Köln | aktualisiert | ag, dts | Am 29. Mai 1993 starben Gürsün İnce (*4. Oktober 1965), Hatice Genç (*20. November 1974), Gülüstan Öztürk (*14. April 1981), Hülya Genç (*12. Februar 1984) und Saime Genç (*12. August 1988) beim rechtsextremen und rassistischen Brandanschlag in der Unteren Wernerstraße in Solingen. 14 weitere Menschen wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Der Anschlag jährt sich zum 30. Mail in diesem Jahr. Am Montag gibt es in Solingen eine Demonstration des Bündnis „Solingen´93 – Unutturmayacağiz! Niemals vergessen!“. Mit dabei unter anderem auch die Brings-Brüder und Fatih Çevikkollu. Und es gibt Aussagen von drei der vier Verurteilten.
Die frühen 1990er Jahre und das politische Klima
Die Familie Genç lebte 1993 in der Unteren Wernerstraße in Solingen. Die Familie wurde Opfer von Rassismus. Es ist der Beginn der 1990er Jahre in Deutschland. Politisch tobte damals die mit äußerster Schärfe geführte Asyldebatte. 1992/93 kam es zwischen den Regierungsparteien aus Union und FDP sowie mit der SPD zum sogenannten Asylkompromiss. Eine Grundgesetzänderung schränkte das individuelle Recht auf Asyl stark ein. Die Zahl der Asylbewerber sank und die Asyldebatte war beendet. Es sind populistische Begriffe wie „Asylschwindler“, „Scheinasylanten“ und „Asylmissbrauch“, die die Debatte damals prägten. Medien wie die „Bild“ titelten „Die Flut steigt – wann sinkt das Boot?“ oder „Fast jede Minute ein neuer Asylant“. Die politische Debatte wurde von rassistischen Ausschreitungen von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen bis Solingen begleitet. Zu den Ausschreitungen in Hoyerswerda meldete die „Tagesschau“ damals: „Der Triumph der braven Bürger. Eine Woche lang hatten sie zugeschaut, als die Rechtsradikalen randalierten. Dann waren die 70.000 Deutschen von Hoyerswerda ihre 300 Ausländer los. Die Polizei, das Land Sachsen, die Bundesregierung, sie kapitulierten vor dem Terror der Straße.“
Die damalige CDU/CSU und FDP-Bundesregierung brauchte die SPD für die Grundrechtsänderung im Deutschen Bundestag und übte entsprechenden Druck auf die Sozialdemokratie aus. Die CDU initiierte unter Volker Rühe eine regelrechte Kampagne und versorgte ihre kommunalen Mandatsträger:innen mit entsprechendem PR-Material. Rühe brachte damals den Begriff, dass jeder Asylant ein „SPD-Asylant“ sei, wenn sich die Sozialdemokratie nicht der durch die Bundesregierung geplanten Grundgesetzänderung anschließe.
Solingen 1993
In der Nacht auf Pfingstsamstag 1993 verlor Mevlüde Genç zwei ihrer Töchter, ihre Nichte und zwei Enkelinnen. Brandbeschleuniger waren in das Haus geschleudert worden. Selbst danach wurde von Teilen der Politik und Presse nicht der Rassismus der deutschen Bevölkerung in den Fokus der Kritik gestellt. Der Brandanschlag von Solingen ereignete sich drei Tage nachdem der Deutsche Bundestag am 26. Mai 1993 das Asylrecht eingeschränkt hatte und damit die Anti-Asyl-Kampagne erfolgreich war. Es war damals Gregor Gysi, PDS, der mahnte: „Und Sprache ist verräterisch. Es waren Politikerinnen und Politiker, die Begriffe von Scheinasylanten, von Flüchtlingsströmen, von Wirtschaftsflüchtlingen, vom Asylmissbrauch, von asylfreien Zonen, von Durchmischung und Durchrassung und das schlimme Wort vom Staatsnotstand in die Debatte brachten und solche Worte zeigen Wirkung. All jene, die in der beschriebenen Art und Weise die Asyl-Debatte führten und führen, haben an rassistischen und ausländerfeindlichen Pogromen als intellektuelle Urheber ihren Anteil.“
Und heute?
