Die "Hagia Maria Sion" auf dem Zionsberg in Jerusalem, die seit 2006 den Titel „Mariä Aufnahme in den Himmel – Dormitio“ trägt und dem Erzbistum Köln gehört. | Foto: gemeinfrei

Auf dem Zionsberg in Jerusalem, der Überlieferung nach der Ort, an dem sich Pfingsten ereignete und Maria in den Himmel aufgenommen wurde, befindet sich ein deutschsprachiges Benediktinerkloster. Begründet vor mehr als einhundert Jahren durch den deutschen Kaiser Wilhelm II, ist die Dormitio-Abtei bis heute vielfältig mit Köln verbunden. Auch der Kölner Diözesanbaumeister Martin Struck war jüngst dort tätig.

Interview: Christoph Mohr

Sie kommen sozusagen gerade aus Jerusalem. Was hat der Kölner Diözesanbaumeister in Jerusalem zu tun?

Martin Struck: In Amtshilfe für den Deutschen Verein vom Heiligen Lande (DVHL) habe ich als Projektsteuerer die notwendigen Sanierungs- und Restrukturierungsarbeiten am Kloster und in der Basilika der Dormitio-Abtei der Benediktiner begleitet.

Jerusalem ist eine Stadt, in jeder Quadratmeter eine Bedeutung zu haben scheint, manchmal mehrere. 3000 Jahre Geschichte, drei Weltreligionen und zahllose christliche Kirchen und Konfessionen, die bestenfalls koexistieren. Helfen Sie uns, diesen Ort zu verstehen.

Der Zionsberg, auf dem die Dormitio-Abtei der Benediktiner steht, ist nicht irgendein Hügel in Jerusalem. Was macht ihn besonders?

Martin Struck: Vor den heutigen Altstadtmauern auf dem Bergrücken von Jerusalem – dem Zion – siedelten nach der Tradition Mitglieder der jüdischen Jesus-Sekte. Daher wird dort mutmaßlich der Ort des Abendmahlssaales, der Wohnort Mariens, einiger Jünger und damit auch derjenige des Pfingstgeschehens geglaubt. Schon immer ist der Zionsberg für Pilger, für die diese Geschichten Bedeutung besitzen, wichtiges Ziel gewesen.

An der Stelle, an der die heutige Dormitio-Basilika steht, hat es wohl eine byzantinische Kirche gegeben. Was weiß man über die Hagia Sion (Zionskirche)?

Martin Struck: Bei der Fundamentierung für die heutige Klosteranlage wurden Mauerreste, Mosaike, Säulentrommeln und sonstige Spolien dieser frühen, fünfschiffigen Kirche aus dem 5. Jahrhundert gefunden. Teilweise sind diese Relikte von Bauteilen einer Kreuzfahrerkirche aus dem 12. Jahrhundert überlagert, die ebenfalls später zerstört wurde. Man sieht: dieser Ort ist nicht nur wegen der aufeinanderfolgenden Bauten unterschiedlicher Epochen übereinandergeschichtet und damit hoch „aufgeladen“.

Warum heißt die Benediktiner-Kirche, 1957 in den Rang einer Basilica minor erhoben, dann Dormitio?

Martin Struck: Während die byzantinische Basilika den Namen „Hagia Sion“ trug, wurde die Kreuzfahrer-Kirche „Sancta Maria in Monte Sion“ genannt. Die moderne Kirchen- und Klosteranlage wurde als „Dormitio“ gegründet (1906), trug für einen kurzen Zeitraum ab 1998 in Anlehnung an die alten Titel den Namen „Hagia Maria Sion“, kehrte aber 2006 zu ihrem Gründungstitel „Mariä Aufnahme in den Himmel – Dormitio“ zurück.

Was soll dieser Name Dormitio sagen?

