Köln | Die Schlagzeilen der Kommentatoren zur Kölner Dezernentenwahl bei der Stadtratssitzung am vergangenen Donnerstag, 24. Juni, lauten: „Wirbel im Gürzenich – Kölner Politiker zeigen schamlos, was ihnen wirklich wichtig ist“ so der „Express“-Online oder der „Kölner Stadtanzeiger“ kommentiert „Wie die Kölner Politik erneut Vertrauen zerstört“. Aber wer ist eigentlich mit „Politik“ gemeint und was ist passiert? Es tut sich und es hat sich viel getan in der Kölner Stadtpolitik: Dem Rat als politische Vertretung der Bürger*innen und Einwohner*innen und der Stadtverwaltung, aber auch im Verhältnis der Parteien zueinander und wie sie die Stadt gestalten. Beobachtungen über einen längeren Zeitraum und der Ansatz einer kommentierten Analyse in mehreren Teilen in der Serie „Akteure der Kölner Politik“ von Andi Goral. Teil 1: Die Bedeutung von Posten und deren Besetzung.

Die Causa Kienitz vor dem Hintergrund der Stadtwerke-Affäre

Zu prüfen ist, wem eigentlich ein Vorwurf gemacht werden kann? Niklas Kienitz hat sich, so hört man aus informierten Kreisen, gegen 44 Kandidat*innen durchgesetzt. Eine Personalagentur war involviert und die Oberbürgermeisterin Henriette Reker schlug Kienitz vor. Aus den Reihen des Kölner Stadtrates gab es keine Gegenkandidatur. Das Vorschlagsrecht lag bei der Kölner CDU, nach der mit den Grünen und Volt ausgehandelten Bündnisvereinigung. Rechtlich betrachtet ist nach der Gemeindeordnung der Rat und jedes Ratsmitglied der Souverän.

Denn nach der Gemeindeordnung § 71 GO NRW “Wahl der Beigeordneten“ ist das klar geregelt: „Die Zahl der Beigeordneten wird durch die Hauptsatzung festgelegt. Die Beigeordneten sind kommunale Wahlbeamte. Sie werden vom Rat für die Dauer von acht Jahren gewählt.“ Die Rolle, die die Oberbürgermeisterin dabei spielt ist eindeutig festgelegt: „Die Beigeordneten werden vom Bürgermeister vereidigt.“, so die GO NRW. Und Sie kann mit ihrer Verwaltung den Rat bei der Suche durch Ausschreibung des Verfahrens unterstützen. Das Thema kommt irgendwie bekannt vor? Ja ist es. Denn diese Thematik wurde schon bei der Nachbesetzung der Dezernent*innenstelle als es um die Nachfolge von Schuldezernentin Agnes Klein ging debattiert. Im übrigen auch die Frage, ob die Namen vorab veröffentlicht werden dürfen, was auch dieses Mal der Fall war.

Also Kienitz bewarb sich, es wurde befunden nach der Bestenauslese des Beamtengesetzes, er ist der Beste und der Rat wählte ihn – ohne Gegenkandidat*in und ohne vorherige Debatte in geheimer Wahl. Kann Kienitz ein Vorwurf gemacht werden? Ja und nein. Kienitz ist eine Verstrickung in den Stadtwerke-Skandal 2018 nachzuweisen, denn er hat das interfraktionelle Papier mit unterzeichnet, das die Linke vor der Wahl von Kienitz als rechtswidrig bezeichnet. Eine solche rechtliche Einschätzung kann geäußert werden, aber sie wurde 2018 rechtlich nicht eingefordert und schon gar nicht von einem Gericht bestätigt. Hier liegt die Crux. Der Rat der Stadt Köln und auch die Kölner Oberbürgermeisterin tat empört 2018 nach der Stadtwerke-Affäre und versprach volle Transparenz, aber diese Konsequenz gab es nicht und es gab auch keine rechtsstaatliche Aufarbeitung.

Volle Transparenz hätte schon damals bedeutet, dass die Stadtwerke-Affäre vollumfänglich rechtlich überprüft hätte werden müssen. Aber daran hatten die führenden drei Ratsfraktionen kein Interesse: CDU, Grüne und SPD. Alle drei involviert und niemand sprach 2018 von Niklas Kienitz, wobei doch schon damals alle gewusst haben mussten, dass die Unterschrift von Kienitz unter dem Papier prangt. Auch die Kölner Oberbürgermeisterin, zumindest spätestens nach der Aufsichtsratssitzung, nach der sie volle Transparenz versprach. Wenn da also jemals Affärenstaub auf dem Jacket von Kienitz lag, störte dies niemanden, bis jetzt öffentlich seine Verstrickung bekannt wurde.

