Köln | aktualisiert | Das von CDU-Mann Reul geführte Innenministerium in NRW hat eine Sicherheitspartnerschaft mit fünf Logistik- und Taxiverbänden sowie einem Raststätten-Unternehmen abgeschlossen. Deren Mitarbeiter sollen in Zukunft für die Polizei NRW Augen und Ohren offen halten, Kriminelle aufspüren und dann den Notruf 110 wählen. Reul betont, er wolle keine Hilfssheriffs mit hoheitlichen Aufgaben, sondern 200.000 Mitarbeiter der neuen Sicherheitspartner für die Polizei NRW ohne Status, ohne Schulung oder Ausbildung, Überprüfung und Vergütung rekrutieren, die ihre 400.000 Augen aufhalten und „wertvolle Hinweise“ geben sollen. Den Begriff Denunziant nutzt CDU-Mann Reul nicht, denn der ist negativ konnotiert, aber passend. Aktuell: Mittlerweile haben sich auch die Polizeigewerkschaften zu Wort gemeldet und mit scharfer Kritik reagiert. Diese finden Sie am Ende des Artikels. 

Die Mitteilung an die Öffentlichkeit aus dem Innenministerium lässt viele Fragen offen. Der Innenminister von der CDU erhofft sich eine bessere Aufklärung von Reiserouten und Absatzwegen von Einbrechern, so die Begründung. Eine solche offene Frage ist, wie denn der LKW-Fahrer, Taxifahrer oder Tankwart einen Einbrecher oder eine Einbrecherbande erkennen soll? Vielleicht am fremdländischen Nummernschild oder fremdländischen Aussehen? Selten reisen diese Täter mit Sturmhaube und gezücktem Einbruchswerkzeug durchs Land. Das Phänomen Wohnungseinbruch von reisenden Banden sollen jetzt Jederfrauen und Jedermänner sehen, erkennen und wertvolle Hinweise geben, die bislang nur von hochspezialisierten verdeckt operierenden Ermittlerteams mit jahrelanger Erfahrung und Ermittlungsarbeit aufgedeckt wurden?

Auf welcher Rechtsgrundlage erfolgt diese Sicherheitspartnerschaft?

Das deutsche Strafrecht ist deutlich in seiner Aussage, wo es die Bürger dieses Landes zur Anzeige verpflichtet. Nach § 138 Strafgesetzbuch (StGB) kann derjenige strafrechtlich belangt werden, der von einem Vorhaben oder Ausführung von Landesverrat, Mord, Totschlag, Raub oder Menschenraub oder eines gemeingefährlichen Verbrechens glaubhaft Kenntnis hat und dies nicht anzeigt. Dazu gehört auch, dass der Anzeigende in einer Zeit davon Kenntnis erlangt hat, in der das Verbrechen noch verhütet hätte werden können.

Gerade in Deutschland mit den Erfahrungen zweier Unrechtsregime, der des Nationalsozialismus und der DDR mit dem Thema Denunziation sollte sensibel umgegangen werden. Diese Sensibilität lässt aber gerade die Mitteilung des Innenministeriums vermissen. Warum selektiert CDU-Mann Reul 200.000 Bürgerinnen und Bürger und stellt sie damit über die anderen Bürger? Nur weil diese mehr auf den Straßen unterwegs sind oder warum? Offen lässt er, wie er an diese 200.000 Bürger nicht nur appellieren, sondern sie schulen will? Denn es ist auch ein schmaler Grat zwischen der Anzeige eines Straftäters und dem Straftatbestand der Verleumdung oder Beleidigung. Haben alle diese 200.000 Menschen einen überprüften guten Leumund und sind sie sattelfeste Demokraten?

Warum nicht einfach ein Appell an alle Bürger?

