Köln | „Und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben“ – so beschrieb Adolf Hitler 1938 die durchorganisierte „Erziehung“ der Jugend zu „wahren Deutschen“. Ein Thema auch für Historiker. Doch die werteten bislang meist nur offizielle Quellen aus. Das NS-Dok erlaubt jetzt im Internet einen Blick aus der Sicht der Jugendlichen von damals.

Der eine schwärmt in seinem Lagertagebuch von den schönen Geländespielen, die andere vom gemeinsamen Singen am abendlichen Lagerfeuer. Und wieder ein anderer beschreibt in einem Brief an seine Eltern die bislang vergeblichen Versuche, einen katholischen Gottesdienst zu besuchen.

Erlebnisse in Tagebüchern und Fotoalben festgehalten

Es sind vielfältige, oft widersprüchliche Aussagen, die das Leben in den zahlreichen Einrichtungen der Jugenderziehung beschreiben. Eine in diesem Umfang einmalige Sammlung von Selbstzeugnissen: 79 oft mehrbändige „Lagertagebücher“ hat NS-Dok-Mitarbeiter Martin Rüther ins Netz gestellt, 17 weitere Tagebücher, 17 umfangreiche Briefwechsel von Kindern mit ihren Eltern. Dazu fast 130 Fotoalben – und weitere Dokumente sind in Arbeit, müssen gescannt und transkribiert werden. Wer kann heute noch Süterlin-Schrift lesen?

Hinzu kommen Zeitzeugen-Erzählungen, einschlägige Zeitschriften und historische Film und Tonaufnahmen, die etwa für Radiosendungen auf Schallplatten gepresst wurden. Gleichzeitig werden die Dokumente in den historischen Kontext gesetzt. Ermöglicht hat das Projekt „neue Quellen zur Lagererziehung“ die Fritz-Thyssen-Stiftung. Zu finden ist sie unter www.lagererziehung.nsdok.de

Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Lager

„Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Lager“, so NS-Dok-Mitarbeiter Martin Rüther, der die umfangreiche Online-Dokumentation quasi im Alleingang geschultert hat. Neben den „exklusiven“ Lagern wie den Konzentrations- oder Arbeitslagern, deren Insassen aus der Gesellschaft ausgeschlossen wurden, gab es auch in einer „wahnsinnigen Vielfalt“ die „inklusiven“, die der Integration durch Erziehung dienten. Am bekanntesten sind die Kinderlandverschickung, das Landjahr, der Reichsarbeitsdienst und natürlich die verschiedenen (Freizeit-)Angebote der NS-Jugendorganisationen. Der Aufenthalt konnte bisweilen mehrere Jahre dauern.

In diesen Einrichtungen waren die Jugendlichen massiven ideologischen Beeinflussungen ausgesetzt. „Diese Jugend lernt ja nichts anderes als deutsch denken, deutsch handeln“, so Hitler in seiner eingangs zitierten Rede vor Kreisleitern in reichenberg. Aus den jetzt vorgelegten Quellen lässt sich ablesen, wie dies bei den Kindern und Jugendlichen ankam, wie diese Indoktrination auf Dauer wirkte. Bis hin zu den Fotos, die zur Erinnerung gemacht und dann in den persönlichen Alben landeten.

Und natürlich hofft das NS-Dok, dass solche Familiendokumente nicht mehr im Müll landen oder auf dem Speicher verschimmeln, sondern der Forschung- und Erinnerungsstätte zur wissenschaftlichen Auswertung überlassen werden.

Autor: ehu
Foto: Kölner Mädchen „Jungmädellager Schlosshotel“ der Kinderlandverschickung in Ahlbeck auf Usedom, 1941. © NS-Dok Köln