Köln | Nikola Dietrich, Direktorin Kölnischer Kunstverein, zieht im Gespräch mit Christoph Mohr ihre ganz persönliche Kultur- und Kunstbilanz 2018 und blickt auf 2019. Kölner Stimmen hört in der Kultur und Kunst-Community nach.

Welche drei Künstler haben Sie in diesem Jahr begeistert?

Morag Keil – Die Künstlerin arbeitet in den Medien Installation, Film und Malerei. Ihre Werke sind kluge, aufschlussreiche Überlegungen dazu, wie sich eine Welt, die zunehmend durch Technologie und digitale Kommunikation vermittelt wird, auf unseren Alltag auswirkt. Die Ausstellung „Here we go again“ bei Project Native Informant in London zeigte ein komplexes Set Up bestehend aus Türen, durch die der Besucher kontinuierlich weiter geleitet wird, und dahinter liegenden Videos, in denen die Heimautomation als Ausgangspunkt der Erzählung verwendet wird, um Entscheidungen zu beeinflussen oder Gespräche zu steuern.
 
Bonnie Camplin ist eine Künstlerin, deren Arbeit als eine fortlaufende Untersuchung der Natur des Bewusstseins, der Sinneskräfte, mit denen wir die Welt wahrnehmen, und der psychischen Beziehungen, die Menschen miteinander verbinden, ihrer Umgebung und nichtmenschlichen Entitäten beschrieben werden können. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sie in verschiedenen Bereichen gearbeitet, als Impresario experimenteller Clubnächte, als Gestalterin von Objekten und Bildern, Performerin und Filmemacherin. Vor allem ihre Lecture-Performances sind geniale Verflechtungen subjektiver Erfahrungen mit wissenschaftlichen Ausführungen, die in immaterielle, sci-fi-artige Gedankenwelten führen.

Heji Shin ist Fotografin und arbeitet kontinuierlich zwischen Aufträgen für die Modeindustrie und Werken, die im Kunstkontext in Ausstellungen in Galerien und Museen gezeigt werden. 2012 wurde sie für ihre Fotostrecke für „Make Love“, einem viel besprochenen Aufklärungsbuch für Teenager bekannt. In jüngerer Zeit fanden ihre Bildzyklen von Babies, sowie Modeaufnahmen für das Label Eckhaus Latta weltweite Beachtung. Shins Portraits von Neugeborenen aus der Serie Babies, 2017, sind völlig unzweideutig. Sie zeigen Menschen in dem Moment, in dem sie zur Welt kommen. Es ist der  Moment, den jeder erlebt hat, an den sich jedoch niemand erinnern kann. Heji Shin gelingt es mit der Serie den Ausdruck „das Licht der Welt erblicken“, diesen eigentlich alltäglichen Augenblick, der letztendlich auf den Tod hinausläuft, auf gleichzeitig beiläufige wie hyper-dokumentarische Art und Weise in Bilder zu fassen. In der Kunsthalle Zürich ist momentan eine Ausstellung von ihr mit überdimensionierten Porträts von Kanye West und Röntgen-Selbstporträts mit einem Hund zu sehen.

Welche drei Ausstellungen haben Sie in diesem Jahr begeistert?
 
In den Deichtorhallen in Hamburg konnte ich ganz zu Beginn des Jahres die vielschichtig angelegte Ausstellung „Alice Neel, Painter of Modern Life“ sehen mit mehr als hundert Werken der hier bis anhin eher unbekannteren amerikanischen Malerin. Ihre Kunst ist geprägt von einer künstlerischen Freiheit, fern von jeder Kategorisierung und Begrenzung auf zu ihrer Zeit vorherrschende klassische Sujets. Ihr Lebenslauf mit zahlreichen schwerwiegenden Krisen scheint ihre schöpferische Kraft immer weiter voran zu treiben, und Brüche und Wendungen den Werken ihre ungeheure bildnerische Intensität zu verleihen.