Martin Struck: Der Name leitet sich vom lateinischen ‚dormire‘, ‚schlafen‘ ab, da hier der Ort der „Entschlafung“ der Gottesmutter Maria geglaubt wird, die nach dem katholischen Dogma mit Seele und Leib in den Himmel aufgenommen wurde.

Ist diese „Entschlafung“ Marias das, was bei uns Mariä Himmelfahrt genannt wird?

Martin Struck: Ja, am 15. August wird das Patrozinium dieser Kirche begangen.

Müssen Christen wirklich glauben, dass Maria, die Mutter des Jesus Christus, an diesem Ort gestorben, pardon: entschlafen ist?

Martin Struck: Da „Glauben“ das Fürwahr-Halten unbeweisbarer Geschehnisse bedeutet, fällt dieser möglicherweise leichter, wenn solche Geschichten mit einem realen Ort verknüpft werden. Dass Menschen – auch in anderen Religionen – vom Pilgern zu solchen Orten für sich und ihr Leben Kraft schöpfen, belegt die Wichtigkeit und den Wert dieser Destinationen.

Das Grundstück, auf dem die Dormitio-Abtei steht, erwarb der damalige deutsche Kaiser Wilhelm II, der 1898 Jerusalem besuchte und mit der Bagdadbahn auch geostrategische Interessen verfolgte, von Sultan Abdülhamid II, dem in Istanbul regierenden Herrscher des Osmanischen Reiches.

Für Kaiser Wilhelm II war das Ziel eine deutsche Präsenz oder Deutschlands Präsenz im Heiligen Land. Ist das nicht ein Gedanke, der – um es gelinde zu formulieren – aus der Zeit gefallen ist?

Martin Struck: Selbstverständlich müssen wir heute den Gedanken des Kolonialismus mit all seinen Schattenseiten kritisch sehen. Die zur Mitte des 19. Jahrhunderts aufgekommene Pilgerbewegung aus allen Staaten Europas ins Heilige Land hat dann dort zur Schaffung der nötigen Infrastruktur geführt. Dabei sind allerdings auch etliche Vorteile für die einheimische Bevölkerung im Hinblick auf damit einhergehend entstandene Einrichtungen im Schul- und Gesundheitswesen zu konstatieren.

Seitdem sind hundert Jahre vergangen. Das deutsche Kaiserreich ist Geschichte, genauso wie das Osmanische Reich. Beide kämpften im Übrigen 1917 in der „Schlacht von Jerusalem“ sogar zusammen gegen die Briten – und verloren. Palästina und Jerusalem wurden britisches Mandatsgebiet. Heute ist Jerusalem eine zwischen Israelis und Palästinensern umstrittene Stadt. Aber trotzdem ist die Dormitio-Abtei noch immer ein d e u t s c h e s Kloster?

Martin Struck: Ja, der Kaiser hat mit der Benediktinischen (Beuroner) Kongregation 1905 einen provisorischen Vertrag auf 5 Jahre zum Betrieb des Klosters durch deutsche Mönche zwecks Betreuung deutscher Pilger an den heiligen Stätten geschlossen. Mit dem Ende des Kaiserreiches wurde dieser Vertrag aber nie offiziell verlängert.


Abt Nikodemus Schnabel zur Dormitio-Abtei

Pater Nikodemus Schnabel hat ein Buch geschrieben: „Zuhause im Niemandsland – Mein Leben im Kloster zwischen Israel und Palästina“. Erschienen im Herbig Verlag 2015.

Der Benediktiner-Pater Nikodemus Schnabel, seit Februar diesen Jahres Abt der Dormitio-Abtei, betitelt sein Buch über sein Mönchsleben in Jerusalem „Zuhause im Niemandsland. Mein Leben im Kloster zwischen Israel und Palästina“. Wieso Niemandsland?

