Brandanschlag in Solingen am 29. Mai 1993. Das Foto zeigt das ausgebrannte Haus der türkischen Familie Genc in Solingen. | Foto: IMAGO / Tillmann Pressephotos

Köln | aktualisiert* | Auf der Venloer Straße in Köln wurde heute auf die Kundgebung am 29. Mai zum 30. Jahrestag des Solinger Brandanschlages erinnert und informiert. Der Kölner Rechtsanwalt Eberhard Reinecke, der im Prozess die Nebenklage vertrat, bezieht Stellung zu den Erklärungen der drei Verurteilten des Solinger Brandanschlages. Reinecke: „An Schamlosigkeit nicht zu überbieten – die Unschuldsbeteuerungen der verurteilten Täter des Solinger Brandanschlages“.

Der Rechtsanwalt Jochen Ohliger versandte Schreiben der drei Verurteilten wenige Tage vor dem 30. Jahrestag des Solinger Brandanschlages. In diesen beteuerten diese ihre Unschuld und stellten sich als Opfer der Justiz dar. Report-K berichtet über den Jahrestag und die politischen Rahmenbedingungen rund um das Jahr 1993 und in Teilen aus den Schreiben der drei Verurteilten.

Kölner Anwalt gibt in eigenem Namen Erklärung ab

Eberhard Reinecke war in dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf einer der Nebenklagevertreter. Heute gab der Kölner Anwalt eine Erklärung in eigenem Namen ab und schreibt: „Ich halte es für unzumutbar, dass sich meine damaligen Mandanten in den Stunden der Trauer mit den Erklärungen der Täter auseinandersetzen.“

Reinecke wirft den Verurteilten vor, schamlos die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit anlässlich des Gedenkens zu nutzen, um sich selbst als Justizopfer darzustellen. Er fragt warum Christian Buchholz, Markus Gartmann und Felix Köhnen nach mehr als 25 Jahren, in denen sie sich mit dem Urteil auseinandersetzen konnten – ohne dass irgendjemand ihnen ein Schweigegebot auferlegte – jetzt mit äußerst dürftigen Erklärungen ihre Unschuld beteuerten. Da sich die drei Verurteilten selbst mit Klarnamen geoutet hätten, nutze Reinecke diese nun auch, schreibt der Kölner Anwalt. Reinecke zeigt sich besorgt, da diese Schreiben mittlerweile von der Politik in Solingen aufgegriffen worden seien und der SPD-Geschäftsführer im Stadtrat im Solinger Tageblatt von unbekannten Strukturen orakle. Und dass obwohl Ohliger und die drei Verurteilten eine Alleintäterschaft das vierten Verurteilten Christian R. in den Raum stellen.

Reinecke: „Man kann also nur wieder feststellen, dass offensichtlich bis heute Teile der Stadtgesellschaft in Solingen es immer noch nicht wahrhaben wollen, dass tödlicher und tötender Rassismus nicht nur ein Problem entwurzelter Fürsorgezöglinge ist, sondern weit in die gute Gesellschaft hineinreicht. Immer noch soll es offenbar nicht wahr sein, dass auch ein Sohn aus einem Arzthaushalt und der Sohn eines biederen Handwerkers an dem Brandanschlag beteiligt waren. Noch schöner für Solingen wäre natürlich, wenn es – wie der SPD-Mann in die Diskussion wirft – vielleicht sogar bisher unbekannte auswärtige Täter gäbe.“

Reinecke zum Prozess

350 Seiten habe das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Auf rund 100 Seiten setze sich das Gericht mit dem Geständnis des Angeklagten Markus Gartmann auseinander. Reinecke sieht darin den zentralen Punkt der Entscheidung des Gerichts. Um das Geständnis drehen sich auch die Schreiben der drei Verurteilten, die erklären, dass dieses Geständnis unter Druck entstand. Dies bezweifelt Reinecke und argumentiert; „Die jetzt wieder in den Erklärungen behauptete Drucksituation bei polizeilichen Vernehmungen sind schon deswegen ohne Bedeutung, weil der Angeklagte Markus Gartmann das Geständnis ohne jeden Druck in der Hauptverhandlung und auch gegenüber Sachverständigen mehrfach wiederholt hat. Darüber hinaus hatte er zwei Pflichtverteidiger, von denen einer dem Geständnis eher kritisch gegenüberstand.“

Schäbig nennt Reinecke die Behauptung von Gartmann, dass sein Verteidiger ihm geraten habe das Geständnis abzugeben. Reinecke mit Argumenten: „Offenbar sehr bewusst umgeht Markus Gartmann in der jetzigen Erklärung die viel wichtigere Frage, ob er denn gegenüber seinem Verteidiger erklärt hat, dass er, Christian Buchholz und Felix Köhnen unschuldig seien, mit anderen Worten, ob ihm sein Verteidiger dazu geraten habe, ein falsches Geständnis abzugeben oder ob er auch gegenüber seinen Verteidigern gestanden hat. Es steht Herrn Gartmann frei, seinen damaligen Verteidiger von der anwaltlichen Schweigepflicht zu entbinden, damit dieser erklären kann, ob auch ihm gegenüber Herrn Gartmann das Geständnis abgelegt hat oder ob er das Geständnis als falsch bezeichnet hat. Wer weiter in der Öffentlichkeit über das falsche Geständnis von Markus Gartmann fabuliert, der sollte sich zunächst mit diesen 100 Seiten im Urteil des OLG auseinandersetzen.“

Reinecke erinnert an die Aussagen im Prozess, die die rechte Gesinnung der drei Verurteilten zeige. Das Urteil des Oberlandesgerichts in Düsseldorf zitierte damals aus dem Tagebuch von Christian Buchholz: „Der schwule Kanake Ali machte mich blöd an“; „Ihr werdet auch noch brennen … Niedertreten bis sie beten, Kanaken knacken. Fuck off“. Schließlich vertraute er dem Tagebuch unter dem (S. 37) 10. April 1993 – etwa 1 1/2 Monate vor der Tat – an, daß er an diesem Tage eine Tasche mit zuvor in Düsseldorf gekauften Sachen in einer Telefonzelle vergessen, nach ihm eine Ausländerin („Kanakenmama“) die Zelle betreten habe und daß „dieses asoziale Kanakenschwein vom Cocktail noch nicht verbrannt worden ist“, „die gesammte Tasche“ bereits „in eine Alditüte“ „umgeräumt“ gehabt habe, bevor er zur Telefonzelle zurückgekehrt sei (S. 38).“

Reinecke kommt zu dem Schluss: „Der Brandanschlag in Solingen zeigt vor allem eines: Rassismus und extrem rechte Gesinnung sind wie ein Pulverfass. Es bedarf oft nur einer Kleinigkeit um das Fass zur Explosion zu bringen. Rassismus tötet und die nutzlose Diskussion über die Täterschaft von Buchholz, Gartmann und Köhnen lenkt von den Aufgaben im Kampf gegen den Rassismus nur ab.“

| *Aktualisiert 29.5.2023: Erstveröffentlichung: 27.5.2023, 17:58 Uhr |