Köln Zu Köln und dem Rheinland hat der Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky seine ganz eigene Beziehung: „Der Kölner Dom ist bei Gott nicht schön, der Rhein sieht da ganz nett aus“, schreibt er im April 1924 seiner künftigen Ehefrau Mary Gerold. Von seiner Wahlheimat Paris beobachtet Tucholsky aufmerksam die Entwicklungen im Rheinland der 1920er Jahre. In der aufstrebenden Metropole Köln gebärdet man sich auch unter OB Konrad Adenauer zunehmend deutschnational.
Daran übt der Autor der „Weltbühne“ massive Kritik und plädiert für die Aussöhnung der Nationen. Mit den Entwicklungen im Rheinland geht er in seinem mit „Kölner Rheinbrücke“ betitelten Artikel gnadenlos ins Gericht. Das sagenhafte Bild vom „Vater Rhein; sagenumwoben, kitschumkränzt“ konterkariert er, indem er darauf hinweist, dass an dessen Ufern „die Proleten“ arbeiten und die besseren Herren „saufen“. Kritik gibt es am rheinischen Katholizismus genauso wie an der Kölner Sozialdemokratie mit ihrem Anführer Wilhelm Sollmann.
Tucholsky ist bei Lesungen und Vorträgen zu Gast in Köln
Dabei blickt der Schriftsteller nicht nur von der Seine zum Rhein, sondern ist bei Lese- und Vortragsreisen in den Jahren 1928/29 häufiger in Köln zu Gast. Dort versucht er, auf die Vorzeichen der rechten Diktatur in Deutschland aufmerksam zu machen. Das erweist sich als Drama in mehreren Akten, bei dem sich die politische Atmosphäre sich immer mehr vergiftet. Tucholsky verzagt zunehmend und beschreibt rückblickend, dass er bei der Lesereise im Jahr 1929 den „Knacks seines Lebens“ bekommen haben.
Auf die Spuren dieser beiden Jahre begibt sich der Kölner Historiker Mario Kramp in seinem beim Greven-Verlag erschienenen Buch „Man hat etwas gegen Sie vor“. Anhand von Presseartikeln, Briefen und Augenzeugenberichten beschreibt er erstmals Tucholskys Kölner Auftritte als historisches Drama in mehreren Akten. Im Zentrum stehen dabei neben dem Autor selbst Akteure wie ein mutiger Rundfunkintendant, ein Buchhändler, ein Warner, ein prominenter Augenzeuge, ein Freund, die Geliebte und die Ehefrau.
Der erste Auftritt im Kunstverein am Friesenplatz
Seinen ersten Kölner Auftritt hat Tucholsky am 27. September 1928 auf Einladung des jüdischen Buchhändlers Paul Wolfsohn im Kunstverein am Friesenplatz. Dort berichtet er in einem Vortrag vom „Frankreich heute“, der Vorurteile entkräften und für ein friedliches Miteinander der Völker werben will, der aber auch Kritik am Nachbarland übt. Im Dom-Hotel erhält Tucholsky eine anonyme Warnung: „Man hat etwas gegen Sie vor“, heißt es in dem Schreiben. Die Veranstaltung ist ausverkauft und Störungen bleiben zum Glück aus. Die Kölner Presse berichtet ausführlich. Die anonyme Warnung bleibt noch lange auf Tucholskys Schreibtisch in Paris liegen.
Am 22. März 1929 kehrt Tucholsky am „Tag des Buches“ an den Rhein zurück. Im Funkhaus der Westdeutschen Rundfunk AG an der Dagobertstraße liest der Schriftsteller aus seinen Werken. Dafür muss Rundfunkintendant Ernst Hardt von rechts heftige Kritik einstecken. Beim Vortrag Tucholskys stellt sich die Presse gegen ihn und hinter den deutschnationalen Protest gegen Tucholskys nachdrücklichen Aufruf zum Frieden.
Zweifel an der Wirkung von Tucholsky’s Worten
Einen Tag später ist der jüdische Autor zu Gast bei der Kölner Lesegesellschaft an der Langgasse, wo er wiederum aus eigenen Schriften liest und dabei auch bislang Unveröffentlichtes seinem Publikum präsentiert. Seine Formulierungskünste und sein Redetalent begeistern die Presse und das Publikum gleichermaßen. An die große Wirkung von Tucholskys Worten glaubt schon damals kaum einer.
Das letzte Kölner Gastspiel Tucholskys gibt es am 18. November 1929 wiederum bei der Lesegesellschaft. Es ist der Auftakt zu einer deutschlandweiten Lesereise, die Tucholsky nachhaltig verändern und ihn schließlich zum Schweigen bringen wird. In der Presse hinterlässt dieser Auftritt eher geringe Spuren, auch weil am gleichen Tag Nobelpreisträger Thomas Mann in Köln zu Gast ist und die gerade abgehaltenen Wahlen das alles beherrschende Thema sind.
Kritik an der Reform des Sexualstrafrechts
Diesmal wird Kurt Tucholsky als Jurist und Schriftsteller über „Justiz und Sittlichkeit“ sprechen und dabei die Reform des Sexualstrafrechts in den Fokus nehmen. Es geht um das „Strafrecht gegen Schwule“ genauso wie am „Abtreibungsparagraph“ sowie um den „Straftatbestand der Kuppelei“, der den „außerehelichen Geschlechtsverkehr unzüchtig nennt“. Tucholsky übt scharfe Kritik.
Das Urteil der Presse ist erwartungsgemäß vernichtend. Während es in Köln noch ruhig bleibt, nehmen die Störungen in den folgenden Stationen der Lesereise zu. In Wiesbaden wird der Arzt Walter B. Meyer von der SA zusammengeschlagen, weil er Tucholsky ähnlich sieht. Indem man Tucholsky zu hohe Eintrittspreise vorwirft, versucht man ihn als „geldgierigen Juden“ zu verunglimpfen.
Tucholsky lässt sich in Schweden nieder
Der Autor selbst ist zunehmend desillusioniert und entmutigt. Von der letzten Station Hamburg reist er zunächst mit seiner Freundin Lisa Matthias nach Lugano und lässt sich später endgültig im schwedischen Hindas nieder. Von dort aus muss er auch mitansehen, wie 1933 in Deutschland seine Bücher verbrannt werden und das NS-Regime die Macht ergreift. 1935 stirbt er an einer Überdosis Schlafmittel.
Mario Kramp: Man hat etwas gegen Sie vor – Kurt Tucholsky in Köln 1928/29, Greven-Verlag, 92 Seiten, 12 Euro