Berlin | aktualisiert | In der Debatte um die politische Verantwortung für die G20-Ausschreitungen in Hamburg wirft Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) der Union ein „bislang nicht gekanntes Maß an Verlogenheit“ im Wahlkampf vor. „Es ist ein doppelzüngiges `Schwarze Peter`-Spiel gegen die SPD, das die CDU/CSU derzeit treibt“, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Mittwoch). Einerseits würden aus der Union Rücktrittsforderungen gegen den Hamburger Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) erhoben, während der CDU-Wahlkampfkoordinator und Kanzleramtsminister Peter Altmaier „scheinbar Ehrenerklärungen für ihn abgibt“, so Gabriel. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer weist die Kritik an Kanzlerin Merkel zurück.

Er sagte weiter: Wer den Rücktritt von Scholz fordere, „der muss auch den Rücktritt von Angela Merkel fordern“. Er sagte: „Statt gemeinschaftlich die Fragen zu beantworten, warum sich die Hamburger Gewalttäter europaweit verabreden, ihre Verbrechen logistisch gut präpariert trainieren und anreisen konnten, warum sowohl die Geheimdienste als auch die europäischen Polizeibehörden das weder ausreichend wussten noch verhindern konnten und was die Politik in Deutschland und Europa ändern muss, wird ein böser und infamer Wahlkampf betrieben: hier die Krokodilstränen der CDU-Vorsitzenden und Kanzlerin mit ihrem Kanzleramtsminister für die Solidarität mit dem Hamburger Bürgermeister und dort bundesweit Propaganda gegen die angeblich windelweichen Sozialdemokraten, die den sogenannten `linken Terror` unterstützen.“ Gabriel bezeichnete dies als „Gipfel der Verlogenheit“.

Der Außenminister nahm Scholz in Schutz. Der Hamburger Bürgermeister sei „nicht der Verantwortliche für diese Gipfel-Inszenierung“. Scholz habe für die Sicherheit der Menschen in der Stadt und Freiräume für die friedlichen Demonstranten gesorgt.

Autonome Kriminelle aus ganz Europa hätten dennoch die Gewalt in Hamburgs Straßen und Wohnviertel getragen. Merkel trage die politische Verantwortung für die Ausrichtung des G20-Gipfels in Hamburg. Die Kanzlerin habe den Gipfel im Wahljahr 2017 nutzen wollen, um mit attraktiven Bildern ihr Image aufzupolieren, kritisierte Gabriel.

„Angela Merkel als Weltenlenkerin. Wenn das nicht gelingt, dann sind eben Trump, Putin und Erdogan schuld“, sagte er. „Und sollte es zu Gewalt kommen, ist ja immer die jeweilige örtliche Politik schuld. In jedem Fall nie Angela Merkel.“ Auch der Gipfel selbst sei Gabriel zufolge mit Blick auf die Themen Krieg, Bürgerkrieg, Flucht, Hunger und Armut „ein totaler Fehlschlag“.

Scholz lehnt Rücktritt nach G20-Ausschreitungen weiterhin ab

Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) lehnt nach den Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel einen Rücktritt weiterhin ab. „Diesen Triumph werde ich den gewalttätigen Extremisten nicht gönnen“, sagte Scholz dem „Stern“. Jetzt gehe es darum, nach möglichen Fehlern zu suchen, die nötigen Lehren für die Zukunft zu ziehen und mit aller Konsequenz gegen die Straftäter vorzugehen.

„Die Strafen setzen die Gerichte fest“, sagte Scholz. „Ich hoffe, es werden harte sein.“ Der Bürgermeister zeigte sich erschüttert über die gewalttätigen Krawalle und die Verwüstungen in seiner Stadt.