Im Jeu de Paume in Paris wurde im Herbst die sehr eindrückliche und berührende Ausstellung „Politics of Seeing“ der amerikanischen Fotografin Dorothea Lange gezeigt. (1895, Hoboken, New Jersey–1966, San Francisco, California). Ihre Fotografien legen Zeugnis von den Auswirkungen einschneidender Ereignisse auf die Bevölkerung Amerikas ab – wie die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre oder die Internierung aus Japan stammender Amerikaner (1942). Nicht nur dass die Fotografien über einer Periode und dem Leiden der Menschen Aufschluss geben, über das man sonst wenig gewusst hätte, erlangen sie ihre ungeheure Kraft vor allem dadurch, dass die Fotografin eine sehr vertraute Beziehung zu den Portraitierten aufbauen konnte. Biografische Beschreibungen, von der Fotografin zum Hintergrund der einzelnen Personen mitgegeben, zeigen ein lebensnahes Bild von Menschen am Rande der Gesellschaft. Bilder, die im Gedächtnis verankert bleiben.

Die viel besprochene und gelobte Cady Noland Ausstellung im MMK in Frankfurt ist sicherlich auch mein Ausstellungs-Highlight in diesem Jahr. Bereits früh in meiner Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst war das Werk der Konzeptkünstlerin, das Alltagskultur in präzise angeordnete Installationen überführt und ein Gesellschaftsbild der (amerikanischen) Gegenwart zeichnet, von großer Bedeutung für die Auffassung, was Kunst leisten und anstoßen kann. Ihre nüchtern und präzise präsentierte Skulpturen sind beklemmende Schilderungen einer kalten, mit kriminellen Energien beladenen Gesellschaft, die diese Dinge selbst hervorgebracht hat.
 
Hier dürfen Sie ein bisschen Werbung für sich machen. Was dürfen wir von Ihnen in 2019 erwarten?

Im nächsten Jahr sind für den Kunstverein drei größere Projekte vorgesehen. Den Anfang macht im Februar die Ausstellung Power of Print – das Leben und Werk von Bea Feitler  – der früh verstorbenen Brasilianischen Fotografin, Designerin und Art-Direktorin für Harper’s Bazaar, Ms., Rolling Stone und Vanity Fair. Durch grundsätzliche Veränderungen von sonst üblichen Standards, gelang es ihr, die kommerzielle Repräsentation von Frauen neu zu verhandeln und die Zeitschrift als Masseninstrument zu nutzen, um soziale Fragen mittels ihrer lebendigen Ästhetik anzugehen.

Während der Art Cologne zeigt der Kölnische Kunstverein die erste umfassende Einzelausstellung des Künstlerduos Jay Chung (* 1976 in Madison, WI, USA) und Q Takeki Maeda (* 1977 in Nagoya, Japan) in Deutschland (Eröffnung 11. April 2019). Seit 15 Jahren schaffen sie einzigartige konzeptuelle sowie ästhetische und geistreiche Werke. Ihre Kunstwerke beschäftigen sich mit Fragen der Kritik und Referenz, des künstlerischen Einflusses und der Selbstreflexivität – der Beantwortung und Herausforderung von Bildkultur, Wahrnehmung, Kreativität, menschlicher Motivation und Schönheit.

Im September während der DC Open werden der Kölnische Kunstverein, der Bonner Kunstverein, sowie der Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, zeitgleich das in engem Dialog erarbeitete Ausstellungs-, Recherche-, Veranstaltungs- und Publikationsprojekt unter dem Arbeitstitel „Kooperation Männlichkeit“ eröffnen. Es ist das erste Mal in der Geschichte der drei Häuser, dass sich diese, zurzeit allesamt von Direktorinnen geleiteten, international renommierten Kunstvereine aus Nordrhein-Westfalen, zu einem derartig umfangreichen Vorhaben zusammenschließen.

Autor: Andi Goral