Symbolbild Schienenersatz verkehr

Köln | Gestatten Sie eine Ich-Reportage: Ich fahre nach Hause an Weihnachten. In meinem Kopf dreht sich dieser Chris Rea Song, den ich eigentlich nicht mag. Ich fahre aber nicht so, wie es der Song suggeriert, mit meinem eigenen Wagen nach Hause, also nutze den motorisierten Individualverkehr, sondern mit der Deutschen Bahn. Aus der Eifel nach Köln. Eine überschaubare Strecke, so die Einschätzung vor Abfahrt. Ich nehme Sie mit auf eine Fahrt mit allem was der Öffentliche Personennahverkehr zu bieten hat: Eifelbahn mit Dieselzug, Dieselbus im Schienenersatzverkehr und Kölner Verkehrsbetriebe.

Ich starte um 9.15 Uhr. Ich werde mit dem Auto zum nächsten Bahnhof gebracht. Eine Verbindung mit dem ÖPNV aus dem Ort, in dem ich zu Gast war, zum nächsten Bahnhof gibt es nicht. Der ist rund 6 Kilometer entfernt. Leihfahrräder gibt es auch nicht. 

Das fängt ja gut an

Die Schranken bei Densborn, ein kleiner Ort in der Eifel sind schon geschlossen. Mist, wir sind zu spät dran, obwohl wir rechtzeitig gestartet sind. Also weiter in den nächsten Ort mit dem Pkw: Mürlenbach. Super die Schranke noch offen, ich schaffe es pünktlich auf den Bahnsteig. Puuh, ich bin erleichtert.

Eine undeutliche Ansage sagt irgendetwas von Bahnsteig 1, das Laufband zeigt nichts an. Ich stehe auf Bahnsteig 2. Eine Frau kommt in Puschen aus Ihrem Haus und ruft mir zu: Sie müssen auf Bahnsteig 1. Sie ist ganz aufgeregt. Anscheinend warnt sie Fahrgäste häufiger. Ich schaue auf die andere Seite der beiden Gleise, dort ist kein Bahnsteig. Wo ist der vermaledeite Bahnsteig 1. Mir ist klar, dass die Bahn jetzt gleich kommt. Die ältere Dame, die nicht einmal frisiert ist, gestikuliert wild und zeigt in die entgegengesetzte Richtung. Ich renne los. Aber da ist ja nur Straße und die kleine Kneipe des Ortes. Ich bin nicht ganz ortsunkundig. Das Bimmeln der sich schließenden Schranken ist zu hören. Die sind geschlossen. Ich renne dennoch über die Gleise. Ein Gebäude sieht so aus, wie diese typischen Sandstein-Bahnhöfe in der Eifel. Ich renne weiter und ja im trüben Regenwetter erkenne ich, dort muss der Bahnsteig 1 sein. Und in der Ferne sehe ich drei Lichter.

Mein Fahrlehrer sagte immer: „Wenn ihnen drei Lichter entgegenkommen ist es ein Zug“. Er hatte Recht. Aus dem Grau schält sich der rote Lint Vareo Zug in Fahrtrichtung Gerolstein. Das ist eigentlich meine erste Etappe. Denn durch das Hochwasser am 14. und 15. Juli 2021 ist die Strecke nach Köln unterbrochen und nur der Teil zwischen Trier und Gerolstein wird wieder befahren. Bis Köln klafft dann eine Lücke. Ich weiß, dass Mürlenbach eine Bedarfshaltestelle ist. Das heißt der Zug hält nur, wenn dort jemand am Bahnsteig steht oder im Zug auf den roten Knopf drückte. Es ist aussichtslos. Ich sehe dem Zug aus 150 Metern Entfernung zu wie er gemütlich durch den Bahnsteig zockelt und an mir vorbeirattert. Eigentlich fehlt nur noch, dass er jetzt tutet.

Infos a la Deutsche Bahn

Und jetzt?

