Münster | Mitten in der Fußgängerzone vom Hauptbahnhof zur Innenstadt versammeln sich 600 Muslime am Freitagabend zur Auftaktkundgebung im gutbürgerlichen Münster. Ein Mann im Nadelstreifenanzug ruft mehr als eine halbe Stunde lang auf arabisch in das Megaphon. Dann sagt das Mitglied der Fatima Versammlung, die den Protestzug unter dem Motto „Gegen den religionsbeleidigenden Film im Internet“ angemeldet hat, auf deutsch: „Wir erwarten von euch Disziplin. Diese Demonstration soll ein Vorbild für Deutschland sein. Wir wollen keine Gewalt und Fanatismus.“

In der ersten Reihe des Protestzugs halten Frauen mit Kopftüchern eine Deutschlandfahne. Dahinter schwenken Mütter und Töchter rote, gelbe, grüne und schwarze Fahnen mit arabischen Schriftzügen. Mit etwas Abstand laufen in einem zweiten Protestzug hinter den Frauen dann Männer und Jungen. Ein Demonstrant übersetzt die arabische Schrift auf seiner schwarzen Fahne: „Das ist unser Glaubensbekenntnis: Es gibt keine Gottheit außer Gott. Mohammed ist sein Gesandter.“ Ein Blondschopf läuft einen Meter voraus und streckt eine Bibel in der linken und einen Koran in der rechten Hand gen Himmel.

Der 50-jährige Sprecher des Vereins Fatima Versammlung, Hallal Abdul-Amir, sagt: „Wir wollen ein Gesetz zum Verbot von Beleidigungen aller Religionen“. Deswegen protestierten heute deutschlandweit friedlich Muslime gegen die Verunglimpfung des Propheten Mohammed in einem amerikanischen Schmähvideo. Zu den Vorwürfen, dass sein Verein wegen mutmaßlicher Verbindungen zur radikalislamischen Hisbollah-Miliz im Visier des Verfassungsschutzes steht, sagt er: „Seit 20 Jahren vermutet der Verfassungsschutz, dass wir eine Anlaufstelle für Personen sind, die der Hisbollah nahestehen. Es gibt aber keine Beweise dafür.“

Islamexperte hält Demonstrationen für überzogen

Der Islamexperte von der Universität Osnabrück, Rauf Ceylan, hält die Demonstration für überzogen. „Die Macher des Videos wollten genau diese Reaktionen hervorrufen. Man muss sich immer fragen: Lass ich mich instrumentalisieren, indem ich darauf reagiere?“, sagt er der Nachrichtenagentur dapd am Freitag. Mit Protestzügen und Forderungen nach einem Verbot des vor allem im Internet verbreiteten Videos „Unschuld der Muslime“ mache man sich zu einem Werbeträger für den Film und gieße nur noch weiter Öl ins Feuer. Ceylan rät der islamischen Welt zu mehr Gelassenheit und sagt: „Solche Provokationen muss man einfach mal aushalten und ignorieren.“

Die Demonstranten in Münster sind offensichtlich anderer Ansicht. Immer wieder wechseln sich deutsche und arabische Sprechchöre ab, die per Megaphon aus dem Pulk vorgegeben werden. Während die Muslime Transparente und den Koran hochhalten, rufen sie: „Oh Prophet, für dich würden wir alles geben. Geopfert sei dir unser Leben.“ Als sie quer durch die Innenstadt laufen, singen sie: „Diesen Film wollen wir nicht, Frieden stiften ist unsere Pflicht.“

„Dürfen nicht gemischt laufen. Dann gibt es Belästigungen.“

Als die beiden Protestzüge nach zwei Stunden zur Abschlusskundgebung am Ludgeriplatz in der Nähe des Hauptbahnhofs angelangt sind, sagt eine Fahrradfahrerin am Straßenrand: „Ich finde es ja gut, dass sie für Respekt für die Religionen eintreten.“ Dann ergänzt sie allerdings verwundert: „Aber warum müssen die Frauen und Mädchen im vorderen und die Männer und Jungen im hinteren Zug laufen? In unserer Gesellschaft sollten doch alle gemeinsam demonstrieren können.“

Als der Sprechers der Fatima Versammlung, Hallal Abdul-Amir, darauf angesprochen wird, lässt die Antwort tief in das Rollenverständnis seines muslimischen Vereins blicken: „Wir dürfen nicht so gemischt laufen. Dann gibt es Belästigungen und andere Probleme“, sagt Abdul-Amir. Das Wichtigste sei aber doch, dass bis zur Abschlusskundgebung alles friedlich verlaufen und die Botschaft angekommen sei.

Autor: Jean-Charles Fays, dapd