Das Innenministerium NRW schreibt: „Durch die Kooperation können die Straßen, Tankstellen und Raststätten in Nordrhein-Westfalen künftig deutlich engmaschiger beobachtet werden – und das rund um die Uhr. Ziel der Zusammenarbeit sei es, Gefahren besser und vor allem frühzeitiger zu erkennen, damit die Polizei rechtzeitig einschreiten kann.“ Offen lässt das Innenministerium NRW was „Zusammenarbeit“ bedeutet? Die angesprochenen Unternehmen zeigen sich mit stolz geschwellter Brust. Peter M. Löw, stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung Autobahn Tank und Rast wird mit den Worten zitiert:  „Damit leistet die Tank & Rast gemeinsam mit ihren Servicebetrieben in Nordrhein-Westfalen einen Beitrag zur weiteren Verbesserung der öffentlichen Sicherheit.“ Wolfgang Stromps, Vorsitzender des Verbands Spedition und Logistik Nordrhein-Westfalen sagt: „Unsere Fahrer kennen die Örtlichkeiten und sind bestens in der Lage, Gefahrenmomente, Unregelmäßigkeiten im Alltagsverhalten oder mögliche Straftaten zu erkennen.“

Wissenschaftliche Untersuchung zur Denunziation

Bremer Wissenschaftler um Professorin Dr. Inge Marszolek vom Institut für Regional- und Sozialgeschichte der Universität Bremen beschäftigten sich vier Jahre lang mit dem Themenkomplex unter dem Titel „Denunziation in Deutschland 1933 bis 1955. Verhalten, rechtliche Normen und staatliche Regulierung im Vergleich“. Gefördert wurde das Projekt unter anderem von der Volkswagenstiftung, das drei unterschiedliche Gesellschaftsformen untersucht (Nationalsozialismus, DDR-Regime, Bundesrepublik Deutschland) und dabei die Situation im Nationalsozialismus mit der in der unmittelbaren Nachkriegszeit verglichen – in den Regionen Thüringen (Erfurt/Weimar) und Nordwestdeutschland (Stade/Osnabrück).

Die Forscher stellen fest: „Klatsch und Denunziation sind eng miteinander verwobene Kommunikationsprozesse, die häufig der Ausgrenzung Einzelner dienen. Die Denunziation zeichnet dabei die Besonderheit aus, dass sie an eine übergeordnete Instanz (Vorgesetzte, Partei, staatliche Stellen) ergeht, von der – in aller Regel unausgesprochen – Sanktionen gegen die Betroffenen erwartet werden. Insofern ist sie ein Mittel der sozialen Kontrolle, das die „höhere Instanz“ gern zu instrumentalisieren versucht. Im Gegenzug kann Denunziation aber auch ganz gezielt Mittel zum Zweck staatlicher Informationsbeschaffung sein und dabei so unterschiedlichen Zwecken dienen wie der Entnazifizierung in den Ost- und Westzonen Nachkriegsdeutschlands oder der „Volkskontrolle“ beim Aufbau einer neuen Gesellschaft in der DDR. So kann Denunziation je nach Sichtweise als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und als Straftatbestand gewertet, aber auch als Zeichen „antifaschistischer Wachsamkeit“ (Erich Mielke 1948) anerkannt werden.“ Eine Erkenntnis der Studie, so Professorin Inge Marszolek, im Rahmen der Untersuchung sei gewesen, dass unterschiedliche gesellschaftliche Umfelder verschiedene Muster denunziatorischen Verhaltens hervorbringen und dies aber auch auf die gesellschaftspolitische Verantwortung im Umgang mit Denunziation verweist.

Hinterfragt werden muss, ob diese vom NRW-Innenministerium und der Polizei NRW angestrebte „Sicherheitspartnerschaft“ mit privatwirtschaftlichen Organisationen, die immer auch eigene Ziele verfolgen, in Gänze ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung gerecht wird. Es gibt auch ein berühmtes Zitat, dass Hoffmann von Fallersleben zugeschrieben wird: „Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant“. Ob dies gute Imagewerbung für die beteiligten Unternehmen, Polizei und NRW-Innenministerium ist?

