Köln | In dem mit Spannung erwarteten Gutachten zum Umgang mit sexualisierter Gewalt im Erzbistum Köln werden auch die ehemaligen Erzbischöfe Joseph Höffner und Joachim Meisner belastet. Eine Kirchenaktivistin sieht in dem Gutachten das System Kirche in Frage gestellt. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) verlangt nach der Vorstellung des Gutachtens zum Umgang mit sexualisierter Gewalt im Erzbistum Köln weitere Aufklärung. Die Zusammenfassung zum Tag.

Beim amtierenden Erzbischof Rainer Maria Woelki habe man keine Pflichtverletzungen festgestellt, sagte der Strafrechtler Björn Gercke am Donnerstag. Höffner werden insgesamt acht Pflichtverletzungen vorgeworfen – sechs gegen die Aufklärungspflicht und zwei gegen die Pflicht zur Opferfürsorge.

Bei Meisner werden sogar 24 Pflichtverletzungen gezählt. Davon betreffen unter anderem sechs die Aufklärungspflicht, neun die Meldepflicht sowie fünf die Pflicht zur Opferfürsorge. Insgesamt werden in dem Gutachten mehr als 200 Beschuldigte aufgeführt.

Woelki hatte das Gutachten zum Umgang des Erzbistums mit sexuellem Missbrauch im Herbst 2020 in Auftrag gegeben. Ein erstes Gutachten war aufgrund angeblicher rechtlicher Bedenken nicht veröffentlicht worden. Dies hatte zu scharfer Kritik geführt.

Die Zahl der Kirchenaustritte stieg vor Ort deutlich an. Erste Konsequenzen aus dem neuen Gutachten sollen am kommenden Dienstag vorgestellt werden. Auch die Einsicht in die Ergebnisse der ersten Untersuchung sollen für „Betroffene, Medienvertreter und die interessierte Öffentlichkeit“ ab dem 25. März ermöglicht werden.

Kirchenaktivistin: Kölner Gutachten stellt System nicht infrage

Für die Reformbewegung Maria 2.0 ist das Gutachten zum Umgang mit sexuellem Missbrauch im Bistum Köln nicht geeignet, die Ursachen aufzuarbeiten. Es gehe nur um die Taten einzelner, „das System wird nicht infrage gestellt“, sagte Initiatorin Lisa Kötter den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Freitagsausgaben). Es bleibe „gut und richtig“.

Und weiter: „Was übrig bleibt, ist die lebenslange Qual der Menschen, denen Gewalt angetan wurde.“ Die Aktivistin stellte die Würde der Kirche infrage: Wenn auch nur ein Mensch verletzt worden sei, um die Fassade einer Institution, eines Amtes, einer „Heiligkeitsbehauptung“ zu schützen, habe diese Institution ihre Würde verloren. Sie befürchtet, dass die „paar Männer“, die ihre Ämter verlassen müssen, „wie immer in brüderlichen Armen weich aufgefangen werden, hochwürdig selbstverständlich“.

Sich auf den Grund zu begeben mit den „Kleinen und Verletzten und selbst um Hilfe zu bitten, steht nicht zur Diskussion“.

Kölner Missbrauchsgutachten: Lambrecht verlangt weitere Aufklärung

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) verlangt nach der Vorstellung des Gutachtens zum Umgang mit sexualisierter Gewalt im Erzbistum Köln weitere Aufklärung. Die so lange überfällige unabhängige Aufarbeitung in Köln und andernorts stehe immer noch am Anfang, sagte Lambrecht am Donnerstag. „Weiterhin gilt: Täter und Strukturen müssen genannt werden.“

Jeder Hinweis auf noch nicht verjährte Taten müsse zur Anzeige gebracht werden. „Kindesmissbrauch ist keine interne Kirchen-Angelegenheit, sondern ein Verbrechen, das von Strafgerichten aufgeklärt werden muss.“ Alle, die in der katholischen Kirche Verantwortung tragen, müssten endlich Strukturen ändern, hinschauen und eingreifen, so die SPD-Politikerin weiter.

„Es sind dringend vertrauenswürdige Stellen erforderlich, die jeden Hinweis ernst nehmen.“ Die katholische Kirche müsse alles dafür tun, „dass sich entsetzliche Verbrechen gegen Kinder nicht wiederholen“.

Autor: dts
Foto: Symbolbild – die Türme des Kölner Doms im Gegenlicht.