Köln | Der ehemalige Intendant des Westdeutschen Rundfunks Fritz Pleitgen sprach gestern in der Kreissparkasse Köln im Rahmen des Lew-Kopelew-Forums mit dem Präsidenten der Europäischen Kommission José Manuel Barroso über die Rolle Europas in der Welt, die Krise in der Ukraine, die Türkei und die Stabilität des Euro. Barroso ist seit November 2004 Präsident der Europäischen Kommission.

Barrosos Loblied auf Europa

Europa sei heute ein global Player mit fast einer halben Milliarde Menschen, einem immens großen Markt und der größte Produzent wissenschaftlichen Know Hows. Heute hätten große Nationen wie die USA und China Respekt vor dem Staatenbund aus 28 Nationen, das war mit 12 Ländern

nicht so, führte Barroso aus. Das gelte nicht nur für Politiker wie Obama, sondern auch für große Wirtschaftsplayer wie etwa Microsoft oder Gazprom. Das die Sicherung des Euro gelungen und Griechenland noch Mitglied der europäischen Union sei, habe die EU gestärkt. Auch die Staaten, die die Reformen umgesetzt hätten, wie Portugal aber auch Griechenland, stünden heute konkurrenzfähiger da, als vor der Krise.

Die europäische Finanzkrise war keine EU-Krise

Das die Europäer dennoch selbst skeptisch der EU gegenüber stünden macht Barroso an der Verunsicherung fest, da die Menschen nicht mehr genau wüssten, wer ihre Probleme, wie die ökonomische Krise oder sozialen Probleme löse. Es sei eine Frage der Führungsrolle, ist es Europa oder die nationale Politik, die den Menschen nicht klar werde. Und genau hier agierten Populisten aus der extremen Rechten und Linken. So sei die Eurokrise nicht von der EU ausgegangen, sondern vom Handeln einzelner nationaler Regierungen und der Finanzindustrie, die die Blase hervorriefen. Heute nach der Krise habe die Europäische Zentralbank die Rolle des Supervisors und die EU könne die nationalen Budgets kontrollieren. Der Euro ist eine wichtige Währung und stehe für Stabilität. Mehrfach betonte Barroso dass Europa durch das Bestehen der Krise stärker geworden sei.

Barroso: Russland habe in der Ukraine-Frage die Strategie geändert

Die EU habe auf den Wunsch der Menschen in der Ukraine reagiert sich mit einem Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union zu verbinden. Dabei ging es nie, so betont Barroso um einen Beitritt zur Nato. Man habe viel mit Putin über dieses Ansinnen gesprochen und er habe lange seine Zustimmung gegeben. Als es dann zur Unterschrift kommen sollte, habe Putin einseitig die Strategie geändert, während die Menschen in der Ukraine schon mit den EU-Fahnen wedelten. Barroso klar: „Wir haben niemanden gezwungen zu unterschreiben“. Russland verletze jetzt internationales Recht und falle damit in der Geschichte Europas wieder in die Zeiten zurück, als ein großes Land sich kleine Länder einfach einverleiben konnte. Wenn Europa dies einfach so akzeptieren würde, würde dies alles verändern. Ein Prinzip des neuen Europas sei, dass die Grenzen nicht einfach verschoben werden dürften.

Der Ukraine helfen

Putin wolle gar nicht die Krim, sondern er wolle die gesamte Ukraine kontrollieren, dies sei den Machthabern in Moskau sogar wichtiger als der Konflikt in Kirgisistan, urteilt der EU-Präsident. Barroso ging sogar so weit zu sagen, dass es in Moskau das Denken gebe, dass die Ukraine und die baltischen Staaten, die ja schon der EU angehören, nicht unabhängig sein sollten. Man werde keine Konfrontation mit Russland suchen, aber die EU werde der Ukraine helfen ein vitales eigenständiges und von Moskau unabhängiges Land zu werden. Russland sei isoliert, etwa im Weltsicherheitsrat. Alle Länder hätten gegen Russland gestimmt und sogar China habe sich enthalten. Barroso ist sich sicher, dass die Russen merken werden, dass es keine weise Entscheidung war, sich gegen das Weltrecht zu stellen. Das Ziel der EU sei es den Frieden auf der Basis von Prinzipien zu wahren, auch wenn man derzeit in einer der schwierigsten politischen Situationen nach dem II. Weltkrieg stecke. Zu bedenken gab Barroso, dass Russland in anderen internationalen politischen Fragen ebenso nicht konstruktiv handele, wie man an Syrien sehen könne. Aber man solle dabei auch bedenken, dass Europa wichtig für Russland und seine Menschen sei. Sie wollten nicht in die USA oder nach China, sondern an die Costa del Sol reisen, sie wollen nach Europa. Und Europa sei Russlands größter Markt.

Merkel investiert viel Zeit in die EU

Deutschland habe eine Führungsrolle in der europäischen Gemeinschaft, alleine durch seine wirtschaftliche Kraft. Deutschland sei dabei aber immer sehr respektvoll mit den kleineren Staaten in der EU umgegangen, lobt Barroso. Merkel würde – teilweise auch sehr detailversessen – viel Zeit in die Anliegen der EU investieren und kein Regierungschef wüsste mehr als Merkel über die europäische Gemeinschaft. Die Rolle Deutschlands in der EU beschreibe vielleicht die Frage Obamas in der Hochzeit der Eurokrise, als dieser wissen wollte, ob Deutschland an den Euro glaube.

Das Freihandelsabkommen mit den USA

Die Türkei ist nach Auffassung Barrosos noch nicht reif ein Mitglied der Europäischen Union zu werden. Chirac und Schröder seien damals die Treiber gewesen, erzählt Barroso. Als geostrategisch wichtiges Land sei die Türkei in der Nato. Die wichtigsten Ziele in der Zukunft seien zum einen ein stärkeres Wachstum, der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und die volle Integration der Mitgliedsländer. Dazu sei es nötig vor allem in Bildung und Technik zu investieren, mehr Flexibilität in den Märkten zu schaffen und auch den Service-Markt voranzubringen. Ganz wichtig sei die Harmonisierung des digitalen Marktes. Derzeit habe Europa 20 digitale Märkte, die USA aber nur einen einzigen. Im Freihandelsabkommen mit den USA sieht Barroso mehr Chancen als Risiken. Schon heute seien Firmen aus Europa in den USA nicht mehr konkurrenzfähig, das könne sich durch das Abkommen ändern und so eine Schub für mehr Jobs und Investments für beide Seiten bringen.

Autor: Andi Goral