Ich gehe zurück. Es regnet. Es sind 4 Grad. Ich stehe in Mürlenbach in der Eifel und der nächste Zug kommt erst in einer Stunde. Der Bahnhof ist geschlossen. Es gibt keine Möglichkeit irgendwo einzukehren. Jetzt werde ich gewahr, warum die Frau an Bahnsteig 2 die Reisenden warnt. Die Straße, die zu Bahnsteig 1 führt ist von der Deutschen Bahn ausgeschildert. Dort steht auf dem Schild „Richtung Trier“. Die Schilder zum Bahnsteig 2 sind mit einem blauen Müllsack verhängt worden. Kein Hinweis, dass die Bahnen aktuell nur an Bahnsteig 1 halten. Die Bahnsteige sind gut 300 Meter voneinander entfernt. Ich will ja nicht nach Trier! Ich will nach Köln! Die Deutsche Bahn gönnt sich neben ihrem Fahrkartenautomaten noch eine Hinweistafel. Dort finden sich noch die Zettel und Aushänge, als es den Schienenersatzverkehr gab. Der ist allerdings schon länger eingestellt. Aber Fahrkartenautomat ist ein gutes Stichwort: Die Fahrt für die rund 110 Kilometer kostet einfach 2. Klasse etwas mehr als 34 Euro.

Lost in Mürlenbach, Eifel

Wie komme ich jetzt nach Gerolstein

Ich rufe meine Freunde an, die holen mich wieder ab und fahren mich nach Gerolstein. Dort startet der Schienenersatzverkehr. Als wir fast am Busbahnhof ankommen, fährt der Bus bereits an uns vorbei. Der Bus fährt auch nicht am Bahnhof ab, sondern rund 200 Meter entfernt. Am Bahnhof machen die Busse Pause.  Das heißt: Warten. 45 Minuten, bis der nächste Bus kommt. Ich wärme mich in einer Bäckerei bei einem Espresso auf. Eine Toilette gibt es nicht. Auch am Busbahnhof gibt es keine Toilette oder den Hinweis auf eine solche. Es ist kalt und windig und die Busse bleiben dort nicht stehen, sondern machen woanders Pause. Keine Chance sich aufzuwärmen. In dem Glashäuschen, das ein wenig Schutz vor Regen bietet steht ein verlassener Pappbecher mit Kaffee eines Burger-Restaurants.

Busbahnhof Gerolstein

Ich blicke mich um und überlege wie es jetzt wäre, hier in Gerolstein am 23. Dezember zu stranden? Hinter dem Busbahnhof prangen die Buchstaben „Hotel Kaiserhof“. Kaiserlich sieht das Gebäude eher nicht aus, sondern verlassen. Über den Buchstaben mit dem Kaiser findet sich ein Neonreklameschild, das lange nicht mehr geleuchtet haben dürfte. Der Name des Restaurants findet sich nicht mehr, sondern nur noch die die Beschreibung „Griech. Spezialitäten“. Gegenüber auf dem Kreisverkehr, wo unablässig Autos vorbeirauschen findet sich ein Stillleben aus Signalmasten, die offen stehen und Schienen.

Busbahnhof Gerolstein

Der Busbahnhof

Der Busbahnhof ist an Trostlosigkeit nicht zu überbieten. Pfützen und die Hinweistafeln sind mit Baustellen-Ausschilderungsmaterial angelegt. Um 11.05 Uhr soll der Bus abfahren, er kommt um 11.01 Uhr. Die Tickets werden kontrolliert. Der Busfahrer rattert immer wieder die Haltestellen herunter, die er gleich anfahren wird. Noch in Gerolstein deutet sich an, der Fahrer liebt Speed. Er rast über kaputte Straßen Richtung Bettingen nach Kall. Dem Namen Expressbus macht der Bus alle Ehre. An uns vorbei rast Landschaft, die von der Kyll schon wieder überflutet ist, Eifeldörfer mit einem Briefkasten und Läden die „nah und gut“ heißen. Die Straßen eng und schmal. Der Bus hat Sitze mit Mustern, die Verkehrszeichen darstellen. Ich wäre gerne angeschnallt und finde einen Bügel an dem ich mich festhalten kann.

Die Zeit ist stehengeblieben

In Jünkerath ist die Uhr am Bahnhof um 4 Uhr stehen geblieben. Ob es Nacht oder Tag war, lässt sich nicht sagen. Die Jalousien an der Bahnhofsgaststätte heruntergelassen. Zwei Menschen steigen ein. Unsere wilde Fahrt geht weiter über Stadtkyll. Vorbei an einem gigantischen Sägewerk, wo die Eifelwälder klein gemacht werden. Immer wieder zu sehen der typische Mix aus Discounter, Edeldiscounter und Drogeriemarkt auf der grünen Wiese, weit entfernt von den Haltestellen des Busses. Der muss dafür immer wieder in die Dörfer kurven durch enge Straßen, um den Bahnhof zu erreichen. Und überall heißt die Straße: Bahnhofstraße. Nur in Stadtkyll halten wir an der Post, so als gebe es noch die gute alte Postkutsche. Gegenüber Deniz Pizza Kebap und um die Ecke eine Gaststätte mit Namen Matrix.

