Köln | Die AfD tat es zuerst und die FDP ist nun auch infiziert: Sie stellen die Grenzwerte für Stickstoffdioxid in der Außenluft in Frage und vergleichen auf populistische Art Äpfel mit Birnen. Die Argumente beider Parteien für eine Veränderung oder das Ignorieren der Grenzwerte muten grenzwertig an.

Um das geht es: Der Grenzwert für Stickstoffdioxid in der Außenluft liegt in Deutschland bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresdurchschnitt. An bestimmten Arbeitsplätzen gilt der Grenzwert  aus der Gefahrstoffverordnung von 950 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresdurchschnitt (Maximale Arbeitsplatz-Konzentration, MAK ). Diese beiden Zahlen werden jetzt unreflektiert gegeneinander gestellt. Schlimmer noch, es wird die Behauptung aufgestellt, dass diese 950 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft auch in Büros gelte. Das ist schlicht falsch, denn die 950 Mikrogramm stammen aus der Gefahrstoffverordnung und den Technischen Regeln für Gefahrstoffe.

Die Mär vom 60 µg/m³ Grenzwert im Büro

Dazu schreibt das Umweltbundesamt: „Für Büroarbeitsplätze sowie Privaträume finden MAK-Werte keine Anwendung. Hier gelten vielmehr die Richtwerte des Ausschuss für Innenraumrichtwerte (AIR), vormals Ad-hoc-Arbeitsgruppe der Innenraumlufthygienekommission (IRK) und der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG)). Die Innenraumlufthygienekommission leitete in den 1990er Jahren einen sog. „Richtwert II“ für Stickstoffdioxid in der Innenraumluft von 60 µg/m³ (Wochenmittelwert) ab. Der Richtwert II (RW II) ist ein wirkungsbezogener Wert, bei dessen Erreichen beziehungsweise Überschreiten unverzüglich zu handeln ist. Diese höhere Konzentration kann, besonders für empfindliche Personen bei Daueraufenthalt in den Räumen, eine gesundheitliche Gefährdung sein. Aufgrund des -Grenzwertes für die Außenluft von 40 µg/m³ im Jahresmittel und neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse strebt der Ausschuss für Innenraumrichtwerte AIR die Aktualisierung der Bewertung für Stickstoffdioxid im Innenraum an.

Auch die FDP will Grenzwerte für Diesel-Schadstoffe verändern

Die FDP hat Veränderungen bei den Vorschriften für Diesel-Schadstoffe verlangt. „Mit Medizinern und Ingenieuren sollte geklärt werden, ob die Grenzwerte nicht auch langsamer erreicht werden können als sofort“, sagte FDP-Chef Christian Lindner der „Rheinischen Post“ (Montagsausgabe). Wer im Büro arbeite, dürfe dauerhaft sehr viel mehr Stickoxid einatmen, als auf der Straße für einen kurzen Moment erlaubt sei.
„Das zeigt, dass solche Grenzwerte keine Religion und keine Wahrheit sind, sondern politische Entscheidungen“, erläuterte Lindner. Deshalb müsse jetzt eine Debatte darüber geführt werden, „ob die Grenzwerte wirklich verhältnismäßig sind“, sagte der FDP-Chef. Es gebe viele Hebel, die gezogen werden könnten, um Fahrverbote zu verhindern.

Arbeitsplatz Büro wird mit dem eines Stahlkochers verglichen

An Arbeitsplätzen in der Industrie, in der Werkstatt, bei Schweißarbeiten oder Tunnelarbeiten, muss der Grenzwert von 950 Mikrogramm pro Kubikmeter eingehalten werden. Hier arbeiten Erwachsene und sind diesen extremen Werten kurzzeitig ausgesetzt, aber nicht dauerhaft, 24 Stunden. Büros befinden sich selten in Tunnelbaustellen oder Hallen in denen Stahl gestochen wird. Die Arbeitsstättenverordnung und dort die Arbeitsstättenregel sagt aus, dass in umschlossenen Arbeitsräumen gesundheitlich zuträgliche Atemluft in ausreichender Menge vorhanden sein. Im Zusatz lautet es „In der Regel entspricht dies der Außenluftqualität.“

Anders sieht dies aus wenn jemand an einer vielbefahreren Straße, wie etwa dem Clevischen Ring, in Köln wohnt. Dann ist er ständig und dauerhaft den Stickstoffdioxiden ausgesetzt. Die Grenzwerte von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresdurchschnitt ist eine Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO und sind gleichzeitig EU-Richtlinie. Der Grenzwert soll die schützen, die besonders empfindlich sind: Schwangere, Säuglinge, Kinder, Kranke oder Senioren. Nun plakatiert die AfD, auch in Köln aktuell den Slogan „Deutsche! Machen wir lieber selbst“ und darunter ein Foto einer Schwangeren. Die Plakate hängen ausgerechnet an der Universitätsstraße, also genau da, wo die Diesel ihre Stickoxide tausendfach am Tag in die Luft pusten.

Autor: Andi Goral