Köln | Es gibt in Köln Orte der NS-Vergangenheit, die sind berühmt und die werden gepflegt, etwa das ELDE-Haus, wo sich heute das NS-Dokumentationszentrum befindet. Dann gibt es Orte in Köln, an denen Menschen im Dritten Reich leiden mussten. Orte deren Geschichte zwar einer interessierten, aber breiten Öffentlichkeit kaum bekannt sind. Genannt seien das SA-Schutzhaftlager Am Hochkreuz oder das Krankensammellager für Zwangsarbeiter im Gremberger Wäldchen. Es sind Orte des Grauens, die mit zunehmendem Abstand zu den NS-Gräueln vergessen oder anders genutzt werden sollen. Es sind vor allem die Orte, an denen nachweislich Kölner direkt Verbrechen begingen, die der Vergessenheit anheimfallen könnten. Jetzt stellt sich die Frage: Was wird aus dem ehemaligen SA-Schutzhaftlager Am Hochkreuz? Legt die Stadt Köln die Gebäude nieder ohne einen Erinnerungsort geschaffen zu haben? Zudem steht der Vorwurf im Raum, dass die Stadt Köln „Propagandalügen“ der Nazis verbreite.
Das Lager Am Hochkreuz in Köln Porz
Es ist eines der frühen Lager der NS-Zeit in Köln. Im Juli 1933 wurde es bereits eingerichtet und kurz danach geschlossen. Es steht in engem Zusammenhang mit dem Konzentrationslager in Bergisch-Gladbach, das im Juni 1933 in den stillgelegten Stellawerken im Stadtteil Heidkamp aufgebaut wurde. In der Überlieferung seien dort 40 bis 60 Kommunisten inhaftiert worden. Die Anwohnerschaft störte sich allerdings an deren Schmerzensschreien und daher wurde das Lager in Bergisch-Gladbach am 3. Juli 1933 wieder geschlossen. Die Insassen auf andere Lager verteilt. So erzählt es der Landschaftsverband Rheinland (LVR) auf seiner Seite „Rheinische Geschichte“.
Mit dem Konzentrationslager in Bergisch-Gladbach steht das Lager Am Hochkreuz in Zusammenhang. Die SA wurde nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten zur Hilfspolizeitruppe. Sechs SA-Angehörige in Köln-Porz konnten mit der Polizei Hausdurchsuchungen und Festnahmen durchführen und Schutzhäftlinge zur Vernehmung übernehmen, schreibt Gebhard Aders in seinem Bericht „Das Schutzhaftlager der SA am Hochkreuz in Porz-Gremberghoven“. Die Porzer SA-Schergen holten sich Hilfe aus Bergisch-Gladbach, die bei Hausdurchsuchungen und Verhaftungen in Porz unterstützten. 24 arbeitslose SA-Männer sollen dort das Lagerpersonal gebildet haben und Lagerkommandant war der SA-Sturmbannführer Schreiber. Gemeinsam bildeten die SA-Mitglieder das Lagerpersonal. 60 Menschen waren inhaftiert und davon 12 bis 16 systematisch gefoltert. 1934 verstarb einer von ihnen. Aus den Erfahrungen in Bergisch-Gladbach hatten die SA-Bewacher gelernt kein Aufsehen zu erregen. Das Lager lag an einer Fernstraße. Auch das beschreibt Aders: So durften die Häftlinge nicht an die Fenster treten und die Wachen waren angehalten bei Transporten von und zum Verhör sich unauffällig zu verhalten und die Häftlinge zu Ruhe anzuhalten. Alle Insassen wurden zur Verschwiegenheit verpflichtet als sie Ende Juli entlassen wurden. Im November wurden noch einmal 21 politische Häftlinge misshandelt.
Noch heute sind Teile der Gebäude vorhanden, andere existieren nicht mehr, so der LVR. 1933 war das Areal ein Teil von IG Farben. Bis 1931 war dort die „Fabrik für elektrische Zünder Köln“. Heute existiert noch das Gebäude der Schlosserei und das Pförtnerhaus an der Frankfurter Straße. Die Inhaftierten mussten etwa in der Schlosserei auf Stroh am Boden schlafen und wurden im Pförtnerhaus vernommen. Im nicht mehr existenten Kesselhaus fanden die Folterungen statt. Der Raum sei mit den Buchstaben „F.K.“ gekennzeichnet gewesen, was für „Folterkeller“ gestanden haben soll.
