Die Spitzen von Union und FDP haben sich am Sonntagabend auf längere Laufzeiten für Atomkraftwerke geeinigt. Demnach können die deutschen Atomkraftwerke im Durchschnitt 12 Jahre länger in Betrieb bleiben, als bisher geplant. Für die älteren Atomkraftwerke gilt eine acht Jahre längere Laufzeit, für die jüngeren eine Verlängerung von bis zu 14 Jahren. Im Gegenzug müssen die Stromkonzerne eine auf sechs Jahre befristete Steuer zahlen und einen Sonderbeitrag zum Ausbau von Öko-Strom leisten.

Merkel verteidigt Kompromiss
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den Atom-Kompromiss der schwarz-gelben Regierung heute verteidigt. Der erzielte Konsens in der Laufzeitverlängerung käme einer "Revolution" gleich, sagte Merkel. "Unsere Energieversorgung wird damit die effizienteste und umweltverträglichste weltweit", so die Bundeskanzlerin weiter. Auch Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) lobte die Entscheidung der schwarz-gelben Koalition. Die Kernkraft sei "eine wichtige Brückentechnologie auf dem Weg ins Zeitalter der regenerativen Energien", sagte Brüderle im Deutschlandfunk.

„Energiekonzept wird zur Farce“
Unterdessen werfen Opposition und Umweltverbände der Regierung Versagen vor. SPD-Chef Sigmar Gabriel warnte nach dem Atom-Konsens vor einem "neuen gesellschaftlichen Großkonflikt", der die Bevölkerung spalten würde. Gabriel kündigte zudem an, vor das Bundesverfassungsgericht ziehen zu wollen, da die Laufzeitenverlängerung nicht ohne Zustimmung des Bundesrates erfolgen dürfe. Auch die Grünen kritisierten die Entscheidung und kündigten für den Herbst Proteste an. Scharfe Kritik erntete die Regierung auch vom Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE). „Nun ist die Katze aus dem Sack, die Atommeiler sollen bis zu 14 Jahre länger am Netz bleiben, als im Atomkonsens von 2000 festgelegt. Damit wird das lang angekündigte Energiekonzept der Bundesregierung endgültig zur Farce“, urteilt BEE-Präsident Dietmar Schütz. Die Atomlobby habe sich mit ihren dreisten Forderungen auf ganzer Linie durchgesetzt. „Mit ihrer Klientelpolitik für die vier großen Stromkonzerne gefährdet Angela Merkel zukunftsweisende Milliardeninvestitionen in Erneuerbare Energien. Das Nachsehen haben alle diejenigen, die ernsthaft an einem zukunftsfähigen Energiesystem arbeiten.“
 
NRW will vor das Bundesverfassungsgericht
Die Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, hat die Entscheidung der Bundesregierung scharf kritisiert: „Die Bundesregierung stellt die Interessen der Atomwirtschaft über die Interessen Deutschlands“, so Kraft, die den Kompromiss als „unverantwortliche Energiepolitik von gestern“ bezeichnete. Kraft wird Merkel vor, unter dem Druck der Atomlobby eingebrochen zu sein. Verlierer dieser Entscheidung seien die Erneuerbaren Energien. Kraft kündigte an: „Nordrhein-Westfalen wird beim Bundesverfassungsgericht klagen, wenn die Bundesregierung mit ihren Atomplänen versucht, den Bundesrat zu umgehen. Und wir werden dann dafür sorgen, dass es in der Länderkammer keine Mehrheit gibt für den Atomwahn der Regierung Merkel.“

Kritik äußerte auch NRW-Umweltminister Johannes Remmel. Seiner Ansicht nach fehle es an Transparenz und einer öffentlichen Diskussion für ein schlüssiges Energiekonzept, dass alle Bürgerinnen und Bürger direkt betrifft: „Unter größter Geheimhaltung wurde in den Hinterzimmern von Kanzleramt, Bundeswirtschaftsministerium und Bundesumweltministerium um einen Minimalkonsens gerungen. Weder die Länder, die Verbände oder die Öffentlichkeit wurden bisher angemessen an den Rahmenvorgaben beteiligt. Hier werden Weichen für die Klima- und industriepolitische Zukunft gestellt. Das darf deshalb nicht zwischen den großen vier Energieversorgern und der Bundesregierung ausgedealt werden“, so der Minister.
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[dts, cs;
Foto: Peter von Bechen/ www.pixelio.de]