Köln | 2014 jährt sich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum 100. Mal. Wie auch in anderen Städten zogen auch in Köln junge Männer unter Hurra-Schreien in einen Krieg. Doch gab es innerhalb der Kölner Stadtgesellschaft durchaus auch kritische Stimmen gegen eine kriegerische Auseinandersetzung. Im Gespräch mit report-k.de-Redakteur Daniel Deininger zu seinem Doppelband „Vom mühsamen Weg zur Einheit“ beschreibt Witich Roßmann, erster Bevollmächtigter der Kölner IG Metall,  eine starke Antikriegsstimmung innerhalb der Arbeiterbewegung im Sommer 1914.

Wie in anderen deutschen Großstädten versammelten sich auch in Köln am 28. Juli 1914, genau einen Monat nach dem Attentat von Sarajevo, die Arbeiterschaft zu einer Antikriegskundgebung im und vor dem Volkshaus, unweit der heutigen Severinsbrücke gelegen.  Rund 10.000 Menschen bekundeten an diesem Tag ihren Friedenswillen.

Zwischen Protest und Patriotismus

Indes befanden sich die Institutionen der Arbeiterbewegung, die Gewerkschaften und allen voran die Sozialdemokraten in einem Dilemma: Einerseits lehnte man die Kriegstreiberei und ein drohendes massenhaftes Sterben auf dem Schlachtfeld entschieden ab, andererseits wollte man kein Vaterlandsverräter sein.  Hinzu kam die Angst, im Falle eines Sieges des zaristischen Russlands die Privilegien zu verlieren, die sich die Sozialdemokratie in den 20 Jahren bis dato erkämpft hatte.  Diese Angst wurde nicht zuletzt geschürt durch Reichskanzler Bethmann Hollweg, dem es gelungen war, das russische Zarenreich als Angreifer dastehen zu lassen.  So kam es, dass am nur wenige Tage später, die SPD-Fraktion im Reichstag nach einer internen Abstimmung, am 4. August 1914 einheitlich für die Aufnahme von Kriegsanleihen stimmte.

So lasse sich die Haltung der organisierten Kölner Arbeiterbewegung zusammenfassen mit: „Wir kämpfen mit, verlangen aber auch die Durchsetzung unserer demokratischen Forderungen“, so Roßmann.  Bereits drei Monate nach Kriegsbeginn, im Herbst 1914 habe keine politische Auseinandersetzung mit dem Krieg mehr stattgefunden. Die Gewerkschaften hätten sich vielmehr mit den sozialen Nöten, die der Krieg unmittelbar mit sich brachte, ausgesetzt gesehen und versucht, auf diese zu reagieren. Besonders in den ersten Kriegsmonaten sei die Zahl der Arbeitslosen in der Metallindustrie rapide angestiegen. Vor allem Fabriken, die bis Kriegsausbruch Konsumgüter hergestellt hatten, stellten nun ihre Produktion auf Kriegsgüter um. In dieser Umbauphase entließen sie massenhaft ihre Lohnarbeiter. Kündigungsschutz bzw. feste Kündigungsfristen gab es damals noch nicht.

Die Arbeiter wurden meist von einem Tag auf den anderen oder zum Wochenende hin entlassen.  Wie die Deutsche Metallarbeiterzeitung im Oktober 1914 berichtet, hatten sich alleine im Monat August über 32.000 Arbeitssuchende bei der neu eingerichteten Kriegsarbeiterzentrale gemeldet. Innerhalb des DMV war die Zahl der gemeldeten Arbeitslosen von 135 bei Ausbruch des Krieges auf 411 am 12. September. Um diese und deren Angehörige mussten sich die Gewerkschaften nun vorrangig kümmern. Im Oktober zeigte sich der Umschwung, die Metallindustrie hatte sich fast komplett auf Kriegsarbeit umgestellt. Produziert wurden  Waggons, Feldbahnen, Schlitten, Protzkasten, Fahrräder, Stacheldraht, Minen, Granaten oder auch Zünder.

Damit einher gingen, so berichtet es Roßmanns Quelle, Überstunden- und Nachtschichtarbeit, jedoch strichen die Betriebe gleichzeitig die erst 1912 erstrittenen Schichtzulagen für diese Arbeit gänzlich zusammen, was sich angesichts ihrer prekären Situation das Gros der Arbeiter gefallen habe lassen.  Roßmanns Quellen sprechen von 85 bis 90 Stunden Wochenarbeitszeit in vielen Betrieben.