Die Verhaftungen in Köln-Porz fanden in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 1933 statt. Beteiligt waren Polizeibeamte, Gendarmen, Landjäger und SA-Männer, die auf Basis der „Reichstagsbrandverordnung“ eingebunden waren. Kommunale NS-Größen sollen diese Verhaftungen mit angestoßen haben. Ludwig Grauert, Ministerialdirektor der Polizeiabteilung des preußischen Innenministeriums hatte diese entwickelt und somit die rechtliche Grundlage geschaffen, die die Grundrechte der Weimarer Republik außer Kraft setzte. Damit schaffte Grauert die juristische Grundlage für die ersten Massenverhaftungen politischer Gegner und Errichtung der ersten Lager. In Porz wurden Mitglieder der KPD und der SPD auf Basis einer Liste, die 45 bis 65 Namen enthielt, verhaftet. Klaus-Dieter Kleefeld aus der LVR-Redaktion KuLaDig schreibt 2017: „1946 zeigten ehemalige Lagerinsassen Männer des Wachpersonals bei den britischen Militärbehörden an. Im August 1947 wurden vier Angeklagte entsprechend dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom Landgericht zu Zuchthausstrafen verurteilt, zwei erhielten Gefängnisstrafen, drei wurden freigesprochen. Gegen die Hintermänner und Befehlsgeber ist nichts unternommen worden. Lagerkommandant Schreiber ist unter falschem Namen untergetaucht.“ Kleefeld schreibt zudem, dass sich das Wachpersonal und die Inhaftierten kannten und teilweise sogar in Einzelfällen verwandtschaftliche Beziehungen bestanden.
Die Kommunalpolitik 2021 bis 2022
Die Linke und Die Partei stellten am 18. April 2021 eine Anfrage zur Erinnerung an das ehemalige SA-Lager „Am Hochkreuz“. Diese beantwortete die Stadtverwaltung am 3. November mehr als ein Jahr später. Das ehemalige Pförtnerhaus, wo die Vernehmungen stattfanden, soll niedergelegt werden. Dort plant die Stadt Köln den Ausbau der Frankfurter Straße auf vier Fahrspuren bis zum Autobahnanschluss. Seit 2010 stand das Liegenschaftsamt der Stadt Köln hier in Verhandlungen mit dem Besitzer und konnte den Ankauf mittlerweile abschließen. Seit dem 1. Januar 2021 befindet sich das Gebäude in städtischem Besitz. In der Antwort schreibt die Stadtverwaltung: „Die Stadt Köln hat sich gegenüber der Firma OSMAB dazu verpflichtet, die Gebäude an der Frankfurter Str. 772-776 bis Mitte 2023 niederzulegen. Darauf soll der Ausbau der Frankfurter Str. folgen.“
Auf die Frage nach dem Erhalt historischer Gebäude, wie etwa der Schlosserei, in der die Gefangenen auf Stroh schlafen mussten, verweist die Stadt Köln auf den privaten Eigentümer die OSMAB Porz GmbH. Das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln stimmte der Niederlegung der Gebäude unter der Auflage einer fotografischen Dokumentation zu. Offen bleibt, wie die Stadt an den Ort erinnern will. Denn dazu schreibt die Stadtverwaltung: „Es ist geplant, die historischen Informationen über den Ort sowie die Erinnerung an die Opfer des „Schutzhaftlagers“ in Form einer Gedenkstele und/oder eines Informationspavillons zu gewährleisten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Eine Abstimmung über den konkreten Standort sowie über die Gestaltung und Umsetzung des Erinnerungsorts steht aus.“
Die „wilden Lager“ werden platt gemacht
