Der Wind blies mir eisig ins Gesicht, als ich um kurz nach 10 Uhr am Kölner Hauptbahnhof stand. Durch den Wind war schon die Reise zum Hauptbahnhof nicht angenehm, wie sollte es erst am äußeren Rand von Köln werden? Damit sie nicht taub wurde, jonglierte ich in der linken Hand Münzen. Die rechte Hand versteckte sich tief in meiner Jackentasche. Bereits an dem frühen Morgen hatte ich zwei wichtige Erkenntnisse erlangt. Zum ersten: die Frankfurter Straße ist lang. Sie zieht sich von Köln-Mülheim durch die ganze rechte Stadtseite bis kurz vor Troisdorf. Deswegen gibt es auch gleich zwei Mal die Frankfurter Straße 50, einmal in Mülheim und einmal in Porz/Lind. Letztere Adresse war mein Ziel: das Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum, Haus 3, in 51147 Köln. Da ich kein Automobil mein Eigen nennen kann, war ich auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen, um zu der dort stattfindenden Pressekonferenz zu kommen. Die zweite Erkenntnis: Die KVB will mich in die Irre führen. Obwohl ich – korrekterweise – „Frankfurter Straße 50, 51147 Köln“ in die Fahrplan-Suchmaske eingetippt hatte, wollten die Kölner Verkehrs-Betriebe mich nach Mülheim schicken. Ich entschied mich daher für die S-Bahn der Deutschen Bahn. Die Linien S12 sowie zum Teil auch S13 fahren bis zur Haltestelle Porz-Wahn, meinem Zwischenziel. Alle 20 Minuten fährt sowohl die S12 als auch die S13, die jedoch sehr unregelmäßig fährt.

Ist die KVB pünktlich, verpasst man den Anschluss
Kurze Zeit später kam die S12 und ich setzte mich in das warme Abteil. Vorher hatte ich noch mit dem Geld in der Hand ein Ticket in der Preisstufe 1b für 2,60 Euro gekauft. Das Ticket bietet eine Umsteigemöglichkeit, die ich an der Haltestelle Porz-Wahn auch nutzen wollte. Nach wenigen Minuten dämmerte mir die nächste Erkenntnis: ich hätte mir entweder Musik oder ein Buch mitnehmen sollen, denn die Fahrt mit der S-Bahn ist nicht kurz. Rund 20 Minuten fuhr ich mit der S-Bahn, bis ich an der gewünschten Haltestelle aussteigen konnte. Ich beschleunigte meinen Schritt, obwohl ich wusste, dass vor einer Minute der Bus der Linie 162 abgefahren sein musste. Und tatsächlich fuhr mir der Bus genau vor der Nase weg. Eine Frau lachte herzhaft, ich schien wohl ein recht amüsantes Bild abzugeben, zeternd und schnaubend am Straßenrand. Vielleicht war auch ein wenig Mitleid dabei. Das hätte ich durchaus gut gebrauchen können, denn ich begann zu realisieren, dass ich nun entweder 30 Minuten auf den nächsten Bus warten  –
von 7-9 Uhr und von 17-19 Uhr fährt der Bus immerhin alle 20 Minuten – oder den restlichen Weg zu Fuß absolvieren könnte.


Die S-Bahn nach Porz-Wahn blieb am Morgen fast leer


Fußmarsch nicht für jeden ratbar
Ich entschied mich für den Fußmarsch: Mein Smartphone zeigte mir einen Fußweg von 2,4 Kilometern an, den man in 29 Minuten gehen könnte. Ohne mein Handy wäre ich komplett aufgeschmissen gewesen. Die Haltestelle Porz-Wahn liegt etwas außerhalb von Wahn, sodass ich im ersten Moment nicht wusste, in welche Richtung ich gehen sollte. Nach einer kurzen Zeit, in der ich glücklicherweise in die richtige Richtung gegangen war, kam ich an einem großen Supermarkt vorbei. Hungrige könnten hier also eine kurze Rast einlegen. Auf Schotterwegen wurde ich ins Innere von Wahn und auf die Frankfurter Straße geführt. Die kommt einem noch länger vor, wenn im Abstand von ein paar Minuten regelmäßig ein Bus nach dem anderen aus der Gegenrichtung an einem vorbeifährt und man selbst mit dem Gegenwind auf Kriegsfuß steht. Mit einem schnellen Schritttempo kam bereits nach 20 Minuten mein Ziel in Sicht. Schnell noch auf die richtige Straßenseite gewechselt, was aufgrund der nicht vorhandenen Möglichkeiten durchaus gefährlich werden kann, und das Ziel war erreicht. Vor mir türmte sich ein Möbelhaus auf, dort gegenüber liegen eben jene hunderttausende Archivalien, die es zu restaurieren gilt. Ich hatte es geschafft. Rund eine Stunde dauerte meine Reise vom Kölner Hauptbahnhof. Zeit, die man einplanen sollte, wenn man die Archivalien einsehen möchte. Das nächste Mal suche ich mir jedenfalls eine Fahrgemeinschaft nach Wahn.


