Das Pressefoto zeigt Yael Deckelbaum. | Foto: Yael Deckelbaum

Yael Deckelbaum mit „Prayer of the Mothers Tournee” in Europa – ein Interview

Köln | Yael Deckelbaum ist eine israelisch-kanadische Sängerin, Komponistin und Friedensaktivistin, die sich in der Frauenfriedensbewegung „Women Wage Peace“ („Frauen wagen Frieden“) engagiert. Diese Bewegung setzt sich für eine friedliche und gewaltfreie Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts ein. Yael Deckelbaum erlangte Bekanntheit durch ihr Lied „Prayer of the Mothers“, das zum „March of Hope“ von 2016 entstanden ist, als tausende von Israelinnen und Palästinenserinnen gemeinsam für Frieden durch das Land marschiert sind. Yael Deckelbaum unterstreicht mit ihrer Musik und ihren Aktivitäten die Bedeutung gemeinsamer Friedensbemühungen und die Rolle von Frauen bei der Überwindung von Krisen. Derzeit ist sie auf einer Tournee durch europäische Städte. Marlene Nunnendorf hat mit ihr in Köln gesprochen.

report-K: Yael, Sie sind diese „Prayer of the Mothers Tour“ mit starken Rückenschmerzen angetreten und performen unter Medikamenten. Trotzdem spielen Sie in Köln, Berlin, Wien, Dublin, Antwerpen und Amsterdam. Was motiviert Sie?

Yael Deckelbaum: Ich denke, die Hauptmotivation ist, dem Licht eine Stimme zu geben, eine Stimme der Hoffnung, eine Stimme für die Gemäßigten, die kaum gehört werden. In diesen Zeiten, in denen so viele Menschen so laut die extremsten Dinge schreien, werden so die gemäßigten Stimmen zum Schweigen gebracht. Deshalb möchte ich den Menschen, die an den Frieden glauben, eine Stimme geben – und auch all jenen, deren Innerstes verwundet ist.

Sie haben gesagt, dass Sie glauben, dass die Parteinahme für eine Seite den Krieg in Gaza und in Israel sogar fördert. Können Sie das etwas genauer erklären?

Yael Deckelbaum:Es ist eigentlich ganz einfach: Wenn man Partei ergreift, lässt man so viele Menschen außen vor. Man hat die Situation nicht im Griff und es gibt Opfer auf beiden Seiten. Und ich muss sagen, dass es auch schwierig ist, zu der Seite der Besatzer zu gehören. Denn ich habe keine Kontrolle über die Beschlüsse meiner Regierung, wie sie sich verhält, welche Entscheidungen sie trifft, um Gaza zu bombardieren. Das geschieht nicht in meinem Namen.

Sie haben auch gesagt, dass es dem Hass dient, sich für eine Seite zu entscheiden. Was meinen Sie damit?

Yael Deckelbaum: Die Menschen erwarten, dass man seine Stimme erhebt. Sie erwarten, dass man sich entweder auf die Seite Israels stellt oder Palästina befreien will. Und in dem Moment, in dem man sich für eine Seite entscheidet, spielt man das Narrativ mit, das diesen Krieg am Leben erhält. Nämlich, dass man entscheiden muss, wer das Recht hat, auf diesem Land zu leben. Dabei gibt es auf beiden Seiten bereits Generationen, die dort geboren wurden. Es gibt Kulturen. Und es gibt eine sehr, sehr komplizierte Geschichte. Wenn wir sie lösen wollen, müssen wir den Menschen in Palästina helfen, und müssen den Menschen in Israel helfen. Ihre Unterstützung sollte dem Frieden gelten und nicht, dass eine Seite über die andere gewinnt.

Zu Beginn des Konzerts sagten Sie, dass Sie Angst vor dieser Tournee hatten. Wovor genau hatten Sie Angst?

Yael Deckelbaum: Es gibt noch einen anderen wichtigen Aspekt. Es ist mir wichtig zu sagen, dass die Menschen in Israel im Moment wirklich traumatisiert sind. Und die meisten Menschen in der Welt scheinen das nicht zu sehen, sie haben keine Ahnung. Viele Menschen greifen alle Israelis an, als hätten sie selbst Gaza bombardiert. Ich bin schon oft persönlich mit Fragen angegriffen worden wie: „Warum setzen Sie sich nicht für die Kinder in Gaza ein?“ Erstens tue ich das. Zweitens ist es unmöglich, diese komplizierte Situation in jedem Moment in ihrer Gesamtheit zu beschreiben. Das bedeutet, dass ich meine Trauer über die Ermordung oder Entführung geliebter Menschen im Kibbuz ausdrücken kann, was aber nicht bedeutet, dass ich kein Mitgefühl oder keine Trauer für die Menschen in Gaza empfinde. Immer, wenn wir unseren Schmerz über das Massaker der Hamas zum Ausdruck bringen, dann neigen die Menschen dazu, im gleichen Moment zu sagen: „Ja, aber sieh doch, was Israel in Gaza tut!“ Wir sollten den Schmerz der anderen nicht leugnen.