Der rasende Schienenersatzverkehr

Im Bus bimmelt es ohne Unterbrechung im Millisekunden-Tempo. Whats App funktioniert auch in der Eifel. Die zumeist jungen Menschen im Bus tragen dicke Kopfhörer und haben sich von der Realität entkoppelt. Wir kommen an einem Schild mit der Aufschrift „Weites Land“ vorbei. Eifel pur. Die Scheibe im Bus ist milchig getrübt und voller Regentropfen. Wie eines dieser verschwommenen Bilder von Gerhard Richter, die alles so unscharf und doch schärfer werden lassen. Wir donnern mit 56 km/h in den nächsten Ort, Wild rot aufblinkend wird uns ein böser Smiley gezeigt, den Busfahrer ficht dies nicht an. Er scheint auch ein Urvertrauen in die Mägen seiner Fahrgäste zu besitzen. Die sind alle total cool, so als wäre das alles normal.

Lost Places der Bahn

An der nächsten Haltestelle torkelt ein Chinese in den Eifel-Schienenersatzverkehrbus. Die Kulissse: Neben der Bushaltestelle steht ein Weihnachtsbaum mit überdimensionierten roten und goldenen Kugeln, die heftig im Wind tanzen. Weiter geht es auf die ausgebaute Bundesstraße und Busfahrer Dieselfuß gibt Full Stoff und jagt Pkw. Jetzt schaukelt auch der Bus im böigen Wind und abgebogen wird in der scharfen Rechts-Links-Kombi-Kurve auf zwei Rädern. Wir erreichen den Bahnhof Blankenheimer Wald. Der nächste Lost Place der Deutschen Bundesbahn. Fast alle Bahnhöfe wirken wie Lost Places entlang der Eifelstrecke. Hier am Blankenheimer Wald ist es besonders auffällig. Die Fenster vernagelt mit OSB-Platten und auf dem hölzernen Eingangsportal blättert die Farbe ab.

Die nasse Landschaft rauscht vorbei

Nürburgring ist in der Eifel everywhere

Wir donnern weiter über die Eifel und die Straßen gleichen sich: lange Gerade Full Speed, dann scharfe Kurve das die Zwillingsreifen des Busses quietschen und dann wieder lange Gerade bis zum nächsten Kreisverkehr. Im Bus riecht es leicht nach überzuckertem Kaugummi. Schafe in grünen Schäferkarren rasen an uns vorbei. In Nettersheim steigt eine Reisegruppe ein mit Elchgeweih und Tannenbaum auf dem Kopf, es geht nach Kölle auf den Weihnachtsmarkt. Die erste Flasche Sekt wird im Schienenersatzverkehr geköpft.  Für Menschen, die sich nach der guten alten Zeit sehnen, ist eine Reise mit dem Schienenersatzverkehr ein Traum. Nichts aber auch gar nichts Digitales ist weit und breit zu sehen, wer wissen will, wohin der Bus fährt, muss mündlich kommunizieren. Der Fahrer sagt stereotyp: „Kall“ und in Gegenrichtung „Gerolstein“.

Die Toilettenfrage

Ich bin seit über drei Stunden unterwegs. Es gab auf der gesamten Strecke keine einzige Toilette, die ausgeschildert war oder die zur Verfügung stand. Insgesamt waren es nach Köln über viereinhalb Stunden, die die Reise dauerte. Diese viereinhalb Stunden übersteht nur der, der einfach nichts trinkt oder einfach an einer Haltestelle ins Gebüsch springt. Denn selbst wenn es Toiletten geben sollte, sie sind nicht ausgeschildert. Bei den engen Umsteigezeiten, noch dazu mit Gepäck, bliebe keine Zeit nach einer Toilette zu suchen.

RE 22 – jetzt läufts

Ab Kall tuckert dann der RE 22 nach Köln Hauptbahnhof und bis auf das in Weilerswist die Treppenstufen nicht ausgefahren werden können, läuft die Reise reibungslos.

Menschen, die viel mit der Bahn unterwegs sind, sagen das ist Alltag und dass ich froh sein solle, dass ich nicht auf der grünen Wiese aus dem Zug geladen wurde. Thank you for travelling with Deutsche Bahn. Und immer noch surrt der leicht abgewandelte Song von Chris Rea zwischen meinen Ohren: Driving home for Christmas – With a thousand memories – I take a look at the traveller next to me – He′s just the same…

Köln – Hans Böckler Platz