Straßburg | aktualisiert 11.50 Uhr | Im Streit darüber, wer zukünftig darüber bestimmt, wann und warum im Schengen-Raum zeitweise wieder Grenzkontrollen eingeführt werden dürfen, versucht das Europäische Parlament jetzt, eine Brücke zwischen der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten zu bauen. Fraktionsübergreifend habe man sich darauf geeinigt, die Entscheidung in bestimmten Fällen – wie bisher – in den Händen der Mitgliedstaaten zu belassen

In besonders schweren Fällen soll sie aber auf die Kommission übertragen werden, wie die „Süddeutsche Zeitung“ am Dienstag erfuhr.

Der Innenausschuss des Parlaments will am heutigen Mittwoch dazu einen Beschluss fassen. Während die Abgeordneten in den Schengen-Verfahrensfragen für einen Kompromiss eintreten, weisen sie die Idee der Kommission allerdings entschieden zurück, eine erhöhte illegale Zuwanderung in den bestehenden Katalog der Gründe für Kontrollen an den EU-Binnengrenzen aufzunehmen. Das hatte EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström Ende vergangenen Jahres vorgeschlagen.

Die Idee war vom deutschen Innenminister Hans-Peter Friedrich und seinem französischen Kollegen Claude Guéant in der vergangenen Woche aufgegriffen worden. In einem gemeinsamen Brief, der auch im französischen Wahlkampf eine Rolle spielte, forderten sie, als „ultima ratio“ die „Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen“, falls ein Abschnitt der Schengen-Außengrenze nicht ausreichend gegen illegale Zuwanderung gesichert werden kann. Den beiden Ministern war daraufhin Populismus vorgeworfen worden.

Man brauche „keine neuen Gründe“ für die Wiedereinführung von Grenzkontrollen, lehnte der CSU-Europaabgeordnete Manfred Weber den Vorschlag ab. Seine sozialdemokratische Kollegin Birgit Sippel sagte, dass man bei Schwierigkeiten an den Grenzen nach außen nicht die nach innen zumachen, „sondern die Probleme der Außengrenze lösen“ sollte. Das zwischen den Parteien vereinbarte Papier, das der Zeitung vorliegt, läuft auf Folgendes hinaus: In Notfällen, also etwa bei Anschlägen oder Katastrophen, die die innere Sicherheit und Ordnung eines Landes beeinträchtigen könnten, soll jedes Land – wie bisher – seine Grenzen sofort für einige Tage kontrollieren können.

Ist ein Großereignis absehbar, das Gewalttäter anlocken könnte, wie eine Fußballeuropameisterschaft oder ein internationales Gipfeltreffen, dann soll die Entscheidung über Grenzkontrollen (bis zu 30 Tage) vom Rat, also der Versammlung der Mitgliedsländer gefällt werden. Bislang entscheidet auch hier das betroffene Land allein. Die Verlagerung in den Rat wäre eine gute „Firewall gegen Populismus“, sagte Weber, denn sie verhindere Alleingänge. In Fällen von „dauerhaften Kontrollen“ (bis zu sechs Monate) soll die letzte Entscheidung bei der Kommission liegen, die sich vorher mit dem Rat und dem Parlament beraten muss. Die Hoheit über Schengen bliebe also wie bislang in zwei von drei Fällen in der Hand der Mitgliedsländer. Unter diesen gibt es allerdings eine starke Mehrheit, die sie ganz behalten und keinerlei Zugeständnisse an Brüssel machen will. Kommt es aber über die von Cecilia Malmström vorgeschlagene Reform der Schengen-Regeln nicht zu einer Einigung zwischen der Kommission, dem Rat und dem Europaparlament, dann bleibt alles beim Alten.

Aktualisierung: Westerwelle kritisiert Friedrich wegen Grenzkontrollen

Berlin | Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hat den Vorstoß von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und dessen französischem Kollegen kritisiert, in Europa wieder nationale Grenzkontrollen einzuführen. Der „Zeit“ sagte Westerwelle: „Wir müssen aufpassen, nicht die falschen Botschaften zu senden. Für mich sind Reisefreiheit und Freizügigkeit in Europa nicht verhandelbar.“

Die im Vertrag von Schengen geregelte Reisefreiheit „macht das gemeinsame Europa für seine Bürger im Alltag erlebbar. Der Fall der Schlagbäume, diesen entscheidenden Schritt der Integration, dürfen wir sicher nicht dem Wahlkampfgetöse opfern.“ Westerwelle schlägt außerdem vor, aus den heutigen Rettungsschirmen EFSF und ESM einen europäischen Währungsfonds zu formen, einen „EWF“.

Zudem plädiert der deutsche Außenminister für demokratische Strukturreformen in Europa: „Vielleicht können wir uns verständigen, auch unterhalb von Vertragsänderungen mehr Mehrheitsentscheidungen zuzulassen. Ich könnte mir mehr permanente Präsidentschaften statt der bisherigen Doppelpräsidentschaften vorstellen, und ich würde einen Präsidenten der Europäischen Union künftig direkt vom Volk wählen lassen.“ Damit reduziere sich die Distanz zwischen politischen Entscheidungen und erlebtem Europa in der Bevölkerung, sagte Westerwelle.

Autor: dts
Foto: Die Debatte über die Grenzkontrollen im europäischen Raum gehen weiter.