Köln | In Thüringen stimmten am Mittwoch CDU, AfD und FDP für Thomas Kemmerich, der drei Tage später nach viel Hickhack wieder vom Amt des Ministerpräsidenten zurücktrat. Heute wissen wir, seine Wahl war keine Überraschung – ein führender CDU-Politiker in Thüringen skizzierte die Vorgänge schon drei Tage zuvor und stellte fest, dass es große programmatische Überschneidungen mit AfD und FDP gebe, aber auch eine sich daraus ableitende Rivalität. Ein klarer Regieplan für die Abläufe am Mittwoch im Thüringer Landtag. Im Kölner Stadtrat verweigern CDU und FDP eine Debatte über rote Linien in der Zusammenarbeit mit der AfD und werden dabei von den Grünen unterstützt. Wer die politischen Vorgänge in dieser Woche sowohl in Thüringen, wie auch im Kölner Stadtrat diese Woche mit wenig reflektierten „Weimar“- oder „Nazi“-Vergleichen kommentiert, verkennt die politische Lage und Strategie eines Milieus, das in AfD, CDU und FDP stark vertreten ist und dem es vor allem darum geht, die freie, vielfältige und offene Gesellschaft durch ein durch und durch ultrakonservatives und nationalistisches Politik- und Gesellschaftssystem zu ersetzen.

Beginnen wir am 2. Februar mit der Lektüre des Debatten-Magazins „The European“. Dort schreibt ein Karl-Eckhard Hahn einen Artikel mit dem Titel „Überlegungen zur Entscheidungsfindung im 7. Thüringer Landtag“. Am Ende des Textes steht: „Der Verfasser gibt ausschließlich seine persönliche Auffassung wieder.“. Wer ist dieser Karl-Eckhard Hahn? Er ist Leiter des wissenschaftlichen Dienstes der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag. Ein Mann mit politischem Gewicht. In seinen Ausführungen analysiert Hahn mit messerscharfem Verstand die politische Ausgangslage seiner Fraktion und formuliert deutlich was die CDU-Fraktion in Thüringen beschlossen hatte: Dass die CDU sich nicht für politische Projekte aus dem ideologischen Geist von Rot-Rot-Grün erwärmen werde. Hahn deutlich: „Sie werden lernen müssen, dass ihre Lesart von Identitätspolitik, Genderpolitik, Antidiskriminierung oder Demokratisierung eben nicht Allgemeingut sind.“

Hahn findet zwei Drittel inhaltlicher Übereinstimmung in den Parteiprogrammen von AfD, CDU und FDP in Thüringen. In den klassischen Themenfeldern wie Bildung, Wirtschaft und innere Sicherheit sieht Hahn, erhebliche Differenzen zu Rot-Rot-Grün und er formuliert ganz deutlich für Thüringen den Wunsch Rot-Rot-Grün zu beenden. Zur AfD schreibt Hahn: „Die 22 Abgeordneten der AfD sind von den Thüringer Wählern genauso demokratisch legitimiert wie jene aller anderen Fraktionen auch und repräsentieren das Volk. Richtig ist daher zunächst, in der parlamentarischen Arbeit die gleichen Maßstäbe für alle gelten zu lassen. Anträge sollten nicht nach ihren Urhebern, sondern nach ihrer Qualität und Zustimmungsfähigkeit beurteilt werden.“ Zwar fordert er eine klare Kante gegen den Rechtspopulismus der AfD, aber auf der inhaltlichen Ebene sieht er weniger Bedenken, ganz im Gegenteil könne dies helfen, den Märtyrerstatus der AfD zu brechen. Dass der Flügel vom Verfassungsschutz beobachtet wird setzt Hahn mit der Beobachtung linker Strukturen gleich.

Zur Wahl des Ministerpräsidenten schreibt Hahn: „Doch was ist, wenn eine Regierung mit Stimmen von AfD-Abgeordneten ins Amt kommt? Die Frage ist durch die Ankündigung der FDP Thüringen, über einen eigenen Kandidaten für die Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten im Thüringer Landtag nachzudenken, wieder virulent geworden. Die Reaktion der LINKE-Landesvorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow war vorhersehbar: Die FDP dürfe nur einen Kandidaten aufstellen, der für die AfD nicht wählbar sei. Es geht nicht etwa darum, die AfD von einer Regierung fernzuhalten, sondern bereits die Zustimmung der AfD zum Kandidaten einer bürgerlichen Partei der Mitte zu skandalisieren. Das ist doppelzüngig, weil die Linke zugleich nicht müde wird, andere Fraktionen zur Nominierung von Kandidaten aufzufordern. Damit soll verhindert werden, dass eine etwaige Wahl Bodo Ramelows als alleinigem Bewerber auf verfassungsrechtlich möglicherweise schwankendem Grund stattfindet. Das Ansinnen der Linken ist demokratisch fragwürdig, weil die Bürger Thüringens nicht durch 68 sondern durch 90 Abgeordnete repräsentiert werden.“

Drei Tage vor der Wahl zum Ministerpräsidenten spielt der Leiter des wissenschaftlichen Dienstes der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag in Gedankenspielen das durch, was dann passierte. Wer glaubt denn da noch an einen Zufall?

