Köln | Es war am 7. April 2019 als AfD-Funktionär Felix C. in Köln-Kalk einen Menschen anfuhr und anschließend vom Unfallort mit aufheulendem Motor davonraste, ohne sich um den Verletzten zu kümmern. C. spricht von Notwehr, sein Anwalt forderte Freispruch und Oberstaatsanwalt Willuhn 7 Monate auf Bewährung und 6 Monate Führerscheinentzug. Das Amtsgericht Köln unter dem Vorsitz von Richterin Dr. Schotten folgte dem Antrag der Staatsanwaltschaft, bis auf die Dauer des Führerscheinentzugs. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Hinweis der Redaktion: Das Landgericht hob dieses Urteil des Amtsgerichts Köln auf und sprach den Mann frei: https://www.report-k.de/landgericht-koeln-spricht-afd-funktionaer-frei/

AfD-Mann C. hatte Angst und stellt sich als Opfer dar

Bedrohlich und düster beschreibt der Bonner AfD-Funktionär Felix C. den 7. April in Köln-Kalk und sich selbst lediglich als Teilnehmer des Europawahlkampfauftaktes seiner Partei der AfD im Bürgerhaus Kalk. Dabei dürfte ihm, der auch in der AfD Jugend auf vielen Fotos zu sehen ist, bekannt sein, dass AfD-Veranstaltungen in der Nachbarstadt von Bonn, also Köln von Gegenprotesten begleitet werden. Dem Gericht schilderte er eine aggressive Lage vor Ort und, dass er lediglich Teilnehmer gewesen sei. Das stimmte nicht so ganz, denn C. im schicken Anzug mit Hut, zeigte sich als Reporter mit Mikrofon und interviewte sogar Gegendemonstranten, wie ein Video beweist und kommentierte dies.

Auch andere Ungereimtheiten in der Aussage, etwa wann er den Veranstaltungsort verließ, fallen auf, spielten aber für die Vorsitzende keine Rolle, obwohl sie sich intensiv mit dem Vorgeschehen immer wieder befasste, das aber mit der eigentlichen Tat nichts zu tun hatte und vor der eigentlichen Tat abgeschlossen war: Denn C. und sein Begleiter R. konnten sicher in der Breuerstraße in Köln-Kalk nach der AfD-Veranstaltung ihr abgestelltes Fahrzeug erreichen – ja wegen ihnen wurde die Straße sogar kurzzeitig von Kölner Polizeibeamten gesperrt. Es gab also von den staatlichen Ordnungsbehörden einen hohen Kümmerfaktor. Zeitweilig entstand der Eindruck, dass die Vorsitzende stark der Erzählung der Verteidigung und des Angeklagten folgte, auch in ihrer Beweisaufnahme.

Der Fall um den es eigentlich ging

Dann kam es zu dem was C. Notwehr nennt, der Vertreter der Nebenklage als Verbrechen einstuft, und für das er jetzt erstinstanzlich zu 7 Monaten auf Bewährung verurteilt wurde.

C. und sein Begleiter R erreichten unter Polizeischutz sicher die Breuerstraße, die für sie gesperrt wurde. Eine Gruppe Gegendemonstranten war ihnen zuvor gefolgt. C. und R. fuhren aber nicht sofort los, sondern warteten, starten zunächst in die falsche Richtung der Sackgasse und drehten dann um. Die Gruppe Gegendemonstranten versorgte sich derweil im Büdchen mit Bier und ging anschließend Richtung Kalker Hauptstraße. Diese überholte C. mit seinem Mietwagen und hielt an der Roten Ampel. Dort kam es zum erneuten Aufeinandertreffen. C. und R. im verriegelten Mietwagen, die Gruppe mit einem Rollstuhlfahrer vor ihnen beim Queren der Straße bei Grünlicht für Fußgänger.

C. schildert die Situation dramatisch, sein Beifahrer bestätigt aber die Dramatik nur zum Teil, vor dem Hintergrund im Verfahren vereidigt werden zu können. C. fährt den 24-Stunden Begleiter des Rollstuhlfahrers an. Die Gruppe protestiert, der Begleiter schlägt auf die Motorhaube. Als C. sieht, dass es für ihn hier nicht weitergeht, setzt er ein Stück zurück – wie weit kann das Gericht nicht klären – und fährt links an der Gruppe vorbei. Dieses Vorbeifahren zeigt auch ein Video, das Unbeteiligte auf der anderen Straßenseite drehten.