Martin Struck: Die Lage des Klosters direkt außerhalb der Altstadt von Jerusalem, aber im Westteil der Stadt, verhindert eine eindeutige Zuschreibung zum jüdischen Israel oder zum arabischen Palästina. Dies bietet gleichzeitig eine großartige Chance für die segensreiche Verständigungs- und Friedensarbeit durch die Mönche von sozusagen „neutralem Boden“ aus.

Das Grundstück, auf dem das Kloster steht, wurde 1924 an den Erzbischöflichen Stuhl von Köln übereignet.

Wem gehört das Grundstück heute?

Martin Struck: Grundbuchlicher Eigentümer ist nach wie vor der Erzbischöfliche Stuhl von Köln, da der Deutsche Verein vom Heiligen Lande als gemeinnütziger Verein nach israelischem Recht diese Eigentümerfunktion nicht innehaben kann.

Was ist dieser Deutsche Verein vom Heiligen Lande?

Martin Struck: Ein gemeinnütziger Verein deutscher Katholiken, der christliche Projekte im Heiligen Land unterstützt und eigene Einrichtungen unterhält: ein Altenpflegeheim, eine Mädchenschule, zwei Pilgerhäuser und die beiden Klöster auf dem Zion und am See Genezareth. Außerdem entsendet er Freiwillige für einen Dienst in sozialen und Bildungseinrichtungen ins Heilige Land. Der Verein finanziert sich ganz überwiegend aus Spenden, bekommt für den Erhalt der historischen Gebäude und die Freiwilligendienste aber auch Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln. Über sein Vereinsmagazin „Das Heilige Land“ informiert er die Mitglieder über die Geschichte und aktuelle Entwicklungen.

Wie aktiv ist Kardinal Woelki, der Vorsitzende des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande, in das Geschehen in Jerusalem involviert?

Martin Struck: Er hat seine Zustimmung zu meinem Einsatz in Jerusalem gegeben. Außerdem hat er die Eigenmittel zur Finanzierung der Renovierung von Kirche und Kloster bereitgestellt und im März d.J. den neuen Altar dort geweiht.

Untersteht auch das Benediktiner-Kloster dem Erzbischof von Köln?

Martin Struck: Nein, das kann man so nicht sagen. – Die Dormitio gehört zum Lateinischen Patriarchat von Jerusalem, weshalb der Lateinische Patriarch der zuständige Ortsbischof ist. Gleichzeitig gehört die Gemeinschaft zur „Benediktiner-Kongregation von der Verkündigung“, wodurch deren Abt-Präses in Rom ein weiterer wichtiger Bezugspunkt für die Mönche auf dem Zion ist. – Der jeweilige Erzbischof von Köln ist satzungsgemäß der Präsident des DVHL. Aus diesem Grunde wurde er auch im vergangenen März eingeladen, den neuen Altar zu weihen.

Die Dormitio-Basilika soll alt aussehen, wurde tatsächlich aber erst vor hundert Jahren gebaut und am 10. April 1910 geweiht.

Und sie sieht, nun ja, ein bisschen so aus wie St. Gereon in Köln.

Martin Struck: Das haben Sie richtig beobachtet. Damit sollte wohl eine Verbindung zum Kölner Erzbistum sichtbar gemacht werden. Auch der Aachener Dom kann als Vorbild für diese Rundkirche gesehen werden. Der Baustil entspricht der damals üblichen, historistischen Formensprache mit dem eklektizistischen Zusammenfügen von Formen unterschiedlicher Stilepochen und Regionen. ‚Älter‘ sieht das daher für mich nicht aus.

Welche Rolle spielte der damalige Kölner Diözesanbaumeister Heinrich Renard ?

Martin Struck: Heinrich Renard hat in der zu seiner Zeit gängigen Architektursprache geplant. Zur Beurteilung und Genehmigung von Kirchenentwürfen für Pfarrgemeinden im Erzbistum hatte er einen „Beratervertrag“, war darüber hinaus – auch als Kölner Stadtverordneter – mit der Planung einer Vielzahl auch profaner Bauten befasst. Daher befindet sich sein Nachlass im Kölner Stadtarchiv und nicht bei der Kirche.