Heute besucht Ministerpräsident Hendrik Wüst, CDU, Schüler:innen, um mit ihnen über den Brandanschlag von Solingen zu sprechen. 175 Kinder und Jugendliche aus Solingen, Dortmund, Köln und Mülheim hatte Wüst ins Düsseldorfer Schauspielhaus eingeladen, um mit ihnen darüber zu sprechen wie heute Rassismus begegnet werden könne. Eine schriftliche Mitteilung zitiert Wüst: „Der 29. Mai 1993 war einer der dunkelsten Tage in der Geschichte Nordrhein-Westfalens, an dem Fremdenhass sich in seiner niederträchtigsten Form gezeigt hat. Auch 30 Jahre nach dieser menschenverachtenden Tat bleiben Fassungslosigkeit und Trauer. Es gilt ganz klar: Das Erinnern an diese Tat darf nie enden. Erinnern an Solingen bedeutet, niemals zu vergessen, was passiert ist. Erinnern bedeutet auch, aus der Vergangenheit zu lernen und jeden Tag dafür einzustehen, dass Hass, Hetze und Fremdenfeindlichkeit keinen Platz in unserer Gesellschaft haben – das bleibt eine immerwährende Aufgabe. Ich bin dankbar, dass die Landeszentrale für politische Bildung diese gemeinsame Verantwortung mit ihrem Aktionstag insbesondere auch jungen Menschen ins Bewusstsein rückt.“
Neben der NRW-Schulministerin Dorothee Feller, CDU, kommt auch die grüne NRW-Integrationsministerin Josefine Paul zu Wort: „Auch 30 Jahre nach dem furchtbaren Anschlag auf Familie Genç sind die Bilder immer noch in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt. Es ist leider traurige Gewissheit: Die damaligen Taten in Mölln, Rostock-Lichtenhagen und eben Solingen wie auch die Morde des NSU und der Terroranschlag in Hanau sind keine Ausreißer in unserer Geschichte. Sie zeigen, dass es rassistische Kontinuitäten gab und noch immer gibt. Für uns ist klar: Als offene und vielfältige Gesellschaft stellen wir uns diesem rassistischen Gedankengut mit aller Kraft entgegen und werden auch in Zukunft für ein rassismusfreies Miteinander eintreten. Dazu gehört auch, dass wir weiterhin den betroffenen Familien zuhören, um gemeinsam Antworten zu finden. Nur indem wir als Gesellschaft das Vergangene ehrlich aufarbeiten, hinschauen und uns selbst auch hinterfragen, können wir aus Vergangenem lernen und Veränderungen anstoßen.“
Auch heute noch viele offene Fragen
Das Bündnis „Solingen´93 – Unutturmayacağiz! Niemals vergessen!“ ruft nicht nur zur Kundgebung am 29. Mai um 12 Uhr auf den Solinger Neumarkt/Graf-Wilhelm-Platz auf, sondern stellt Fragen. Das Bündnis ist der Auffassung, dass die Hintergründe bis heute nicht wirklich geklärt wären. Das Bündnis „Solingen´93 – Unutturmayacağiz! Niemals vergessen!“ stellt Fragen nach der Rolle des Verfassungsschutzes. Nach Angaben des Bündnisses trainierten drei der vier verurteilten Täter in der Kampfsportgruppe „Hak Pao“, die von einem V-Mann des Verfassungsschutzes geleitet worden sein soll. Das Bündnis fragt: Hätte der Solinger Brandanschlag verhindert werden können. Die Forderung des Bündnisses ist daher die Rolle des Verfassungsschutzes aufzuklären, Rassismus, Faschismus und Rechtspopulismus zu bekämpfen. Diese Fragen werden sicher bei der Kundgebung von den Redner:innen thematisiert.
Das Programm der Demo 30 Jahre danach in Solingen:
• Orhan Çalışır, Cousin des am 27.12.1992 von Neonazis in den Tod gehetzten Şahin Çalışır,
• Kutlu Yurtseven / Microphone Mafia, Herkesin Meydani – Platz für Alle (Mahnmahl an der Keupstraße) Köln 9. Juni 2004
• Emiş Gürbüz, Mutter von Sedat Gürbüz, ermordet am 19.02.2020 in Hanau
• Brüder Brings
• Fatih Çevikkollu
• Uli Klan/Armin T. Wegner-Gesellschaft e.V.
• Uli Klan und Asli Dila Kaya / Musikbeitrag
• Merve Sahin / Initiative BIPoC Solingen
• Kirvem Erdal / Musikbeitrag (Saz und Gesang)
• Alice Czyborra / Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA e.V.)
• Vertreter vom Türkischen Volksverein Solingen und Umgebung e.V. und der Alevitischen Kulturgemeinde Solingen und Umgebung e.V.
