschen und Blumenkübel auf Polizisten. Plötzlich tänzelt einer der Islamisten zwischen den Beamten umher und sticht mit einem Messer zu. „Ich dachte, hier geht es vielleicht um Leben und Tod“, sagt die damals schwer verletzte Polizistin am Mittwoch vor dem Landgericht Bonn. Auf der Anklagebank sitzt der geständige Salafist Murat K., der keine Reue zeigt. Er sieht seine Gewalttaten durch die Lehre des Islam gedeckt.

Die dramatischen Szenen stammen vom Mai dieses Jahres, als der NRW-Landtagswahlkampf gerade auf Hochtouren ist. Mit provokanten Mohammed-Karikaturen macht die rechtsextreme Splitterpartei Pro NRW Stimmung gegen den Islam. Den radikalen Salafisten sind die Aktionen ein Dorn im Auge. Zuerst greifen sie in Solingen zur Gewalt, wenige Tage später heißt der Schauplatz Bonn – direkt vor der saudi-arabischen König-Fahd-Akademie.

„Gelehrte sagen, wer den Propheten Mohammed beleidige, verdiene den Tod“, sagt der 26-jährige Deutsch-Türke Murat K.. Polizisten hätten die umstrittene Aktion geschützt. „Sie haben sich in die Sache verwickelt“, argumentiert der junge Mann aus Hessen. Die Gewalt hält er deshalb für gerechtfertigt. Der Islam habe ihn zu seinem Handeln verpflichtet. „Ich fürchte mich nicht vor einer Strafe, einer Abschiebung“, sagt er vollkommen regungslos.

Viele Schlägereien

Mehrere Videos dokumentieren die Messerangriffe vor fünf Monaten. Ein Redner schreit über einen Lautsprecher, dass die Karikaturen soeben hochgehalten wurden. Daraufhin umschließt Murat K. sein 22 Zentimeter langes Messer mit einer Faust und rammt die Klinge in die Oberschenkel von zwei Polizisten, bei einem dritten trifft er ins Leere.

Ein 35-jähriger Polizist trägt eine 16 Zentimeter lange und bis zu vier Zentimeter tiefe Schnittwunde davon. Das Blut läuft ihm das Bein herunter, tropft auf die Straße. Bei seiner jüngeren Kollegin ist der Stich zwar nicht ganz so lang, aber beide Schwerverletzten müssen operiert werden. Selbst als der Redner zur Ruhe aufruft, wirft der im hessischen Eschwege geborene Murat K. weiter Steine. „Ich war unter Strom“, sagt er. Die betroffenen Polizisten sagen, sie hätten so eine Gewalt wie bei der Kundgebung in Bonn noch nicht erlebt.

Wie konnte es soweit kommen? Schon als Schüler gerät Murat K. auf die schiefe Bahn. Zwar schafft er noch den Hauptschulabschluss und hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Eine Ausbildung jedoch bricht er ab. Er spielt Fußball, steckt in einer Partyszene, macht Breakdance und hin und wieder Kampfsport. „Wir haben viele Schlägereien gehabt und viele nicht gute Sachen gemacht“, sagt er. „Alkohol wurde mir gegeben, ich durfte in Diskotheken gehen und durfte rauchen.“

Weite Hosen statt enger Jeans

Sein Leben ist bereits aus den Fugen geraten, als er sich in die islamische Lehre vertieft. Er habe, so sagt er, über den Sinn des Lebens nachgedacht – „Gott sei Dank“. Er hört Vorträge von Predigern im Internet, liest viel über die Religion. Der Vorsitzende Richter Klaus Reinhoff sagt: „Es fiel den Menschen auf, dass Sie plötzlich anders aussahen.“ Der junge Murat tauscht enge Jeans gegen weite Hosen. Er trägt jetzt einen langen Bart und ein schwarzes Kopftuch.

Die Jobs wirft er alle der Reihe nach hin. „Das ging nicht, weil jeder einen anderen Lebensstil hatte“, sagt er. Ihm habe es nicht gefallen, wie Kollegen über Frauen gesprochen haben. „Sie wurden nur als Lustobjekt gesehen.“

Das vergangene Jahr ist er arbeitslos, will wieder zu seinen Eltern ziehen und dann in die Türkei ausreisen. „Das Problem ist, dass der Westen den Islam nicht toleriert“, sagt der junge Muslim. Er habe sich von der Gesellschaft distanziert.

Autor: Fabian Wahl, dapd | Foto: Hermann J. Knippertz/dapd
Foto: Der wegen gefährlicher Koerperverletzung, Landfriedensbruch und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte angeklagte deutsch-türkische Salafist Murat K. (r.)  im Landgericht in Bonn neben seinem Anwalt Johannes Pausch.