Über Geschmack lässt sich immer streiten, aber ist dieser Stilmix aus Romanik, (pseudo)orientalischer Architektur und neubyzantinischem Mosaikkitsch wirklich gelungen? War es wirklich notwendig, das wieder eins zu eins in seinen Originalzustand rückzuversetzen?

Martin Struck: Wir haben nichts in einen Originalzustand „zurückversetzt“. Die ursprünglichen Planungen, den gesamten Innenraum mit Marmor und Mosaiken nach dem Vorbild des Aachener Doms vollständig auszukleiden, waren nach dem Ersten Weltkrieg nicht weiter verfolgt worden und die Kirche sozusagen im „Rohbau“ stehengeblieben. Hier haben wir lediglich die ausgeführten Mosaiken restauriert, deren Ansätze kaschiert und die rohen Mauern gereinigt. Eine Bewertung der künstlerischen Qualität der damals realisierten Mosaike nehme ich jetzt nicht vor – dazu sind sie zu unterschiedlich. In jedem Fall hat sich nach Auffassung aller Beteiligten die Maßnahme in ästhetischer Hinsicht gelohnt. Vor allen Dingen die neu eingebauten Onyx-Fenster und der neu gestaltete Chorraum mit den Prinzipalstücken und dem Chorgestühl für die Mönche geben der Kirche jetzt ein besonderes Gepräge. Auch hinsichtlich der technischen Ausstattung wurde der Kirchenraum mit einem großen, modern gestalteten Radleuchter und einer neuen Lautsprecheranlage an den aktuellen Standard angepasst.

Der Glockenturm der Basilika steht auffallend abseits.

Gibt es dafür einen Grund?

Martin Struck: Die Errichtung des Glockenturms neben der Kirche über dem Kloster schafft eine weniger monumentale Skyline. Dies entspricht den damals üblichen Gedanken zu einem „malerischen Städtebau“, als man die pittoresken, mittelalterlichen Stadtbilder zu schätzen begann. Außerdem wird durch die beiden Hochpunkte – je nach Blickrichtung – der Abendmahlssaal, dessen Grundstück vom Kaiser ja nicht erworben werden konnte, in die Mitte genommen und erinnert an die konstantinische Basilika, mit der dieser Ort damals ja komplett überbaut war.

Bauen ist schon in Deutschland kein Zuckerschlecken; Sie dürften als Diözesanbaumeister da einiges zu erzählen haben. In Köln besteht immer die „Gefahr“, dass man auf Zeugnisse der Vergangenheit stößt, wenn man in die Tiefe geht.

Das dürfte in einer Stadt mit einer 3000-jährigen Geschichte noch „schlimmer“ sein. Was findet sich, wenn man auf dem Zionsberg in die Tiefe gräbt/geht?

Martin Struck: In der Tat ist dieser Bereich mit seiner mehrtausendjährigen Siedlungsgeschichte eine besondere archäologische Zone. Dies bedingt in jedem Fall die Einschaltung der israelischen Antiquitätenbehörde. So konnte beispielsweise im Haustechnik-Keller der Dormitio bei der Verlegung einer Temperierungsleitung eine vorchristliche Mikwe ergraben werden. Dies unter einem Kreuzfahrer-zeitlichen und einem römischen Boden-Mosaik. Jetzt stehen auf einem Doppelboden darüber unsere Warmwasser-Boiler.

Rein praktisch: Wie muss man sich eine solche Bautätigkeit in Jerusalem vorstellen?

Martin Struck: Unabhängig von dem überall hochdenkmalwerten Untergrund läuft das Ganze vergleichbar zu unseren Baustellen ab. Dem Denkmalschutz unterliegen allerdings nur Gebäude, die älter als rund 200 Jahre sind. Die Dormitio zählt als „junges“ Gebäude also noch nicht dazu.