Der Text von Hahn oder die Twitter-Grüße des mittlerweile zurückgetretenen Ostbeauftragten Hirte, die Kommentare aus der Werte-Union nach dem Mittwoch von Thüringen, machen mehr als deutlich und transparent, dass konservative und national gesinnte Politikerinnen und Politiker der CDU, AfD und der FDP mehr inhaltliche Gemeinsamkeiten wahrnehmen und immer weniger bereit sind, hier Kompromisse gegenüber SPD, Linken und Grünen einzugehen. Auch weil ihnen die politischen Mehrheitsverhältnisse nach Wahlen, wie in Thüringen, das Gefühl geben, dass sie mit den links der Mitte stehenden Parteien keine Kompromisse mehr eingehen müssen. Es geht CDU, AfD und FDP in großer Einigkeit darum, das Land national und rechtskonservativ auszurichten und die Errungenschaften wie Freiheit, Offenheit und Chancengleichheit zurückzudrehen.

Der Stadtrat von Köln

Seit der Kommunalwahl 2014 ist Henk van Benthem Bezirksbürgermeister in Köln Porz. Van Benthem ist Mitglied der CDU und der CDU-Fraktion im Kölner Stadtrat. Zum Bezirksbürgermeister wählten ihn damals CDU, FDP, Pro Köln und AfD. Grüne und CDU bildeten im Kölner Stadtrat damals das sogenannte Kernbündnis, das von der FDP unterstützt wurde. Diese Parteien unterstützten neben kleineren Gruppierungen auch die heutige Oberbürgermeisterin Henriette Reker bei ihrer ersten Kandidatur. Um dieses Kernbündnis nicht zu gefährden, einigten sich CDU und Grüne damals auf eine Kompromissformel in ihrem Kooperationsvertrag. Unter anderem stand dort: „Beide Parteien bedauern, dass bei einer Kölner Bezirksbürgermeisterwahl im Jahr 2014 rechtsextreme Stimmen den Ausschlag gegeben haben.“

Neben Henk van Benthem wurde auch seine Stellvertreterin Elvira Bastian, FDP, mit den Stimmen von Pro Köln, AfD und CDU gewählt. Beide sind bis heute im Amt. Der Rat beschloss am 1. Juli 2014, dass eine Zusammenarbeit mit Rechtsextremen ausgeschlossen sei. Jetzt wollten die SPD, die Linke und die Ratsgruppe Gut diese Resolution vor dem Hintergrund der Ereignisse in Thüringen im Stadtrat erneuern lassen. Unter anderem führt Punkt 1 auf: „Köln ist eine weltoffene, vielfältige und tolerante Stadt. Menschen vieler Nationalitäten, Kulturen, Religionen und sexueller Identität sind hier zu Hause. Humanität und Solidarität in unserer Demokratie sind Grundwerte, die die Grundlage unseres kommunalen Zusammenlebens und Handelns sind. Daher gilt es eindeutig Position zu beziehen gegenüber allen nationalistischen, rassistischen, diskriminierenden und fremdenfeindlichen Ideologien und Aktivitäten. Rechtsextreme Parolen und Positionen dürfen in Gremien des Rates und den Bezirksvertretungen kein Gehör finden.“ Auch eine Zusammenarbeit oder der Rückgriff auf Stimmen dürfe bei Personalentscheidungen keine Rolle spielen.

Der Antrag wurde abgelehnt. Der SPD-Fraktionsvorsitzender Christian Joisten dazu: „Ich bin doppelt schockiert. Liberale und Konservative in Thüringen begehen den Tabubruch einer Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen von der AfD und dem Faschisten Höcke. Und hier in Köln kann sich der Rat nicht zu einer klaren Resolution durchringen. Es geht CDU und Grünen ganz offensichtlich nur darum, den Porzer Bezirksbürgermeister Henk van Benthem zu schützen, der ebenfalls mit rechtsextremen Stimmen gewählt wurde. Der Tabubruch von gestern wird schnell zur Normalität von heute. Dem stellen wir uns mit aller Entschlossenheit entgegen.

