Köln | Oberbürgermeisterin Henriette Reker reiste extra nach Berlin in die Bundespressekonferenz, um über Impfaktionen in „vulnerablen Stadtteilen“ von Köln gemeinsam vor der Hauptstadtpresse mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und dem Chef des Robert Koch-Instituts (RKI) zu informieren. Im Prinzip eine gute Sache, Menschen vor Ort eine Impfung anzubieten. Es gibt ein Aber: Die Stadt Köln geht dabei nicht sensibel vor, sondern macht Daten öffentlich, bei denen es fraglich ist, ob sie das zum einen darf und zum anderen ob dies nötig ist? Denn durch die Impfungen in den „vulnerablen Stadtteilen“ und der Veröffentlichung exakter Adressdaten durch die Stadt, können persönliche Adressdaten von Menschen und Familien, der städtischen Aussage „vulnerabel“ zugeordnet werden. Das bedeutet eine namentliche Stigmatisierung für die Menschen, die in den von der Stadt Köln identifizierten und genannten Adressen wohnen und denen die Stadt ein Impfangebot macht. Denn Sie tut dies ja nicht auf Stadtteilebene und allgemein, sondern eben für spezifische Adressen.

Es war eine Leser*in dieser Internetzeitung, die die Redaktion auf dieses Thema aufmerksam machte. Es geht um die Impfungen in den Stadtteilen, bei denen die Stadt Köln ein Impfmobil vor Ort aufstellt und Menschen aus exakten Adressräumen einlädt sich impfen zu lassen. Prinzipiell ist dagegen nichts einzuwenden, wenn sie es denn in allen Stadtteilen täte. Tut sie aber nicht, sondern in Stadtteilen, die die Stadt Köln als „vulnerable Sozialräume“ auf ihrer Homepage bezeichnet. Prof. Dr. Markus Ottersbach vom Institut für Interkulturelle Bildung der TH Köln definiert in einem Interview auf der Onlineseite der TH Köln diesen Begriff: „Vulnerable Sozialräume sind Quartiere, in denen überproportional viele Menschen wohnen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, Sozialhilfe beziehen und in schwierigen Wohnverhältnissen – zum Beispiel mit vielen Personen auf engem Raum – leben.“ Ottersbach lehnt den medial gebrauchten Begriff „Brennpunkt“ ab und spricht davon, dass die Begrifflichkeit „Brennpunkt“ stigmatisiere. Ottersbach stellt fest, dass in diesen Vierteln „überwiegend sozial benachteiligte Menschen leben“.

Eine einfache Telefonbuchrecherche reicht aus, um die von der Stadt genannten Adressdaten zu personalisieren

Bislang gab es diese Definition auf Stadtbezirks oder Stadteilebene. Jetzt aber veröffentlichte die Stadt Köln Adressdaten von Straßen und Häusern im Internet, von den Menschen, die sich in den „vulnerablen Stadtteilen“ impfen lassen konnten. Für jeden ist jetzt öffentlich einsehbar, dass die Stadt Köln etwa im Stadtteil Kalk oder Vingst, an der Adresse XYZ und Hausnummer XY Menschen wohnen sieht*, die sie nach der Definition Ottersbachs mit Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe oder schwierigen Wohnverhältnissen in Verbindung bringt und diesen ein Impfangebot macht. Eine simple Onlinerecherche mit dem Telefonbuch „Das Örtliche“ lässt sofort einen Rückschluss auf die Personen zu, die exakt in dieser Straße und den entsprechenden Hausnummern wohnen. Dazu muss übrigens niemand IT-Spezialist sein, eine Suchmaschinenrecherche reicht aus. Und das nicht nur für recherchierende Journalist*innen, sondern auch für Kreditvermittler oder Vermieter und jeden anderen. Was, wenn Bankmitarbeiter in der Filiale sich diese Daten ziehen und ausdrucken. Bevor Kund*innen bei ihm etwa einen Kredit beantragen, reicht jetzt ein Blick auf die Liste der Stadt und ein Vergleich mit der Wohnadresse, um einen Kredit zu verwehren? Noch dazu ist die Stadt Köln als Behörde eine privilegierte Quelle. Alles hypothetisch? Und was, wenn in dem von der Stadt markierten Gebäude Menschen wohnen, die gar nicht dem Status „vulnerabel“ entsprechen? Oder stellen Sie sich vor, sie bewerben sich mit Ihrer Wohnadresse, die dieser von der Stadt Köln veröffentlichten Liste entspricht? Oder was macht das mit der Nachbarschaft: die eine Hausnummer ist noch „vulnerabel“ und die nebenan nicht mehr?

Noch einmal: ein Impfangebot vor Ort ist prima, aber bitte gerade vor dem Hintergrund von Stigmatisierung, die im übrigen schon auf Stadtbezirks- oder Stadtteilebene erfolgt, dann nicht auf die Ebene von Mehrfamilienhäusern und Wohnadressen herunterbrechen. Denn durch die mediale und vor allem bundesweite Berichterstattung sind wieder Stadtteile wie Chorweiler oder Meschenich stigmatisiert worden. Da hilft auch keine schöne Formulierung wie „vulnerable Stadtteile“. Hier muss die Forderung sein, dass die städtische Sozialverwaltung und vor allem Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die diese lange leitete und als erfahrene Sozialpolitikerin und Pragmatikerin gilt, mehr Sensibilität an den Tag legen. Die Veröffentlichung von Adressdaten im Internet hat in diesem Kontext zu unterbleiben und die Stadt muss, wenn sie an dieser Impf-Praxis festhält eine Form finden, die diese Daten nicht öffentlich zugänglich macht. Zudem sollte die Kölner Politik und die Landesdatenschutzbeauftragte das Vorgehen der städtischen Verwaltung prüfen.

*Report-K verzichtet hier auf eine exakte Nennung. Der Redaktion sind diese Daten bekannt und es liegen Screenshots der Veröffentlichung dieser Daten vor.

Autor: Andi Goral