• Mehr Infos : solingen93.info
Drei der vier Verurteilten äußern sich 30 Jahre danach
Der Strafverteidiger von drei Verurteilten im Prozess um den Solinger Brandanschlag verschickte diese Woche eine Stellungnahme seiner Mandanten anlässlich des 30. Jahrestages. Dieses liegt nun der Redaktion von report-K vor. Diese, so Rechtsanwalt Jochen Ohliger, hätten sich nun dazu entschlossen, Stellung zu dem damaligen Urteil zu beziehen. Ohliger verteidigte die drei jungen Männer damals. Ohliger schreibt in seinem Anschreiben: „Da ich das rechtskräftige Urteil als Jurist zu akzeptieren habe, mit dem Inhalt allerdings keinesfalls konform gehe, tue ich mich hiermit leicht und überreiche Ihnen in der Anlage entsprechende Erklärungen.“
Felix Köhnen wurde vom Oberlandesgericht Düsseldorf am 13. Oktober 1995 zur Jugendhöchststrafe von 10 Jahren verurteilt. Er beteure seine Unschuld seit 30 Jahren. Der Familie Genç möchte er mitteilen, dass er, wie auch Christian Buchholz und Markus Gartmann nicht die Mörder ihrer Angehörigen seien. Köhnen gibt zu, dass er in seiner Jugend eine rechte Einstellung hatte, die er bereue. Er gibt zu, dass er Mitglied in der Kampfschule „Hak-Pao“ gewesen sei, dessen Leiter im Prozess als V-Mann des Verfassungsschutzes enttarnt wurde, aber nicht mehr zum Zeitpunkt des Brandanschlages. Er sei von den Ereignissen in Rostock und Mölln schockiert gewesen und habe sich im Frühjahr 1993 sogar ein T-Shirt mit einem Aufdruck der sich gegen Nazis wendete gekauft. In dem Schreiben stellt er fest, dass er im Hauseingang der Familie Genç Benzin ausgeschüttet haben solle, lasse ihn schaudern und er sei zu so einer Tat niemals fähig. Köhnen schildert in dem Schreiben noch einmal minutiös den Abend und kritisiert die Arbeit der Ermittlungsbehörden sowie bezieht sich auf das mehrfach widerrufene Geständnis seines Begleiters Markus Gartmann. Köhnen beendet sein Schreiben: „Als Unschuldiger viele Jahre inhaftiert gewesen zu sein, ist ein Alptraum. Schlimmer als die jahrelange Haft ist es mitzuerleben, wie wir drei zu Unrecht Verurteilen Christian Buchholz, Markus Gartmann und ich, lebenslang als Mordbrenner und Neonazis stigmatisiert werden, gerade vor dem Hintergrund des 30. Jahrestages des Solinger Brandanschlags. Am Schlimmsten aber ist, dass es Menschen gibt, deren Leben ausgelöscht werden durch Mitmenschen, deren rassistischer Hass buchstäblich über Leichen geht. Ein solcher Mitmensch war ich nie und werde ich niemals sein!“
Markus Gartmann äußert sich zu seinen falschen Geständnissen und schreibt dazu: „Dass man mir nicht glaubt, dass ich ein falsches Geständnis abgelegt habe, kann ich nachvollziehen. Ich war damals der Situation nach der Verhaftung und den Verhören nicht gewachsen. Ich habe den Überblick verloren und wusste nicht mehr, wie es weitergeht. Gegen den Druck der mich vernehmenden Beamten, etwas zu gestehen, was ich nicht begangen habe, konnte ich mich nicht wehren. Felix Köhnen und Christian Buchholz waren stärker als ich. Sie haben diesem Druck standgehalten. Sie haben immer die Wahrheit gesagt, leider scheint das auch 30 Jahre nach dem Brandanschlag niemanden zu interessieren. Es gibt kein Hinterfragen des Urteils, Medien und Öffentlichkeit scheint es gleichgültig zu sein.“ Auch Gartmann hat seiner rechten Gesinnung entsagt und schreibt weiter: „Ich möchte mich an dieser Stelle bei Hatice und Kamil Gene entschuldigen, dass ich ihnen im Januar 1994 einen Reuebriefschickte, in dem ich schrieb, ‚dass die richtigen Täter sitzen‘. Was ich in diesem Briefgeschrieben habe, entsprach nicht der Wahrheit. Von anwaltlicher Seite ist mir geraten worden, diesen Reuebrief zu schreiben in der Hoffnung, dass ich damit eine mildere Strafe bekommen würde. Ich betone noch einmal: ich habe den Brandanschlag nicht begangen und Felix Köhnen und Christian Buchholz auch nicht.“ Neben der Familie Genç entschuldigt sich Gartmann auch bei Felix Köhnen und Christian Buchholz, dass er deren Leben durch seine falschen Geständnisse belastet habe.