Doch die Menschen erwarten von uns, dass wir in einer Situation extremer persönlicher Trauer und schwerer Traumata normal funktionieren. Sie ziehen nicht in Betracht, dass wir um Freund:innen und Kolleg:innen trauern, die auf einer Party oder in ihrem Haus ermordet wurden. Die Leute erwarten also, dass man seine Stimme erhebt. Aber sie berücksichtigen oft nicht, wie schwierig es ist, die Stimme zu erheben, wenn man terrorisiert und traumatisiert ist, wenn man trauert, wenn man unter Schock steht…

Sie haben gerade erwähnt, wie traumatisiert die Menschen in Israel aufgrund der Situation sind. Dann gibt es Menschen, die an das Vorgehen der Regierung als Antwort auf die Hamas glauben, und Menschen, die dagegen sind. Führt dies zu einer stärkeren Spaltung in der israelischen Gesellschaft?

Yael Deckelbaum: Ja, auf der einen Seite gibt es eine Spaltung. Aber ich glaube, dass die meisten Bürger:innen Israels nicht mehr an unseren Premierminister glauben. Die Menschen sind sehr enttäuscht; ich meine diejenigen, die vorher an ihn geglaubt haben, sind enttäuscht. Und sie geben ihm die Schuld für das, was mit uns geschehen ist. Ich glaube, dass sie unser Land gekapert haben. Schon als Yitzhak Rabin von einem Extremisten ermordet wurde, liefen die Dinge völlig aus dem Ruder. Wenn wir uns an die Zeiten vorher erinnern, als der Gazastreifen noch nicht abgeriegelt war und es eine Beziehung zwischen Palästinenser:innen und Israelis gab, gab es sehr viele positive Entwicklungen. Und irgendwann haben sie dann alles abgeriegelt. Wir müssen auch verstehen, dass die Palästinenser:innen nicht nur Bürger:innen des Westjordanlandes oder des Gazastreifens sind. Es gibt viele, die in Israel geboren wurden, genau wie wir.

Erzählen Sie uns über das Leben von Palästinenser:innen und Israelis, aus Ihrer Erfahrung.

Yael Deckelbaum: Ja, es gibt viele Bürger:innen Israels, die Palästinenser:innen sind, wie meine Singer/Songwriter-Schwester Meera Eliabouni, die mich bei dem Konzert hier in Köln begleitet hat. Meera ist eine israelische Palästinenserin. Zuhause habe ich eine palästinensische Gesangslehrerin, die in einem Dorf in der Nähe wohnt, und sie lehrt mich das Singen. In den umliegenden Dörfern gibt es auch religiöse Palästinenser:innen. Und wir treffen uns und klären die Dinge gemeinsam. Jenseits der Politik finden die Menschen in vielerlei Hinsicht eine gemeinsame Basis.

Es gibt noch eine interessante Entwicklung.  Ich glaube, dass die Menschen in Israel noch nie so vereint waren wie jetzt. Und zwar nicht auf politische Weise. Sondern so, dass alle mithelfen, die Situation zu retten. Wir sind von unserer Regierung so sehr vernachlässigt worden, dass die Menschen sich gegenseitig helfen, indem sie zum Beispiel den traumatisierten Menschen Therapien anbieten.  Wir durchlaufen in Israel im Moment noch einen Prozess, sind noch immer sehr traumatisiert. Seit dem 7. Oktober sind wir alle im Innersten erschüttert. Künstler:innen, wirklich berühmte Künstler:innen haben die Bühne verlassen, um für die Menschen zu singen und zu spielen, die aus ihren Häusern vertrieben wurden. Denn es gibt viele, viele Orte in Israel, an denen die Menschen ihre Häuser verlassen mussten. Im Süden und im Norden Israels, wegen des Krieges.  Es gibt Dörfer, die Menschen aus anderen Dörfern aufnehmen. Nun, es gibt viele Dinge, die im Moment passieren. Und glücklicherweise gibt es in all dieser Dunkelheit auch etwas Licht und Hoffnung.

Wie sieht es mit der Friedensbewegung der Frauen aus, „Women Wage Peace“ („Frauen wagen den Frieden“)? Kann sie und wird sie weitergeführt, während dieser Krieg weitergeht?

Yael Deckelbaum: „Die ‚Women Wage Peace“-Bewegung hat auf beiden Seiten große Verluste erlitten. Während des Massakers der Hamas am 7. Oktober wurden auch Friedensaktivistinnen getötet. Wir trauern um Frauen wie Vivian Silver, Mitbegründerin von „Women Wage Peace“. Sie brachte Kinder in Gaza in Krankenhäuser und in medizinische Versorgung. Sie war eine echte Friedensstifterin. Sie war unter den Ermordeten, und es dauerte einen Monat, bis ihre Leiche identifiziert wurde… Die „Women oft he Sun“ (die palästinensische Partnerorganisation von „Women Wage Peace“) haben während der Bombardierungen in Gaza Frauen verloren. Um die Frage zu beantworten: Ja, die Bewegung geht weiter. Yael Admi, Mitbegründerin von „Women Wage Peace“, und Reem Hajajreh, Gründerin von „Women of the Sun“, wurden gemeinsam für den Friedensnobelpreis 2024 vorgeschlagen und gehören zu den „Women of the Year 2024“ des Times Magazine. Ihre gemeinsamen Bemühungen führten 2022 zum Mothers‘ Call, einer gemeinsamen Erklärung, in der die Einbeziehung von Frauen in Friedensgespräche gefordert wird. Diese Initiative stützt sich auf Studien, die zeigen, dass Friedensvereinbarungen nachhaltiger und effektiver sind, wenn Frauen daran teilnehmen.

Wir danken Ihnen für das Dank Gespräch, Yael!

Hinweis: Konzerttermine und Tickets finden Sie auf der Website der Künstlerin: https://yaeldeckelbaum.com/yael/live