"Irgendwo im Nirgendwo" – an der Haltestelle Porz-Wahn

Kölner Verbundbrief im Original wieder einsehbar
Im Haus 3, gegenüber der Warenausgabe eines großen Möbelhauses, befindet sich das Restaurierungs- und Digitalisierungs-Zentrum des Historischen Archives. Am Heumarkt in der Kölner Innenstadt steht bereits ein Lesesaal, dort sind die Werke jedoch nur in digitalisierter Form einzusehen. Bettina Schmidt-Czaia, die Direktorin des Historischen Archivs gab sich bescheiden: „Im August 2011 haben wir die Bergung an der Severinstraße beendet und 95 Prozent unseres Archivgutes geboren. Im Verhältnis zu dem, was noch vor uns liegt – die Erfassung, Identifizierung und Zusammenführung der Bestände, ihre Restaurierung und Digitalisierung – und letztlich die Benutzung durch die Öffentlichkeit – ist das Angebot was wir heute zeigen noch recht klein.“ Jedoch sei bereits eine Benutzungsstrategie ausgearbeitet worden, die möglichst viel Archivgut in möglichst kurzer Zeit wieder zugänglich machen soll. Neben den Highlights, dem Kölner Verbundbrief von 1396 und einer Disziplinakte aus dem 17. Jahrhundert, ein Band aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, stehen den Kölner Bürgern rund 650 Urkunden aus der Zeit von 922 bis 1815, 50-60 Handschriften, etliche Fotos und 70.000 Bände der Bibliothek den Bürgern zur Benutzung bereit. Schmidt-Czaia betont jedoch, dass besonders die rund 650 Urkunden nur ein Prozent des gesamten Bestandes an Pergamenten ausmachen.


Bettina Schmidt-Czaia und Eva Büthe begutachten den Verbundbrief

Termine werden vorausgesetzt
Der Lesesaal des Zentrums hat dienstags bis freitags von 9 bis 16:30 Uhr, mittwochs von 9 bis 19:45 Uhr geöffnet. Für den Besuch ist eine Voranmeldung mit Terminabsprache unter 0221 / 221/23669 erforderlich. Dabei muss geklärt werden, ob die benötigten Archivalien bereits wieder benutzbar sind. Dass die Archivalien auch in ihren Originalzuständen einzusehen sind, machte Eva Büthe klar. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität in Bonn arbeitet an ihrer Dissertation im Fach Alte Germanistik und ist auf die Originalbestände angewiesen. „Zu der damaligen Zeit gab es keine einheitliche Orthografie, deshalb ist es sehr wichtig, dass ich mir das Original anschauen kann, um jede einzelne Feinheit zu erkennen“, erörterte Büthe anhand des Kölner Verbundbriefs von 1396.

Der Kulturdezernent der Stadt Köln, Georg Quander, war sich der langen und beschwerlichen Reise durchaus bewusst. "Wir haben jedoch nur hier auf 10.000 Quadratmetern die besten Vorraussetzungen, um Archivgut zu restaurieren, digitalisieren und aufzubewahren. Erfasstes, restauriertes und digitalisiertes Archivgut kann hier nicht nur digital sondern auch im Original eingesehen werden“, so Quander. „Das Papier ist immens schwer und muss aufwendig gelagert werden. Aber irgendwann kommen wir in die Innenstadt zurück“, versprach der Kulturdezernent und fuhr mit seinem Dienstwagen davon. Ich machte mich hingegen zu Fuß auf den Weg zurück.

[Marcel Clemens für report-k.de | Kölns Internetzeitung]