Jürgen Becker als Gastpräsident in der Winkebütt bei "Deine Sitzung" am 25. Januar 2024. | Foto: report-K

Köln | Jürgen Becker als Gastpräsident bei „Deine Sitzung“ – die sich dieses Jahr Frankreich als Thema setzte. Zwischen viel kölschem Gefühl, Singen und Klamauk filettierte Becker in der Winkebütt und als Gastpräsident die politische Lage und mischte kräftig mit bei Backen, Hacken, Mett. Mirja Boes brillierte als witzige Geschichtenerzählerin, die mühelos Tempi und Erzählformate bis hin zur Stand-up Comedy, ob allein oder im Duett mit ebasa, wechselte. Für die nächsten beiden Sitzungstermine gibt es noch Karten.

ebasa der Meister und Mirja Boes beim Intro zu „Tusch de France“ von „Deine Sitzung“ am 25. Januar 2024 in den Ehrenfelder Balloni Hallen. | Foto: report-K

Zu Gast in Frankreich, Frankreich… gesungen und betont Fronkreich

Es ist der Bläck Fööss Klassiker Frankreich, der „Deine Sitzung“ in 2024 inspirierte. „Ich kauf‘ mir ein Baguette – Und treff‘ mich mit Jeanette – Da kommt auch noch Claudette…“ sind die ersten drei Liedzeilen des 1990 veröffentlichten Songs, den Johnny Hallyday alias Till Kersting als erste Musiknummer performt. Und so dreht sich „Deine Sitzung“ 2024 in weiten Teilen, um unsere Nachbarn, das Land der Liebe, die Belle Cuisine und seine Musik, die ins Kölsch umvertextet wird. 4 Stunden Karnevalsspektakel erwartet das jecke Publikum in den Ehrenfelder Balloni-Hallen.

Mirja Boes bei „Deine Sitzung“ am 25. Januar 2024. | Foto: report-K

Mirja Boes

Mirja Boes gibt der Frankreich Karnevalsshow von „Deine Sitzung“ den entscheidenden Spin: Ob in den Zwiegesprächen mit ebasa dem Meister, den Zwischenmoderationen, den grandiosen kleinen Sketchen oder exakt durchkomponierten Stories. Boes zeigt eine lässige und immens aktive Bühnenpräsenz, die jederzeit absolut auf dem Punkt ist. Mit viel Witz und einem atemberaubend getakteten Sprechtempo reißt sie das Publikum mit. Dabei changiert sie zwischen sprachlicher Virtuosität, Klamauk, Schlüpfrigkeit, dass es eine wahre Wonne ist. Männerbashing inklusive, aber nie feindselig und plump, sondern immer mit dem Sprach-Florett vorgetragen.

„Tusch de France“ heißt das Motto von „Deine Sitzung“ in der ultrakurzen Session 2024. Das Publikum lässt sich das nicht zweimal sagen und bringt Ringelware en Masse in blau, rot und weiß in die Balloni Hallen in Köln-Ehrenfeld. Mann und Frau trägt Barett mal in Rot oder in Schwarz zur Perück. Mann dazu lässig Halstuch, wie ein cooler Fiffi. Das witzigste Publikums-Damenensemble – schließlich ist ja Sitzung auch immer sehen und gesehen werden – trug Camenbert-Schachteln im toupierten High-Hair mit Papiertrikolore auf Holzsticker für den Käseigel. Besonders witzig: Die Handtasche als Baguette, heute Morgen frisch beim kölschen Bäcker erstanden. Kein französisches Klischee fehlt bei „Tusch de France“ – erfrischend eingekölscht und auch nach drei Kölsch jederzeit dechiffrierbar. Passend zu Bahnstreik und Co. startete die Show mit Gelbwestenprotesten von Ensemble und dem Orchester der Liebe. Und die Forderung: „Kölsch Preisbremse“ und Arbeitszeitverkürzung.

In den ersten beiden Sequenzen drehten sich Boes und ebasa um Tindernöllchen und Live-Memory in „Deine Sitzung“ im „Tinder des Karnevals“, wie sie selbst die Ringelwaren-Veranstaltung verspotteten.  Boes forderte Bestellmöglichkeiten für Männer mit Rückgaberecht. Das Dialog-Stakkato als Stand Up spielte das Publikum in nur zwei Nummern warm und auf Hallenbetriebstemperatur. Jürgen Becker, der ab April im Kölner Tanzbrunnen mit „Deine Disco – Wie Musik Politik macht“ unterwegs ist, führte aus der Winkenbütt heraus im Galopp und Timeride mit entsprechender Maschine durch die Karnevals- und Trinklied-Liederkiste.

ebasa der Meister, Jürgen Becker und Mirja Boes bei „Deine Sitzung“ am 25. Januar 2024. | Foto: report-K

Jürgen Becker als Gast

Becker begann 1937 mit „Kornblumenblau“ von Willy Schneider, einem Trinklied das Männern erklärte, wie Frauen verführt werden. Die Kornblume ein Erkennungszeichen für Nationalsozialisten in den 1930er Jahren. Heute wird die Kornblume wieder von Neuen Rechten am Revers getragen. Becker flicht geschickt die Frage nach dem Verbot ein. Becker fokussierte nicht nur auf das Trinklied sondern erledigte süffisant die Frage nach den damit verbundenen Geschlechterrollen mit. Bei Becker bekam Paul Kuhn kein Bier auf Hawai. Erstaunlich war übrigens die Textkenntnis des doch recht jungen Publikums.