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Stimmen zur Sicherheitspartnerschaft des NRW-Innenministers Herbert Reul, CDU

Polizeigewerkschaft wirft NRW-Innenminister Reul „Aktionismus“ vor

Der NRW-Chef der Polizeigewerkschaft GdP, Arnold Plickert, lehnt den neuen Sicherheitsvorstoß von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) ab: „Wir brauchen in NRW keine Hilfssheriffs, sondern mehr richtige Polizisten auf der Straße“, sagte Plickert der „Rheinischen Post“ (Mittwochsausgabe). „Die neue Landesregierung in NRW hat der alten stets Aktionismus in der Sicherheitspolitik vorgeworfen. Jetzt sage ich: Taxifahrer zu einer Säule der Inneren Sicherheit zu erklären – das ist erst recht Aktionismus.“

Reul will bei der Kriminalitätsbekämpfung künftig mit Taxifahrern, Logistik-Unternehmen und Raststättenbetreibern kooperieren. Sie sollen Auffälligkeiten melden. „Die 110 können Taxifahrer heute auch schon anrufen. Dafür brauchen wir keine Kooperation“, sagte Plickert. Auch der Bund der Kriminalbeamten (BDK) reagierte mit scharfer Kritik auf die Sicherheitspartnerschaft. Die Partnerschaft zwischen Polizei, Logistikbetrieben und Raststättengesellschaft zur Bekämpfung der Einbruchskriminalität sei eine „Shownummer“, die grotesk sei, sagte der BDK-Landesvorsitzende Sebastian Fiedler der „Neuen Westfälischen“ (Mittwochsausgabe).

Bei der Kriminalpolizei in NRW sei großflächig Personal abgebaut worden, alleine im polizeilichen Staatsschutz fehlten rund 300 Beamte. „Die Kripo ist einigermaßen enttäuscht davon, dass bisher nichts an Verbesserung erkennbar ist“, so Fiedler. Alleine durch die Übergabe des Objektschutzes wie etwa Botschaften und Konsulate an Tarifbeschäftigte hätte man rund 300 Beamte zusätzlich zur Verfügung, so der BDK-Landesvorsitzende.

Zudem brauche man ein speziellen Studiengang, der es möglich mache, dass ausgebildete Kripobeamte schon nach drei Jahren in Dienst gehen könnten statt nach sechs bis sieben.

Piratenpartei NRW: Kommissar Brummifahrer, übernehmen Sie!
NRW-Innenminister Herbert Reul präsentierte am vergangenen Dienstag die „Sicherheitspartnerschaft“ der Polizei mit fünf Logistik- und Taxiverbänden sowie einem Raststätten-Unternehmen. Er lässt sich in der Pressemeldung des Landes NRW mit den Worten zitieren: „Es geht darum, die Unterstützung der Polizei durch Private gemeinsam neu zu denken.“
Die Piratenpartei NRW kritisiert scharf die fatalen Signale, die diese „Sicherheitspartnerschaft“ aussendet:
„Sie unterstellt der Polizei in NRW, nicht mehr Herr der Lage zu sein“, erklärt Michele Marching, Vorsitzender der Piratenpartei NRW. „Auch ohne diese Partnerschaft wenden sich Menschen im Fall eines Verbrechens an die Polizei. Die 110 war auch vorher schon bekannt. Wo liegt also der Mehrwert dieser Sicherheitspartnerschaft?“
Suggeriert wird mit dieser „Sicherheitspartnerschaft“ lediglich, dass Denunziantentum ausdrücklich erwünscht, ja notwendig ist. Das Problem sind nicht fehlende Hinweise aus der Bevölkerung, sondern die unterbesetzte Polizei.
„Die Lösung kann und darf nicht sein, Menschen über eine allgemein gebotene Aufmerksamkeit hinaus mit Überwachungsaufgaben zu betrauen. Die Lösung muss lauten, die Polizei im Land mit dem Personal und der Technik auszustatten, die sie für ihre Aufgaben benötigt. „Gefühlte“ Sicherheit ist keine“, ergänzt Hélder Aguiar, politischer Geschäftsführer der NRW Piraten.

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Autor: Andi Goral, dts
Foto: Autobahn bei Köln – Hier sollen LKW- und Taxifahrer in Zukunft die Augen nach Verbrechern offen halten