Wie funktioniert das mit den Baugenehmigungen u.ä.?

Martin Struck: Das ist vergleichbar mit der hiesigen Situation. Die Stadtverwaltung von Jerusalem benötigt zur Erteilung einer Baugenehmigung den gleichen Zeitraum wie die Stadt Köln: das ist leider häufig mehr als ein ganzes Jahr.

Und wer macht die Arbeit, sprich: führt die Bauarbeiten aus?

Martin Struck: Auch dies geschieht nach vergleichbaren Verfahren. Wir haben die Arbeiten gewerkeweise an einzelne Fachfirmen nach beschränkten Ausschreibungsverfahren vergeben. Leider ist die Handwerkerausbildung nicht so gründlich und zertifiziert wie in Deutschland, was sich in der Qualität der Arbeiten abzeichnet. Auch unter dem Gesichtspunkt der Kosten und Unterstützung haben wir gezielt mit arabischen Handwerkern zusammengearbeitet. Beim Umgang mit Naturstein konnte aber ein außerordentlich hohes Qualitätsniveau erreicht werden. Fenster- und Schmiedearbeiten wurden in Deutschland gefertigt und exportiert.

Was waren für Sie (baulich/bautechnisch) die größten Herausforderungen?

Martin Struck: Keine anderen als bei denkmalpflegerischen Projekten in Deutschland. Ein sehr engagierter Architekt und Generalplaner – Omar Ayyoub mit seinem Team – hat uns ebenso hervorragend unterstützt wie der „Baumönch“ Pater Basilius täglich vor Ort. Was die Terminplanung betrifft, musste ich mich allerdings an arabische Verhältnisse erst gewöhnen.

Und wer finanziert das Ganze?

Martin Struck: Die Mönche konnten eine maßgebliche Unterstützung durch die Stabsstelle „Kulturerhalt“ des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland erreichen. Sozusagen in Nachfolge der preußischen Erbauer der Liegenschaft hat es eine Beteiligung des Staates in Höhe von 80 % der Gesamt-Baukosten von 5,017 Mio. € gegeben. Den Rest haben der DVHL und das Erzbistum Köln übernommen.

Sie haben sich Ihr ganzes (Berufs-)Leben lang mit Sakralbauten beschäftigt.

Jetzt, da Sie in den Ruhestand gehen, dürfen Sie es verraten:

Und welches ist Ihre Lieblingskirche in Köln?

Martin Struck: Die moderne Kirche St. Mechtern in Köln-Ehrenfeld, geplant vom bekannten Kirchenbaumeister Rudolf Schwarz, schätze ich sehr. Sie beweist, dass auch mit Stilmitteln der modernen Architektur ganz großartige Räume geschaffen werden können: ein wirklich lichter Himmelssaal, der für die dort Feiernden eine besondere Atmosphäre schafft.

Welches ist/sind Ihre Lieblingskirche(n) im Erzbistum Köln?

Martin Struck: Auch wenn er nicht zu meinem vormaligen Verantwortungsbereich im Erzbistum gehört: Der Altenberger Dom in seiner genial schlichten, zisterziensischen Architektur und Lage. Außerdem durfte ich dort einprägsame Momente meiner ökumenisch-katholischen Sozialisation erfahren.

Kein Köln-Interview ohne eine Frage zum Kölner Dom. Wie blickt ein Diözesanbaumeister auf dieses Monument des Glaubens, das auch eine permanente Baustelle ist?

Martin Struck: Im Hinblick auf Fragen der (Stein-, Glas-, etc.)Restaurierung, Denkmalpflege, Liturgie und zeitgenössischen Ausstattung gilt es für den Dombaumeister vergleichbare Antworten zu finden, wie wir das für unsere Gemeindekirchen tun müssen. Daher sind wir für den permanenten Austausch dankbar, wenngleich das beim Dom auch immer noch eine „Nummer“ größer und komplexer ist. Mich fasziniert, dass dieser Bau für eine ganze Stadt – und darüber hinaus – auch in unserer säkularen Zeit Identifikationspunkt sein kann.