Trinklieder und deren Texte psychologisierte Becker stimulierten das männliche Selbstmitleid. Politisch ging es in die Ära von Willy Brandt und der Sozialdemokratie. Da darf das sozialkritische Trinklied der Bläck Fööss nicht fehlen. Als das aus der Beckerschen Timeride Maschine erklang, wedelten die kölschen Franzosen im Publikum mit dem mitgebrachten Baguette ohne Mett und ertranken beim Mitsingen in Kölschseligkeit und schunkelte sich in den 28ten Himmel der Balloni Hallen. Klar, welches Lied Becker anspielte, oder nicht?*

Den Megaschunklern versetzte Becker einen leichten Dämpfer, wäre ja sonst nicht Becker und ordnete den Song einmal Kölsch realistisch ein. Schunkeln ist Scheiße, rief Becker in den Saal und dozierte fröhlich weiter, dass sogar Paul Kuhns Liedgut sozialdemokratisiert wurde, wenn dieser ein Bier für den Mann am Klavier forderte. Mit der Künstlersozialkasse streute Becker Sozialkritik aufs Mett und das nicht nur einmal. Bei „Schnaps, das…“ raste das Publikum, dann wieder vor Freude und sang kräftig mit. Karneval ist eben Mitsingen. Dass sich Becker auch mit dem Dreiklang Bloodwosch, Kölsch und e lecker Mädche und Udo Jürgens abarbeitete, versteht sich fast von selbst.  

Becker in der Winkebütt brachte aber nicht nur Ausschnitte seines Programms, sondern mahnte charmant wie wichtig mit dem Satz zur Menschlichkeit „Lück wie ich und Du“ und ergänzte: „Loss mer fiere – nit deportiere.“ Szenenapplaus. Es sei wichtig, nicht das zu betonen was uns als Menschen trenne, sondern was uns vereine. Sagte es und schloss mit „Einmal im Jahr ist Karneval am Rhein“. Becker in der Winkebütt. Dafür gab es Standing Ovations.

Mehr als 14 Programmnummern stehen auf dem Programmzettel. Vom vierstimmigen Kölsch-Kanon auf das französische Kinderlied Frère Jacques improvisiert mit dem Publikum, Wink Aerobic mit Britta Pallada bis Gerard Departement alias Alexander Boerner. Mit René Steinberg gab es Ruhrpottsprechstunde und diffizile Erläuterungen zu Lecker Mädsche, fitte Fritte und Pimpernelle. Da darf eine Männertherapiesitzung zum Karneval nicht fehlen.

Ein Höhepunkt: „Je t´aime auf dem Rad“. Kann Frau und Mann sich schöner auf den Gipfel stöhnen als auf dem Fahrradl und es danach ungehemmt laufen lassen? Mirja Boes auf Bergtour der „Tusch de France“. Witzisch, witzisch.

Till Kersting als Johnny Hallyday mit „Frankreich, Frankreich“ auf der Bühne von „Deine Sitzung“ am 25. Januar 2024. | Foto: report-K

Musik und Feiern

Im Publikum eine junge Dame als Obelixa, die gewann aber nicht die Kostümprämierung. Der zweite Teil von „Deine Sitzung“ ist musiklastiger, mag es dem fortschreitenden Kölschgenuss geschuldet sein. Aber Gastpräsident Becker sprengselte immer wieder Politisches ein. Hans Fücker wird als Richard Claydermann in den Mittelgang mit Mini-Flügel geschoben – ein Moment in grellem Pink für die Seele. Peggy Shugarhill, ehemalige Sängerin der Rockemarieche darf auf der Bühne Engel mit Namen Tommy anbeten, da ist Schunkeln am Laufenden Band Pflichtprogramm und wird von der anwesenden Ringelware ordentlich gewürdigt.

Großes Kino ist Mirja Boes in ihrer Stand Up zur Pubertät. Sie lässt tief blicken und schenkt dem Publikum einen Einblick in ihre Jugend und ihr Tagebuch. Ebasa der Meister bläst im Mittelgang sehr zur Freude des angereisten Publikums – nein nicht die Panflöte – sondern das Alphorn. Große Geräte, große Meister. Ab geht es dann bei den Pink Poms und deren Performance zu den Songs, die die Kölschen gerne intonieren. Zwischenzeitlich flachst der Gastpräsident Becker über die Impfverweigerin Wagenknecht, die sich aber für ihren Oskar öffne.

Wir lernen bei „Deine Sitzung“ 2024 Mett kann fröhlich sein und machen. Gastpräsident Becker war in pinkem Satinhemd der Cayenne-Pfeffer auf Zwiebel, Mett und Brötchen. Darauf backen wir eines. Die Redaktion gibt zwei Michelin-Sterne – auch wenn sie dazu gar nicht berechtigt ist.

Wer „Deine Sitzung“ 2024 noch erleben will, der muss sich sputen. Karten gibt es noch für die Sitzungen:

Freitag, 26. Januar 2024
Sonntag, 28. Januar 2024
Donnerstag, 1. Februar 2024
Alle Termine in den Balloni Hallen und ab 19.30 Uhr.

*Wer es nicht sofort erraten hat: Es handelt sich natürlich um das Trinklied der Bläck Fööss „Drink Doch Ene Met“, das ist der Song der so beginnt: „Ne ahle Mann steht vür der Wirtschafftsdür…“