Es gibt Orte, die kennt weltweit jeder, wie Dachau. Die „wilden Lager“, zu denen das SA-Lager „Am Hochkreuz“ gehört, sind wenig bekannt und durch den Abriss dürfte es endgültig in Vergessenheit geraten, wenn erst einmal der Verkehr darüber rauscht und nicht an ihn erinnert wird. Offen ist, ob es neben der fotografischen Dokumentation auch eine Erinnerung geben wird. Aber gibt nicht gerade das Lager „Am Hochkreuz“ den Blick frei, wie es den Nationalsozialisten gelang, gerade am Anfang ihre Herrschaft durch Terror zu sichern und wie lokale NSDAP-Größen brutal agierten? Zeigt nicht gerade diese Geschichte der 24 arbeitslosen SA-Männer, die teilweise sogar Verwandte misshandelten, wie der Terrorstaat der Nazis bis in die kleinsten kommunalen Einheiten entstehen konnte und sich festigte indem er Angst und Schrecken von Anbeginn an verbreitete? Wie auf kommunaler Ebene Hatz gemacht wurde und wie atemberaubend schnell Grundgesetze, juristisch abgesegnet durch Grauert zu Beginn des Jahres 1933, schon im Sommer in Porz umgesetzt wurden. Denn die Porzer:innen wählten ja mitnichten bei den Reichstagswahlen zuvor die NSDAP. Es geht noch weiter: Am 15. Juni 1934 kam es zu einer Anklage gegenüber den beteiligten Polizeibeamten und SA-Angehörigen. Das Amnestiegesetz vom 7. August 1934 für Straftaten, die im „Übereifer für die nationalsozialistische Revolution“ begangen wurden, führte im November 1934 zur Einstellung dieses Verfahrens.
Die Einordnung der Stadtverwaltung irritiert
In ihrer Anfrage an die Bezirksvertretung Porz nimmt die Stadt Köln zudem Einordnungen und Wertungen auf, die kritisch hinterfragt werden müssen. So lehnt das Amt für Denkmalschutz und Denkmalpflege eine Unterschutzstellung ab, da von der ursprünglichen Bausubstanz zu wenig erhalten geblieben sei. So schreibt die Stadt: „Die früheren Gebäude sind in weiten Teilen nicht mehr in der Originalsubstanz erhalten und müssen als architekturhistorisch nicht aussagekräftig gelten.“ Das empört die, die die Geschichte des Lagers erzählt wissen wollen und wirft Fragen auf. Was hätte denn dort noch sein sollen? Das Stroh auf dem die Häftlinge gefoltert wurden? Oder die Folterwerkzeuge? Und was bedeutet „architekturhistorisch“ im Zusammenhang mit einem Ort, an dem Gräueltaten verübt wurden und sich vor allem das Muster der Machtergreifung durch die Nazis bis in die kommunale Geschichte erzählen lässt? Muss dieser „architekturhistorisch“ wertvoll sein?
Es gibt einen weiteren Vorwurf der schwer wiegt: So schreibt die Stadt Köln etwas von einer „SA-Schule“. Hier steht der Vorwurf im Raum, dass die Stadt Köln auch im Jahr 2022 eine „Propagandalüge aus der NS-Zeit“ verbreite, die dazu dienen sollte, den wahren Zweck des wilden SA-Lagers zu kaschieren. Was wurde denn dort gelehrt? Folterungen bis hin zum Tode eines Häftlings?
Wie geht es weiter?
Steht der Abriss bevor? Gerodet wurden schon einmal Sträucher und bis Mitte 2023 steht die Stadt in der Pflicht, die Gebäude niederzulegen. Die Gebäude waren einmal Teil eines Porzer Kulturpfades. Dort erinnerte auch eine Tafel an das Geschehen. Die ist nicht mehr da, schreiben Bürger:innen.
Wie das Krankensammellager im Gremberger Wäldchen, report-K berichtete, fallen Orte in Köln dem Vergessen anheim, wenn diese einfach für Straßen planiert werden. Es sind die Orte wo auf der politisch untersten, also der kommunalen Ebene, Verbrechen verübt wurden. Diese sind bekannt und dokumentiert. Sind diese Verbrechen zu toxisch für Stadtgeschichte, dass hier keine kommunalen Erinnerungsorte geschaffen werden? Und ist nicht gerade der Einwand aus der Bürgerschaft richtig, mit der Niederlegung der Gebäude erst dann zu beginnen, wenn der Erinnerungsort gestaltet ist? Die Forderung aus der Bürgerschaft: Verzicht auf den Abriss oder die Schaffung eines Erinnerungsortes.