1916: Betriebsräte treten in Konkurrenz zu Gewerkschaftsführern

Auch im Folgejahr 1915 fand  vonseiten der organisierten Arbeitervertretungen kein politischer Diskurs um den Krieg mehr statt. Das sollte sich gegen Mitte des Jahres 1916 ändern. Mehr und mehr bildeten sich aus den Reihen der Arbeiter in den Fabriken direkt gewählte Betriebsräte als Opposition zu den offiziellen Gewerkschaftsführern.  Grund dafür war die zunehmende Verelendung der Arbeiterschaft bei vorschreitendem Kriegsverlauf. Es mehrten sich Tendenzen, sich gegen die kriegsbedingten Teuerungen und die zunehmende Lebensmittelknappheit mit breiter Front vorgehen zu wollen. Noch nicht direkt formuliert, jedoch in zunehmendem Maße thematisiert wurden dabei auch eine Antikriegshaltung und eine Abkehr von der Politik.

Diese Bestrebungen hin zu groß angelegten Streiks wurden jedoch von den offiziellen Gewerkschaftsführern lange versucht zu unterdrücken. Man beschränkte sich seitens der Gewerkschaften auf eine stärker werdende Kritik an den wachsenden sozialen Ungerechtigkeiten, doch an einer Kritik an der politischen Führung oder an  groß angelegten Arbeitsniederlegungen  wollte man sich nicht beteiligen, auch aus Angst , sich danach dem Vorwurf des Defätismus ausgesetzt zu sehen.

Köln geht eigene Wege

Noch im Juni 1917, kurz vor einem Streik von rund 10.000 rechtrheinischen Metallarbeiter am 6. Juli 1917, stieß bei einer Generalversammlung des DMV in den „Fränkischen Höfen“ in Köln der damalige erste Bevollmächtigte der Kölner Metaller, August Haas, in einer Rede noch stark patriotische Töne an. Die drei Kölner Gewerkschaftsführer hatten sich am 4. Juli 1917 noch darauf verständigt, offiziell eine Warnung vor Massenstreiks auszugeben.  Den Massenstreik am 6. Juli 1917, an dem sich 12.000 Arbeiter beteiligten, bezeichnete die SPD als „spontane Aktionen“. Gewerkschaften als auch Politik versuchten dadurch, sich vor Repressalien seitens der Regierung zu schützen.

Nun war man seitens der Arbeiter an einen Punkt angelangt, an dem man zwar weiterhin das Vaterland verteidigen gewollt habe, so Roßmann, sich jedoch davor verwehrte, kühne Expansionsziele der Regierung mitzutragen.Ab diesem Zeitpunkt war man seitens der Arbeiterschaft in direkte Verhandlungen mit der Stadtregierung getreten. Die gewählten Betriebsräte verhandelten eigenständig mit der Obrigkeit. Diese wiederum erkannte, dass man zumindest in eingeschränktem Maße Zugeständnisse an die Arbeiterschaft machen musste, um den Frieden in der Stadt zu wahren.  Gleichzeitig habe man diese in das politische Geschehen und in wirtschaftliche Entscheidungen mit eingebunden – die Geburtsstunde einer Praxis, die drei Jahrzehnte später nach Ende des zweiten Weltkriegs in der jungen Bundesrepublik Anwendung finden und als der „Rheinische Kapitalismus“ bekannt werden sollte, so Roßmann.

Damals wie später federführend daran beteiligt: Konrad Adenauer, 1917 erstmals zum Kölner Oberbürgermeister gewählt.  Damit beschritt man in Köln einen völlig anderen Weg wie etwa zeitgleich in Berlin, was Roßmanns Quellen belegen. So fand am 1. Februar 1918 eine Diskussion des Kölner Regierungspräsidenten mit streikenden Metallarbeitern statt, zu der dieser alleine – ohne jegliches Schutzpersonal – in ein Brauhaus in Dünwald gekommen war. So berichtet es die „Rheinische Zeitung“. Er konnte die Streikenden vom Abbruch des Streiks überzeugen und vermied dadurch ein Blutvergießen. In demselben Zeitungsbericht findet sich ein Hinweis darauf, das Adenauer als Oberbürgermeister  mit den Streikenden verhandle, anstatt sie wie in Berlin „wie Staatsverbrecher zu behandeln, zu denen man alle Beziehungen abbricht“. Adenauers Bestrebung sei es gewesen, tragbare Kompromisse zu finden, so Roßmann, und nicht wie in Berlin, auf Protestierende schießen zu lassen.

Autor: Daniel Deininger
Foto: Belegschaft mit Rüstungsarbeiterinnen im ersten Weltkrieg, vermutlich im Mülheimer Carlswerk (Quelle: Wittich Roßmann, „Vom mühsamen Weg zur Einheit. Band1“)