„Für viele ist das nur schwer auszuhalten, für mich auch“, sagte er. „Da gibt es nichts zu beschönigen: Das waren schlimme Tage für Hamburg.“ Dennoch bestritt er, dass die staatlichen und polizeilichen Behörden die Kontrolle über die Lage verloren hätten: „Der Staat hat nicht versagt.“

Scholz bestritt, dass die Polizei nicht ausreichend vorbereitet gewesen sei. Es seien auch nicht zu wenig Polizisten in der Stadt gewesen. „Es war der größte Polizeieinsatz der Nachkriegsgeschichte, vom Bund und aus allen Ländern war in Hamburg, was irgendwie zu entbehren war“, sagte er dem Magazin.

„Die haben alle ihre besten Leute geschickt, die waren technisch hervorragend ausgerüstet, hatten Wasserwerfer, Hubschrauber und Spezialkräfte vor Ort. Die Polizei hat getan, was getan werden konnte, um einen sicheren Ablauf des Gipfels in der Stadt zu gewährleisten. Gerade deshalb ist es so sehr bitter, dass man nicht vermeiden konnte, was am Ende passiert ist.“ Die Polizei habe es mit skrupellosen und völlig enthemmten Gewalttätern zu tun gehabt, die mit einer „unvorstellbaren Brutalität und guerillaartigem Vorgehen in radikalen Kleingruppen quasi-militärisch an verschiedensten Orten der Stadt wahllos gewütet haben“. Mit diesem Typus marodierender Straftäter hätten die Behörden nicht gerechnet. Ein Sicherheitskonzept, welches mit rechtsstaatlichen Methoden aufgestellt werde, sei „auf solch asymmetrische Krawallführung nicht eingestellt“, sagte Scholz.

Er verteidigte die Entscheidung, den G20-Gipfel in Hamburg abzuhalten. Kurz vor dem Gipfel habe man noch einmal mit der Kanzlerin und den Chefs aller Sicherheitsbehörden gesprochen. „Niemanden von denen hat gewarnt, der Gipfel könne in Hamburg nicht stattfinden. Im Gegenteil, alle waren beeindruckt von der Professionalität der Vorbereitung“, so Scholz. Es könne nicht sein, dass ein Mob skrupelloser Extremisten bestimme, ob und wo solche Treffen stattfinden. „Das dürfen wir uns als Bürgergesellschaft nicht gefallen lassen, der Mob darf nicht gewinnen.“ Scholz gab zu, dass die Situation am zurückliegende Freitag, als die Ausschreitungen im Hamburger Schanzenviertel ihren Höhepunkt erreicht hatten und die Polizei mehrere Stunden lang nicht eingriff, für „alle schwer erträglich“ gewesen sei. Er räumte ein: „Ja, ich schäme mich für das, was passiert ist.“

CSU-Generalsekretär Scheuer weist Gabriels Kritik an Merkel zurück

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer hat Kritik von Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) an Bundeskanzlerin Angela Merkel wegen des G20-Gipfels harsch zurückgewiesen. „Gabriel sind die Sicherungen durchgebrannt“, sagte Scheuer der „Bild“ (Mittwoch). Merkel trage die Verantwortung für die Wahl des Gipfelorts, hatte Gabriel den Zeitungen der Funke-Mediengruppe gesagt.

Sie habe den Gipfel im Wahljahr 2017 nutzen wollen, um mit attraktiven Bildern ihr Image aufzupolieren. „Und sollte es zu Gewalt kommen, ist ja immer die jeweilige örtliche Politik schuld. In jedem Fall nie Angela Merkel“, so Gabriel.

Scheuer sagte, die Äußerungen des Bundesaußenministers seien ein „flegelhafter Tiefschlag eines wahlkämpfenden Gabriel, der die Nerven verloren hat. Es war Gabriel selbst, der Hamburgs Bürgermeister Scholz vor dem Gipfel in den Rücken gefallen ist und danach zum Abschuss freigegeben hat, und jetzt sucht er die Schuld bei anderen. Bei der SPD brennt es lichterloh, weil sie bei der inneren Sicherheit versagt hat.“

Autor: dts