Wenig Information – viel Agitation
Es ist heiß in Köln am 28. Juni 2011. Der Gürzenich ist auf Kühlschranktemperatur gekühlt. Um 19:30 Uhr sind rund 170 Menschen gekommen. Die Stadt nennt die Veranstaltung „Informationsveranstaltung zur Einwohnerbefragung: Soll der Godorfer Hafen weiter ausgebaut werden“. Am Ende ist es keine Informationsveranstaltung, sondern eine Argumentationsaustauschveranstaltung, nach dem Muster von Fernsehtalkshows. Drei Gegner des Ausbaus, drei Befürworter, dazwischen ein Moderator. Die Gegner haben sich sehr intensiv mit den Argumenten aus den Baum und Planko-Gutachten auseinandergesetzt und nachgerechnet. Sie tragen Ihre Argumente schlüssig vor und beteuern auch, dass Sie nicht prinzipiell gegen einen Hafenausbau sind, sondern vor allem gegen das Verfahren und die Art und Weise. Sie fordern ein Logistikgesamtkonzept. Die Befürworter dagegen können oder wollen teilweise noch nicht einmal Zahlen benennen, vertrösten: „Geben Sie mir ihre E-Mail, ich lasse Ihnen die Zahlen morgen zukommen“. Eine besondere Rolle spielte der Kölner DGB Chef Andreas Kossiski, der sich für HGK und Hafenausbau stark ins Zeug legt und dafür auch immer wieder in die Kritik geriet. [Die Interviewanfrage von report-k.de hat der DGB allerdings nicht beantwortet] Die Befürworter werden nicht müde, immer wieder darauf zu verweisen, wie viele Arbeitsplätze in der Logistikbranche in Köln derzeit vorhanden sind.

Die 170 Interessierten erfahren aber auch Erstaunliches. Wer eine Tonne Güter transportieren will, der zahlt auf dem Binnenschiff 50 Cent und auf dem LKW dagegen 8-10 Euro, ruft HGK-Chef Horst Leonhardt in den Saal. Nachprüfen kann das keiner und es klingt mehr als unrealistisch. Stellen Sie sich einfach mal vor: Sie kaufen 1 Tonne Billy Regale bei einem schwedischen Möbelhaus in Godorf. Dann schaffen sie die Regale nach Godorf, verladen Sie auf ein Binnenschiff, bringen sie auf dem Wasser nach Niehl, verladen Sie dort erneut auf einen LKW und karren Sie nach Nippes. Nachdenkliche Geister fragen sich jetzt, ob an IHK, HGK und DGB einer der Megatrends der Wirtschaft der letzten Jahre vorbeigegangen ist und von dem vor allem die Logistik betroffen war: „Beschleunigung“. Gegen die IHK wurde inzwischen eine Strafanzeige wegen Veruntreuung der Kammergelder bei der Staatsanwlatschaft erstattet. Wie Oberstaatsanwalt Günther Feld gegenüber Report-k.de bestätigte, wurde das Verfahren gegen den Präsidenten und den Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer zu Köln, Paul Bauwens-Adenauer und Herbert Ferger, inzwischen eingeleitet. Die IHK selbst erklärt den Vorwurf der Untreue für haltlos. Ziel der Strafanzeige sei es, so Hauptgeschäftsführer Herbert Ferger, die IHK mundtot zu machen. Aktualisiert 8.7.2011, 15:35 Uhr > Wie Feld heute auf Nachfragen von Report-k.de präzisierte, wird derzeit noch geprüft, ob gegen die IHK ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird.

Viele offene Fragen
Köln hat kein aktuelles Logistikkonzept. Das ist für 2012 angekündigt. Die Hafenentscheidung wird seit über 20 Jahren diskutiert. Haben sich nicht die Rahmenbedingungen geändert? Stimmen selbst die Annahmen und Berechnungen aus den Gutachten dieses Jahrtausends noch? Wie wird sich der demographische Wandel auswirken? Welchen Einfluss wird „Peak Oil“, die steigenden Energiekosten auf die Verkehre und die Logistik der Zukunft haben? Was passiert im Zuge der Umstrukturierungen der Energiewende und den sich damit ankündigenden Veränderungen? Ist das Binnenschiff wirklich so ökologisch, wie HGK, IHK und die Befürworter angeben, eine Frage die auch im Deutschen Bundestag gerade heftig diskutiert wird? Wieviele Jahre würden die Reserven der HGK für den wasserseitigen Umschlag noch ausreichen, auch vor dem Hintergrund des begonnenen Ausbaus der Containerterminals am Eifeltor und in Köln Nord?

Vor so viel Fragen hätte man sich bei einer Informationsveranstaltung, wenigstens zwei unabhängige Experten gewünscht die auch Substanz in die Diskussion gebracht hätten und klare Zahlen auf den Tisch legen. Die Fragen machen aber auch die Komplexität des Themas deutlich, vor allem wenn man diese noch um Fragen von Wirtschaftlichkeit und  Nachhaltigkeit ergänzt. Die wesentlich besser besuchte Veranstaltung der Gegner des Hafenausbaus, über 500 Menschen waren ins Schauspielhaus gekommen, versuchte im Ansatz sich mit diesen Sachfragen auseinanderzusetzen und vor allem die Argumente und Rechenbeispiele des früheren Kölner Wirtschaftsdezernenten Fruhner überzeugten und klangen plausibel – etwa dass man jetzt den Godorfer Hafen zunächst nur ertüchtigen und erst im Bedarfsfall wirklich erweitern könne.

Wie emotional die Diskussion geführt wird, mag man daran erahnen, dass sich die SPD über die Fragen von report-k.de beschwerte und diese als tendenziös und eines seriösen Mediums nicht würdig erachtete. Aber entscheiden Sie selbst, hier die Fragen von report-k.de und die Antworten der Gegner und Befürworter:  

Oberbürgermeister Roters: "Durch den Ausbau des Godorfer Hafens bleibt Köln zukunftsfähig"

SPD: "Der Ausbau kann jährlich 140.000 Lkw-Fahrten einsparen"

CDU: "Ohne den Ausbau droht ein verkehrlicher Irrsinn"

Grüne: "Der Ausbau des Godorfer Hafens ist nicht verantwortbar"

FDP: "Das Projekt ist unnötig, unwirtschaftlich und zu teuer"

Die Linke: "Dezentrales Hafen-Konzept muss erhalten werden"

Aktionsgemeinschaft contra Erweiterung Godorfer Hafen: "Die Ausbaupläne machen keinen Sinn"

IHK: "Der Ausbau ist zwingend notwendig"

HGK: "Der Ausbau ist wirtschaftlich sinnvoll, umweltschonend und schafft Arbeitsplätze"

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[ag]