Christian Buchholz drückt gegenüber Familie Genç sein Mitgefühl aus: „Mein größtes Mitgefühl gehört seit 30 Jahren nach wie vor den Opfern und ihren Angehörigen, auch wenn diese davon überzeugt sind, dass neben Christian R. auch Felix Köhnen, Markus Gartmann und ich die Täter sind. Aber auch nach 30 Jahren schwöre ich bei der Ehre meiner geliebten inzwischen verstorbenen Eltern, bei meinem Leben und bei allem, was mir heilig ist, dass ich mit dem „Solinger Brandanschlag“‚ nicht das Geringste zu tun habe und weder aktiv, noch passiv daran beteiligt gewesen bin.“ Mit den ermittelnden Beamten von Polizei, Kriminalpolizei und BKA-Beamten geht Buchholz hart ins Gericht: „Ich wurde u.a. als ‚feiges Schwein, das in der Nacht friedlich schlafende Frauen und unschuldige, kleine Kinder verbrennt‘, als ‚Nazi‘, ‚Kindermörder‘ und ‚Unmensch‘ tituliert. In völliger Verzweiflung entgegnete Ich, dass Ich keine Lebensberechtigung mehr hätte und auch nicht mehr leben wollte, wäre ich verantwortlich für den qualvollen Tod von unschuldigen Frauen und Kindern. Daraufhin legte einer der mich vernehmenden BKA-Beamten einen Revolver auf den Tisch und sagte: ‚Dann schieß dir doch dein unmenschliches Schweinegehirn raus! ‘ Dann steckte er die Waffe wieder ein mit den Worten: ‚Dafür bist du zu feige, aber in der Nacht Frauen und Kinder verbrennen, das kannst du.‘ Ich zitterte vor Angst, ich weinte, aber ich beteuerte weiterhin meine Unschuld.“ Zum Schluss seiner Erklärung schreibt Buchholz: Dass man Kindern, egal welcher Herkunft und Nationalität, mit Hass und Gewalt begegnen könnte, Ist mir bis auf den heutigen Tag immer absolut unvorstellbar gewesen, obwohl es doch jeden Tag geschieht, auch in Deutschland. Dass Ich selber in den Augen Anderer ein solches Monster sein soll, zerreißt mich jeden Tag ein Stück mehr – auch über den 30. Jahrestag hinaus.“
Der vierte Verurteilte Christian R. schweigt.
Mehr zum Thema Solinger Brandanschlag bei report-K:
Faeser gibt Kohl-Regierung Mitverantwortung für Solingen-Anschlag
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) gibt der Bundesregierung des damaligen Kanzlers Helmut Kohl (CDU) eine Mitverantwortung für den Brandanschlag von Solingen im Jahr 1993. Der rassistische Anschlag, der sich am Montag zum 30. Mal jährt und dem fünf Menschen zum Opfer fielen, sei „keineswegs aus dem Nichts“ gekommen, sagte Faeser den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Dienstagsausgaben). „Nach den rechtsextremistischen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda, nach dem Mordanschlag von Mölln nur kurz zuvor hat die damalige Bundesregierung nicht mit aller Klarheit und Deutlichkeit gehandelt, um den mörderischen Rechtsextremismus zu stoppen.“
Die Regierung aus CDU, CSU und FDP habe „dem Hass nichts entgegengesetzt, keine rote Linie gezogen“, so Faeser. Debatten seien mit Sprüchen wie „Das Boot ist voll“ auf dem Rücken von Menschen ausgetragen worden. „Und nach diesen Taten fehlte an der Spitze der Bundesregierung auch noch das Mitgefühl, die Empathie und Zuwendung für die Opfer.“
Das sei für den deutschen Staat bis heute beschämend. Die Lehren aus Solingen könnten nicht aktueller sein, sagte Faeser. „Der Rechtsextremismus ist die größte extremistische Gefahr für unsere Demokratie – und für Menschen in unserem Land.“
Im vergangenen Jahr seien 41 Prozent aller Opfer politisch motivierter Gewalttaten von rechtsmotivierten Gewalttätern angegriffen worden. Die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten sei im letzten Jahr erneut um zwölf Prozent gestiegen. Vor allem Attacken auf Geflüchtete hätten zugenommen.