Aber da ist noch der Nebenkläger Sch., der C. im Weg steht. Auf den fährt er zu. Der rettet sich mit einem Sprung auf die Motorhaube. Der Gutachter kommt zu dem Schluss, dass C. hier mindestens 8 km/h schnell gefahren sein muss. Zur Einordnung: In Spielstraßen gilt Tempo 7 km/h, um Menschen zu schützen. Er und sein Begleiter R. sprechen von „rollen“ – aber 8 km/h ist mehr als „rolllen“. Sch. schafft es sich von der Motorhaube durch Sprünge nach hinten zu retten. Er ist Sportler und Skateboarder und kennt Situationen, in denen man sich von einem fahrenden Gegenstand durch Taktik retten kann. C. biegt mit seinem Mietwagen auf die Kalker Hauptstraße ein und gibt mit aufheulendem Motor „Fersengeld“, wie der Gutachter sagt. Danach hält C. nicht an.

“Lagerzeugen“

Mehrere Zeugen bestätigen dies, auch die sogenannten „Lagerzeugen“, wie sie Oberstaatsanwalt Willuhn bezeichnet, also die, die er der Gruppe Gegendemonstranten aus dem linken Lager zurechnet. Aber auch eine unabhängige Zeugin, eine junge Kalker Bürgerin, bestätigt das im Video eindeutig dokumentierte. Die muss sich vom Angeklagten C. als Kalker Bürgerin die Frage gefallen lassen, warum sie in ihrem eigenen Veedel vor Ort war. Sie kontert: Weil ich dort wohne und rausgehe wenn ich das will. Auffällig ist zudem, dass weder Staatsanwaltschaft noch Richterin einmal C. nach alternativen Handlungsszenarien fragten, als dieser behauptete er hätte sich nur durch Notwehr so in dieser Form selbst retten können, weil er so in Angst gewesen sei. Also warum er nicht einfach zurückgesetzt habe und seinen Beifahrer bat die Polizei anzurufen? Die war zu diesem Zeitpunkt immer noch im Sondereinsatz, wie diese Internetzeitung berichtete und die Richterin in der ersten ursprünglich aufgenommen Verhandlung genau dies auch den Angeklagten fragte. Immerhin studiert C. Jura, da müsste ihm das staatliche Gewaltmonopol eigentlich bekannt sein. C. Hat, obwohl ihm bewusst war, dass er sich in einem laufenden Verfahren befan,d zu seinem Verhalten dem „Y-Kollektiv“ ein Interview gegeben, in dem er sein Handeln rechtfertigt:

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Statt hier also den Angeklagten nach seinen Motiven oder Alternativen zu befragen, fragte die Vorsitzende alle Zeugen nach Bierflaschen und wie sie diese trugen.

Die Notwehr-Theorie

In seiner Anklage machte Oberstaatsanwalt Willuhn mehr als deutlich, warum er der von der Verteidigung konstruierten Notwehr-Theorie nicht folge. Auch wenn Willuhn klar machte, dass er glaube, dass an der Breuerstraße zu einem Ping Pong zwischen den beiden Lagern gekommen sei, indem C. nach vorne fuhr und die Gruppe Parolen skandierte oder den Weg nicht frei machte. Dies stelle aber keine Nötigung dar oder gar einen Angriff auf Rechtsgüter wie das Leben. Willuhn schätzte dies als Selbstbehauptung des Angeklagten ein. Wenn jeder in Deutschland jetzt Notwehr für sich reklamieren könnte und über jemanden „rübermangeln“ würde, weil der im Weg steht, dann wäre etwas los auf den Straßen, so der Staatsanwalt polemisch. C. wirft er vor, das Auto als „Waffe“ eingesetzt zu haben und damit sei eine Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und auch wegen gefährlicher Körperverletzung mittels gefährlichen Werkzeugs gerechtfertigt. Strafmildernd sei einzubringen, dass C. nicht vorbestraft sei und der Schaden gering sei.

War C. in einer Albtraumsituation?