Zurück nach Jerusalem. Lassen Sie uns über Kirchen und Sakralbauten in der Stadt sprechen, die drei Religionen heilig ist und in der jede der zahlreichen christlichen Kirchen, jede Konfession, eine bauliche Präsenz gesucht hat.

Die sicherlich wichtigste christliche Kirche in Jerusalem ist die Grabeskirche, die der Überlieferung nach über dem Grab Jesu errichtet worden ist und deren Baugeschichte 1700 Jahre bis ins 4. Jahrhundert zurückreicht. Auch sie war in den letzten Jahren eine Baustelle, um nicht zu sagen: ein sowohl (kirchen-) politischer als auch bautechnischer Kraftakt.

Martin Struck: Nach Jahrzehnten stetigen Verfalls der Ädikula, weil sechs unterschiedliche, christliche Konfessionen sich nicht auf eine Anpassung des Status Quo und damit auf die Restaurierung verständigen konnten, kam es einem Wunder gleich, dass die Sicherung und Reinigung dieser Grabkapelle dann doch 2016 unter wissenschaftlicher Begleitung erfolgt ist. Vorbild war die Renovierung der Geburtskirche in Bethlehem, wo offenbar die Vernunft, den drohenden Verfall aufzuhalten, über das örtliche Anspruchsdenken gesiegt hatte.

Andere Lieblingskirchen in Jerusalem?

Martin Struck: Habe ich nicht. Die gesamte Innenstadt ist im negativen wie positiven Sinne sakral und gleichzeitig unfriedlich-profan geprägt.

Die Skyline von Jerusalem wird vom Felsendom mit seiner goldenen Kuppel beherrscht – d a s Wahrzeichen von Jerusalem schlechthin.

Martin Struck: Das Gold mit den blauen Mosaiken sticht in der Tat als besonderer farbiger Akzent aus der ansonsten ocker-beigen Natursteinkulisse der übrigen Bauten heraus. Bei rein architektonischer Betrachtung verwundert die Ähnlichkeit der verwendeten Formen – Kuppel und Quader – und räumlichen Konstellationen – der leere Felsenstein im Zentrum eines Rundbaus neben dem rechteckigen Versammlungsraum – bei den Gotteshäusern der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften. Dies ist so nur in Jerusalem zu erleben.

Auf der Seite der islamischen und jüdischen Sakralbauten: Gibt es Moscheen und Synagogen in Jerusalem oder Israel, die Ihnen architektonisch/bautechnisch besonders aufgefallen sind?

Martin Struck: Die unvermeidliche Einbindung in die Projektsteuerung vor Ort auf dem Zionsberg hat leider nur wenig Zeit für ausführlichere Besichtigungstouren gelassen. Vor allen Dingen die historischen Sakralbauten, Paläste und deren jeweiligen archäologischen Reste sind in ihrer dichten Vielzahl überaus beeindruckend. So beispielsweise die Umayyaden-Palast-Ruine Khirbat al-Minya mit seinem Mosaikwerkplatz am See Genezareth.

Zum Abschluss: Jerusalem kann ganz schön anstrengend sein. Sind Sie eigentlich froh, wieder zurück in Köln zu sein?

Martin Struck: Ja. Anstrengend, ja – aber eine Anstrengung, der sich jeder einmal unterziehen sollte, um etwas von der Größe und gleichzeitigen Beschränkung des Menschseins zu verstehen.


Wer mehr wissen will:

Jacoby, Hilla und Max Moshe

Nächstes Jahr in Jerusalem

Neuhausen/Stuttgart (SCM Hänssler) 1998


Kroyanker, David

Die Architektur Jerusalems – 3000 Jahre Heilige Stadt

Stuttgart (Verlag Kohlhammer) 1994