Wir können unsere Demokratie nur bewahren, wenn wir sie entschlossen verteidigen. Als SPD-Fraktion im Rat der Stadt Köln haben wir eine klare Haltung. Unser Ziel war es, sie mit dem heutigen Beschluss zu bekräftigen. Auf dass Rechtspopulisten, Rechtsextreme, Antisemiten und Faschisten in unserem Land nie wieder mitbestimmen dürfen, wer an der Macht ist.“

Die Kommunalwahl 2020

Die Grünen und die CDU unterstützen gemeinsam die parteilose Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker. Die FDP scherte hier aus. Gerade in Köln hat die ultrakonservative „Werte-Union“ innerhalb der CDU eine starke Basis. Grüne und CDU wollen, so ist nach der Nominierung von Reker davon auszugehen, nach der Wahl unter Henriette Reker ihr Bündnis fortsetzen. So schreiben die Kölner Grünen: „CDU und FDP haben jetzt auf allen Ebenen die Aufgabe, entschlossen gegen Rechtsextremismus und jede Annäherung an die AfD vorzugehen. Wir nehmen die CDU Köln, die eine Zusammenarbeit mit Rechts ausgeschlossen hat, beim Wort und werden eine klare Abgrenzung in dieser Hinsicht gegenüber unserem Kooperationspartner immer wieder einfordern. Wir unterstützen die Kräfte innerhalb der CDU, die sich auch deutlich gegen AfD-freundliche Kreise, wie die selbsternannte CDU-Werte-Union‘ positionieren. Die sogenannte ‚Werte-Union‘ ist in Köln prominent vertreten und begrüßt die gemeinsam mit der AfD erfolgte Ministerpräsidentenwahl ausdrücklich. Die selbsternannte ‚Werte-Union‘ innerhalb der CDU ist für uns kein Gesprächspartner und wird es auch nie sein.“

Quo vadis CDU?

Aber wohin strebt die CDU? Der Text von Hahn skizziert den Weg deutlich: Jetzt wo der Weg offen scheint, mit nationalen, konservativen Werten wieder zu punkten und Mehrheiten zu erreichen, wird dieser Weg dem schon immer misstrauten Ziel von Vielfalt, Chancengleichheit und Diversität eindeutig der Vorzug erteilt. Was diese Kreise wollen ist zunächst nicht rechtsextrem, sondern sie haben nie überwunden, dass sich die Gesellschaft mit den 1968ern öffnete. Deren Freizügigkeit, deren Ideen von Freiheit passten Konservativen nie. Auch die Chancengleichheit von Frau und Mann, von Kindern und Jugendlichen aus Arbeiter- und Akademikerhaushalten passte nie ins konservative Weltbild. Alleine das Festhalten am dreigliedrigen Schulsystem manifestiert dies.

Aber die CDU in Köln und unter Merkel im Bund passte sich den geänderten Bedingungen an, öffnete sich flexibel dort wo es nötig schien, um die Macht und den Einfluss und die soziale Überlegenheit der Konservativen zu sichern. Die Ära Merkel geht zu Ende und die Ultrakonservativen, die Deutsch-Nationalen, Rechtskonservativen und Rechtsextremen sind gestärkt. Intellektuell und strategisch. Die Grünen müssen sich, wie das Beispiel des Kölner Stadtrates und der Bezirksvertretung Porz zeigt, verbiegen und politische Kröten schlucken, die so gar nicht zu dem von ihnen postulierten Welt- und Gesellschaftsbild passen. Die Kölner Grünen zeigen, mit der Ablehnung der Bekräftigung der Resolution, Treue zu ihrem Kooperationspartner CDU in Köln. Dabei müssen die Grünen sich die Frage stellen – vor dem Hintergrund des Hahn-Textes zu Thüringen, ob die CDU noch den Ideen einer freien und offenen Gesellschaft treu ist? Denn das war bisher die Stärke auch von Koalitionen, Kooperationen oder Kernbündnissen: Das offene, vielfältige auf Chancengleichheit ausgerichtete und das konservative, autoritäre und auf die Nation ausgerichtete Gesellschaftsmodell musste im Alltag sich ausgleichen und für beide Seiten bewähren. Verrutscht diese Balance wird es einseitig.

Wer der AfD immer nur das Schimpfwort „Nazi“ entgegenruft, der hat nicht begriffen, dass es nicht um eine Rückkehr in die Zeit des Nationalsozialismus geht, sondern um eine Rückkehr in den Neo-Konservativismus. Der scheint, und das ist das eigentlich Fatale, aktuell attraktiver zu sein, als persönliche Entscheidungsfreiheit, Chancengleichheit und das Leben und Zusammenleben in einer vitalen, offenen und vielfältigen Gesellschaft. Linke, Grüne, Umweltschützer, Sozialdemokraten sollten erkennen, dass Konservative sie nur dann akzeptieren, wenn sie für den Machterhalt wirklich von Vorteil sind. Gibt es andere Optionen kippt man diese schnell und skrupellos aus dem gemeinsamen Regierungsboot. Es gilt daher nicht nur eine Strategie gegen Rechtsextremismus zu entwickeln, sondern darum, den Menschen in dieser Stadt und diesem Land klar und deutlich zu machen, was auf dem Spiel steht: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Frieden. Die, denen diese Werte wichtig sind, sollten endlich anfangen statt Parolen und Plattitüden zu rufen, Strategien und Narrative zu entwickeln, wie sie den Menschen verdeutlichen, worin die Vorteile von Freiheit und Chancengleichheit liegen. Denn bei der Entwicklung von politischen und parlamentarischen Strategien zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele sind ihnen die Ultrakonservativen derzeit zwei Schritte voraus.

Autor: Andi Goral