Der Nebenklägervertreter Reinecke sieht – anders als Staatsanwaltschaft und Gericht – dass C. es bewusst darauf angelegt habe, jemanden zu verletzten und es ein zielgerichtetes Verbrechen war, das auch verwirklicht worden ist, denn sein Mandant Sch. erlitt Verletzungen. Dass diese so glimpflich verliefen, sei nur der Sportlichkeit seines Mandanten zu schulden. Ganz anders sah die Lage der Verteidiger von C., der von einer Albtraumsituation für seinen Mandanten spricht, als der Elektrorollstuhlfahrer und dessen Betreuer sowie zwei weitere Personen seinen Mandanten im abgeschlossenen Wagen an der Weiterfahrt hindern, weil sie nicht schnell genug die Fahrbahn frei machten. Dies sei eine Bedrohung gewesen, der sich sein Mandant zur Wehr setzte. Dem eigentlichen Opfer Sch. unterstellt der Verteidiger von C. absichtlich auf den Wagen gesprungen zu sein und er sei selbst schuld, wenn er auf der Straße einfach stehen bliebe. Er forderte einen Freispruch für C. Auch der Angeklagte nutzte sein letztes Wort und ging erneut auf die gestörte AfD-Veranstaltung ein, die massiv behindert worden sei und erklärte warum er Anzug getragen hatte und ihm nicht bewusst gewesen sei, dass in Kalk „Schwarze Bomberjacke und schwarze Hose“ getragen würden. Er habe bei seiner Notwehr das mildeste Mittel angewandt, so C.

Das Urteil

Wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und gefährliche Körperverletzung und Unfallflucht wird C. zu 7 Monaten auf Bewährung verurteilt. An den Nebenkläger muss er 250 Euro Schmerzensgeld zahlen und sämtliche Kosten des Verfahrens tragen. Die Fahrerlaubnis muss er für drei Monate abgeben, hier folgte das Gericht nicht der Staatsanwaltschaft. Für das Gericht sei nicht bestätigt, dass der Angeklagte aus Absicht gehandelt habe und daher bestätige sich nicht die Verbrechensform. Eine Absicht sei dem Angeklagten nicht nachzuweisen. Die gefährliche Körperverletzung sei als minder schwerer Fall zu werten, da es zuvor aus der Gruppe heraus Provokationen gegeben habe, so die Vorsitzende. C.s Argumentation aus Notwehr gehandelt zu haben, folgt das Gericht nicht. Es habe keinen Tatbestand der Bedrohung gegeben. Auch die Unfallflucht sei erwiesen.

Das Urteil ist am untersten Rahmen ausgerichtet und der heutige Verfahrenstag zeigte eine Unkonzentriertheit in der Beweisaufnahme. Immer wieder rollte die Richterin die Gesamtsituation des Tages auf, obwohl diese wenig mit dem konkreten Ereignis zu tun hatte. Dass AfD-Mann C. sogar seine Darstellung der Ereignisse im Video-Zusammenschnitt von den Störaktionen der Linken präsentieren durfte, irritiert, vor allem weil dies nichts mit dem konkreten Fall zu tun hatte.

Auch seine Fragen an Zeugen, etwa wie viel sie getrunken haben, oder die unabhängige Zeugin, warum sie vor Ort war, sind schwer zu ertragen. Durch diese Unschärfen in der Beweisermittlung fehlten die wirklich entscheidenden Fragen, die die Richterin aber gar nicht an C. stellte: Etwa warum dieser nicht weiter zurückfuhr, um sich und seinen Begleiter in Sicherheit zu bringen? Dann warum er als Jurastudent nicht die Polizei rief, die ihm ja zuvor schon sicheres Geleit bot? Immerhin hatte die Polizei ihn auch bis zum Auto begleitet. Hätte er wirklich so viel Angst gehabt, warum hat er sich nicht aus der Breuerstraße heraus begleiten lassen und schon vorher die Beamten um Hilfe gebeten? Alles das fragte die Vorsitzende nicht, sondern legte den Fokus ihrer Beweisaufnahme auf die Frage nach Pöbeleien, Randale, Bierflaschen bevor C. Menschen anfuhr. Irritierend auch die Rolle des Gutachters, der russische Autoaktivisten und deren Art auf Autos zu springen mit dem Opfer verglich. Schon zuvor war der Gutachter aufgefallen, indem er Wertungen vornahm, die nicht zu seiner Rolle als technischer Gutachter zählen.

Souverän agierte die Staatsanwaltschaft durch Oberstaatsanwalt Willuhn, der richtigerweise auf die politische Situation einging, aber auch sachlich argumentierte und klar machte, dass C. das Urteil vielleicht dabei helfen könne zu verstehen, politische Grenzen nicht zu überschreiten. Dass es eine reinigende Wirkung beim Angeklagten C. entfalten wird, steht allerdings nach C.s Einlassungen im Schlussplädoyer in Frage. Gegen das Urteil kann Berufung innerhalb einer Woche eingereicht werden.

Autor: Andi Goral
Foto: Das Foto zeigt den Angeklagten mit seinem Anwalt am 20.11.2019