Faeser sagte entschlossenes Handeln gegen Rechtsextremismus zu. „Dazu gehören gut ausgestattete und äußerst wachsame Sicherheitsbehörden auf der einen Seite, und eine lebendige und vielfältige Zivilgesellschaft auf der anderen Seite“, sagte sie. „Und dazu gehört vor allem, anders als 1993: Empathie für die Betroffenen rechtsextremer Gewalt.“
Zentralrat der Muslime sieht Solingen als negative „Zeitenwende“
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Aiman Mazyek, sieht den rassistischen Brandanschlag von Solingen mit fünf Toten vor 30 Jahren als „Zeitenwende“ im negativen Sinne. Tatsächlich habe daraufhin der antimuslimische Rassismus zugenommen, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Als Beispiele nannte er unter anderem Vorfälle wie den NSU, das Attentat in München sowie die Anschläge in Halle und Hanau.
Hassverbrechen und antimuslimische Straftaten, die erst seit 2017 in der Kriminalitätsstatistik erfasst werden, seien sprunghaft angestiegen und erreichten bis heute ein sehr hohes Niveau. Mazyek sprach auch von eigenen Erfahrungen: „Viele Menschen, einschließlich einiger Betroffener, stuften Solingen damals als Einzelfall im Kontext der aufgeheizten Asylpolitik ein.“ Dies sei aber eine Fehleinschätzung gewesen.
Er selbst sei damals 23 Jahre alt und als Vorstandsreferent seiner Heimatgemeinde in Aachen tätig gewesen: „Ich bat den Imam, in seiner Freitagspredigt für die Opfer zu beten und das Thema anzusprechen, was er auch tat.“ Zwar habe sich seitdem viel in der Gesellschaft verbessert, allerdings gebe es immer noch eine „latente Unterschätzung dieser menschen- und demokratiefeindlichen Haltung und den Vorwurf an die Betroffenen, dass sie das Thema Rassismus überstrapazieren und es als politischen Hebel nutzen“. Mazyek sagte: „Beides sind fatal falsche Annahmen.“
Der Verbandsvorsitzende forderte, „auch den strukturellen Rassismus beim Namen zu nennen, im Namen der freiheitlichen und rechtsstaatlichen Demokratie“.
Steinmeier mahnt zu Engagement gegen Rechtsextremismus
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mahnt staatliche Akteure sowie die Bürger zu mehr Engagement gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Nötig sei ein „wehrhafter, wachsamer und aufrichtiger“ Staat, sagte er am Montag bei einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Brandanschlags vom 29. Mai 1993 in Solingen. „Jeder Mensch muss in unserem gemeinsamen Land in Sicherheit und Frieden leben können, und der Staat muss besonders diejenigen schützen, die ein höheres Risiko haben, Opfer von Gewalt zu werden.“
Dafür muss er noch mehr tun. „Ich bin fassungslos, wenn ich höre, dass einzelne Angehörige von Sicherheitsbehörden, die rechtsextreme Anschläge verhindern sollen, sich in rechten Chatgruppen organisieren“, so Steinmeier. Das könne und dürfe man nicht dulden.
„Wenn ich von einer wehrhaften Demokratie spreche, dann heißt das für mich: stark zu sein gegen die, die Hetze und Gewalt verbreiten; stark gegen jene, die die Vielfalt unseres Landes nicht wahrhaben wollen.“ Dabei gehe es auch um die Sprache und die Worte, die man benutze. „Mit Worten kann man das Gewaltpotenzial einer Gesellschaft aktivieren.“
Und man habe allzu oft erlebt, dass Worte zu Taten geworden seien. „Wenn Politiker glauben, verbal um den rechten Rand buhlen zu müssen; wenn auch Politiker die Grenzen zwischen dem Unsagbaren und dem Unsäglichen verschieben, dann befeuern sie damit auch die Gewalt.“ Der Brandanschlag von Solingen, der in der Zeit der „polarisierten und hasserfüllt geführten Debatte um die Asylpolitik“ geschehen sei, führe uns das drastisch vor Augen.
Aber auch jeder Bürger habe eine Verantwortung, fügte der Bundespräsident hinzu. „Ich wünsche mir Mitmenschen, die an einer Bushaltestelle eingreifen, wenn ein Mädchen rassistisch beschimpft und attackiert wird. Die es nicht dulden, wenn an einer Schule Hakenkreuze an die Wände geschmiert werden. Die widersprechen, wenn Lügen, Hass und Hetze am Arbeitsplatz oder in sozialen Netzwerken, im Hausflur oder am Stammtisch verbreitet werden.“ Schweigen oder Gleichgültigkeit würden viel zu oft als stumme Zustimmung gedeutet. „Was wir stattdessen brauchen, sind Zivilcourage und Mut“, sagte Steinmeier.