Hamide Akbayir und Ali Zülfikar

Die Kölner Mahnwachen gehen weiter

Köln | Fünf Monate lang durfte die Kölner Politikerin Hamide Akbayir (Die Linke) die Türkei nicht verlassen – in der vergangenen Woche ist die frühere Ratsfrau und Landtagsabgeordnete wieder nach Köln zurückgekehrt. Dort hatten sich viele Menschen für die Ausreise der Kölnerin eingesetzt. Akbayir war nach eigenen Angaben zum Verhängnis geworden, dass sie sich in Deutschland für die Menschenrechte in Ländern wie der Türkei eingesetzt hatte. Der türkische Staat hatte der Kölnerin darauf die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen und ihr daraufhin seit dem vergangenen Sommer die Rückreise nach Deutschland verweigert.

„Es ist schön, Dich nach so langer Zeit wieder bei uns zu sehen“, sagt der Künstler Ali Zülfikar. Er hat von Hamide Akbayir ein überdimensional großes Porträt geschaffen. Mit einer Höhe von 2,50 und einer Breite von 3,50 Meter hat es das Format eines großen Werbeplakats. Zu sehen ist die Kölnerin in Schwarz-Weiß vor einem blauen Hintergrund. In ihrer Brille spiegeln sich der Dom und eine Taube, die für die Freiheit der Kunst steht. Daneben ist die Tür von Akbayir’s Haus in der Türkei zu sehen, die mit einem rot-weißen Absperrband und einem türkischen Staatssiegel unzugänglich gemacht worden ist. „Ich wollte mit dem Projekt Hamide bei der Entlassung aus der sinnlosen Geiselhaft in der Türkei unterstützen. Sie hat mich in einer schwierigen Zeit unterstützt, jetzt wollte ich ihr beistehen“, erklärt der Kölner Künstler.

„Die Zeit, in der ich in der Türkei festhalten worden bin, war nicht einfach für mich. Anfangs habe ich die Geiselnahme und die Willkür des türkischen Staates nicht so stark empfunden. Nach ein paar Monaten steigerte sich das Gefühl der Ungewissheit. Alles, was wir versucht haben, um nach Deutschland zurückzukehren, wurde abgelehnt. Die Unterstützung aus Köln und ganz Deutschland hat mir sehr geholfen, diese Zeit gemeinsam mit meinem Mann zu bewältigen“, sagt Akbayir im Atelier des Künstlers am Poller Kirchweg.

Sie wurde zunächst 16 Stunden auf einer Polizeistation festgehalten. Das Gefängnis blieb ihr erspart. Dafür durfte sie ihren Geburtsort in der Türkei nicht verlassen und war verpflichtet, sich regelmäßig bei den Behörden bzw. bei einer Militärstation zu melden. „Mein Glück war, dass in dem kleinen Ort viele Verwandte und Freunde leben, da hatte ich meine kleine Gemeinschaft. Manche Freunde waren aber auch zurückhaltend, bei jemand, der wie ich unter Terrorverdacht gestellt wird.“

Die Terrorvorwürfe der türkischen Staatsmacht kann Akbayir bis heute nicht nachvollziehen: „Das waren komplett willkürliche und pauschale Vorwürfe. Wer sich für Menschenrechte sowie für die Rechte von Frauen und Minderheiten einsetzt, gilt gleich als Terrorist. Man stellt da unliebsame Menschen einfach in eine Ecke. Ich habe mir doch nur das Recht genommen, in einem demokratischen Land wie Deutschland als Politikerin meine Meinung zu äußern. Die Türkei ist weiter auf dem Weg, immer rückständiger zu werden. Wenn man sich offen äußert, fühlt sich das System direkt beleidigt und versucht die Menschen, die die Demokratie beim Namen nennen, einzuschüchtern. Immer noch dürfen 120 deutsche Staatsbürger die Türkei nicht verlassen“, übt die Kölnerin scharfe Kritik.

Problematisch sieht sie auch den Austausch von Daten zwischen dem deutschen und dem türkischen Staat. Hier gebe es alte Listen mit Menschen, die wegen ihrer freien Meinungsäußerung in den Fokus der türkischen Behörden geraten seien. „Ich verstehe nicht, dass ich nicht vor meiner Abreise in die Türkei vom deutschen Staat gewarnt worden bin. Hier steht die neue Regierung in der Pflicht, nicht so weiterzumachen, wie die alte“ Noch gebe es zudem in der Türkei weder eine offizielle Anklage noch einen Prozesstermin, sagt Akbayir. Dagegen sei die Unterstützung aus Köln und Deutschland enorm ermutigend für sie gewesen. „Das hat mir Mut und Kraft gegeben. Man spürt, wenn sich Menschen für einen einsetzen.“

Unterstützung kam in Köln von vielen Seiten. So sammelten die Kölner Nachbarn von Akbayir 60 Unterschriften für einen Brief an den türkischen Generalkonsul. „Wir sind da alle etwas politisch geworden, weil es jemand getroffen hat, den man seit 23 Jahren als Nachbarn kennt“, sagt Angelika Spilker-Jacobs, die wie andere Nachbarn auch an Mahnwachen teilgenommen hat. An der Kölner Uni, an der Akbayir im Institut für Biochemie als Chemisch-Technische Assistentin gearbeitet hat, sammelten Kollegen und Studenten insgesamt 4766 Unterschriften für eine Petition an das Auswärtige Amt in Berlin. „Wir werden diese auch nach der Rückkehr von Hamide Akbayir einreichen, es ist kein Einzelfall, dass deutsche Staatsbürger in der Türkei festgehalten werden“, erklärt Charlotte Meyer-Gerards.

Auch Merdan Akbayir hat als Sohn der Politikerin eine besondere Erfahrung gemacht; „Ich bin von heute auf morgen zum Aktivisten geworden. Politik ist sonst nicht unbedingt mein Gebiet. Aber als Sohn musste ich für die Freilassung meiner Mutter kämpfen. Das hat sich einfach richtig angefühlt“, berichtet der Yogalehrer und Künstler. Das sieht auch die frühere NRW-Wissenschaftsministerin Anke Brunn (SPD) so: „Es war wichtig, zusammen Hamide zu unterstützen. Wir konnten so viel erreichen und es gibt viele Gründe sich auch weiter zu engagieren. Das ist ein Thema für die gesamte Zivilgesellschaft. Man darf nicht zulassen, dass ein Staat die Freiheit der Menschen bedroht und sie einschüchtert.“ Auch Adil Demirci will mit den Mahnwachen an jedem ersten Mittwoch im Monat weitermachen.: „Das ist eine Stimme der Solidarität für Menschen, die in der Türkei gegen ihren Willen festgehalten werden. Der Fall von Hamide zeigt die Willkür des Staates. Mit Solidarität kann man etwas bewegen“, sagt der Sozialwissenschaftler, Autor und Journalist, der 2018 für zehn Monate in der Türkei ins Gefängnis musste und für den im Anschluss ein Ausreiseverbot verhängt worden ist.