Köln | Bereits sieben Rechtsanwälte aus dem gesamten Bundesgebiet hat der Sprecher der Interessengemeinschaft Keupstraße, Mitat Özdemir, gezählt, die in den vergangenen Tagen und Wochen versucht haben, neue Nebenkläger für den NSU-Prozess in München zu finden. „Es ist unerhört, wenn völlig unbekannte Personen bei uns auftauchen und behaupten, die bisherigen Rechtsanwälte der Nebenklage seien schlecht und sie könnten es besser.“, ärgert sich Özdemir gestern auf einer Pressekonferenz im Kölner Kulturzentrum Alte Feuerwache.

Geschockt waren er und die Opfer des Nagelbombenanschlags vom Antrag eines Rechtsanwalts, der fast dazu geführt hätte, dass der Kölner Fall vom restlichen NSU-Prozess abgetrennt geworden wäre. Der Jurist hatte mit Blick auf BKA-Erkenntnisse, dass es 2004 Opfer in einem Umkreis von 250 Metern um die Bombe gegeben haben könnte, gefordert, den Prozess auszusetzen, damit sich 75 potentielle neue Nebenkläger melden könnten. Darauf habe der vorsitzende Richter die Ausgliederung des Keupstraßen-Anschlags angeregt.

„Ich dachte im ersten Moment, jetzt sind wir schon wieder auf eine andere Art zu Opfern geworden. Wir mussten drei Tage zittern und befürchten, aufs Abstellgleis geschoben zu werden. Das war nicht leicht für uns“, sagt Özdemir. Auch bei den Anwälten der Nebenklage sitzt der Schock über diese unvorhersehbare Wendung des Prozesses tief: „Die vorläufig abgewendete Ausgliederung wäre keine Bagatelle, weil sie die Einstellung des Verfahrens beim Keupstraßen-Anschlag zu Folge haben könnte. Damit würden die Kölner Opfer zum zweiten Mal bestraft“, sagt Rechtsanwalt Reinhard Schön, der in München fünf der 31 Kölner Opfer vertritt.

Erklärt wird die befürchtete Einstellung von der Nebenklage damit, dass ein gesonderter Prozess wohl nicht parallel sondern im Anschluss an den laufenden Prozess geführt worden und damit vermutlich vom Erkenntniswert eher gering wäre. „Erst werden die Opfer wie Tatverdächtige behandelt, dann wird das Verfahren möglicherweise eingestellt. Das hätten wir unseren Mandanten nicht vermitteln können.“, sagt Schön. Da immer noch Anwälte um neue Nebenkläger in der Keupstraße werben würden, sei die drohende Ausgliederung auch noch nicht endgültig ausgestanden, da das Argument, dass mehr Nebenkläger das Verfahren sprengen könnte, nicht aus dem Raum sei.

„Für mich war dieser Verlauf ein Schock. Wie soll man das einem Opfer beibringen, dass mit der Ausgliederung wohl alles vorbei ist? Was juristisch möglich ist, ist in dem Fall menschlich nicht vermittelbar.“, sagt Monika Müller-Laschet, die einen Mandanten vertritt, der bei dem Anschlag schwerste Verletzungen davon getragen hat. Nur mit guter Zusammenarbeit und vollem Einsatz habe man die Ausgliederung noch abwenden können.

Neben dem Appell an die Kollegen, das unseriöse Werben in der Keupstraße einzustellen und die Bitte an deren Bewohner, sich durch möglich lukrative Versprechungen in Sachen möglicher Entschädigungszahlungen sich nicht blenden zu lassen, gibt es bei den Nebenklägern im NSU-Prozess auch Überlegungen, wie man solche Situationen künftig vermeiden kann: „Man muss sich im Anschluss an das Münchener Verfahren Gedanken machen, ob man nicht mit Musterklagen wie im Fall der Telekom-Aktionäre eine bessere Lösung findet“, sagt Eberhard Reinecke. Dann würden wenige Nebenklagen für alle Opfer rechtsgültig werden.

Bei den Menschen, die selbst in der Keupstraße beim Anschlag verletzt wurden, wächst die Wut auf Akteure, die mit ihrem Leid Geld verdienen wollen. „Wir sind empört über Rechtsanwälte, die sich in die Keupstraße einschleichen und dort auf unserem Rücken ihre Geschäfte machen wollen. Nicht jeder kann Opfer sein. Dass muss in jedem Fall genauestens überprüft werden“, fordert Abdulla Özkan. Auch Atilla Özer kann so ein Verhalten nicht begreifen: „Das ist absolut respektlos gegenüber den Opfern und ihren Familien. Es ist erbärmlich, wie sich manche fremde Rechtsanwälte derzeit bei uns benehmen.“

Autor: Stephan Eppinger
Foto: Rechtsanwälte Sabine Singer, Monika Müller-Laschet, Reinhard Schön und Mustafa Kaplan (vlnr.)