Die Rolle der Grünen

Die Grünen wussten von der interfraktionellen Vereinbarung und setzten ihren Fraktionsgeschäftsführer Jörg Frank raus und ersetzten ihn durch Lino Hammer. Der ist immer noch Fraktionsgeschäftsführer der Kölner Grünen und war damals auch dabei. Ihre damalige Fraktionsvorsitzende Kirsten Jahn sagte dem „Kölner Stadtanzeiger“: „Wir sind uns einig, dass durch die absolut falsche und grundlegend fehlerhafte Vorgehensweise bei der geplanten Einrichtung und Besetzung des hauptamtlichen Geschäftsführers bei den Stadtwerken, erhebliches Vertrauen in der Öffentlichkeit verloren gegangen ist. Das Vertrauen in transparente Prozesse und das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Politik ist erschüttert. Die grünen Prinzipien der Transparenz und Besten-Auslese, unabhängig von Parteibüchern, sind und bleiben mein Leitfaden. In Zukunft werde ich hier noch viel aufmerksamer sein werden müssen und ich werde es auch sein. Die roten Linien werde ich, werden wir als Grüne nicht mehr überschreiten.“ Jahn sprach für die Partei und die Ratsfraktion. Auch heute noch sitzen viele von damals im Stadtrat. Auch der Wechsel von Kirsten Jahn zum Verein Metropolregion sorgte kurze Zeit danach für Aufsehen und nötigte die NRW-Grünen zu folgender Aussage: Die NRW-Grünen teilten damals mit, dass aus ihrer Sicht politische Parteien verhindern müssten, dass der Eindruck entstehe, dass solche Stellen nach anderen Kriterien vergeben werden als der fachlichen und persönlichen Eignung des oder der Bewerber*in: „Ein solches Verfahren hat im Falle der Metropolregion nicht stattgefunden. Dies bedauern wir, entspricht aber den bisherigen Regeln.“

Politische Nebelmaschine: Das Gerede eines möglicherweise zerfallenden Bündnisses

In den Medien wird jetzt kolportiert, dass die Grünen das Bündnis mit der CDU wegen der Personalfrage Kienitz nicht platzen lassen wollten, so kurz vor der Bundestagswahl, im übrigen ein Argument, dass nicht zum ersten Mal in Köln aus der Schachtel mit den politischen Textbausteinen gezogen wird. 2018 sagte Jahn im Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger: „Wir und vor allem ich war in einem sehr schwierigen Abwägungsprozess. Aus unserer Sicht drohte ein Ende der Kooperation mit der CDU und damit die Aufgabe der Möglichkeit, die Stadt mitzugestalten.“ Nur damals waren die Grünen die Juniorpartner*in – heute haben sie in Köln die Macht und die Personalie Kienitz schwirrt nicht erst seit Kurzem durch den Raum, sondern war schon Thema kurz nach der Kommunalwahl 2020. Zudem scheint dieses Argument ein Scheinriese zu sein, denn glaubt wirklich jemand daran, dass rund drei Monate vor der Bundestagswahl 2021 in der viertgrößten Stadt Deutschlands ein Grün-Schwarzes Bündnis zu Gunsten einer Stadt-Groko aufgelöst wird?

Das Verfahren Kienitz, aber auch die Überlassung des Aufsichtsrats-Chefpostens der Rheinenergie an Bernd Petelkau, zeigt, dass es vor allem die Kölner Grünen sind, die zwar die ethisch und moralisch größten Banner vor sich hertragen, aber wenn es zum Schwur kommt, diese anscheinend, wie auch ihre roten Linien, vergessen. Im Mainstream und dem Drängen der Grünen zur Mitte schadet ihnen das noch nicht wirklich, da auch fraglich ist, welches Interesse die Bürger*innen und Einwohner*innen, der Stadtwerke-Affäre überhaupt zumessen oder die Bedeutung dieses Konzerns außerhalb kommunalpolitischer Kreise verstanden wird. Bei der Kommunalwahl 2020 spielte das Thema nicht wirklich eine Rolle. Dennoch: Politisch desaouviert von der Wahl von Kienitz sind vor allem die Grünen.

Verlierer CDU ist der Gewinner

Gewinner ist Kienitz selbst und vor allem die Kölner CDU. An der Kölner CDU perlt derzeit alles ab, wie wenn die Handelnden sich mit einem Mittel mit Lotuseffekt imprägniert hätten. Dabei sind und waren sie sehr erfolgreich. An dem vergangenen Donnerstag, an dem Niklas Kienitz gewählt wurde, trat die Beigeordnete Blome aus der CDU ihr Amt als Stadtdirektorin bis zum Jahr 2023 an. Das ist zwei Jahre vor der nächsten Wahlperiode von 2025 bis 2030 und damit kann für acht Jahre danach die CDU diese Position erneut besetzen und sichert sich so strategisch eine der wichtigsten Positionen im Stadtvorstand auch für die kommende Wahlperiode. Die CDU sitzt jetzt vor allem in der Stadtentwicklung am Hebel, aber auch das Baudezernat ist mit Greitemann in CDU Hand. Eine spannende Konstellation.

Die SPD monierte ja bereits, dass der Wählerwille im neuen Stadtvorstand, auch wenn die Grünen Umwelt und Mobilität besetzen, nicht mehr repräsentiert ist, auch wenn dies ja gerade Aufgabe des Stadtrates ist dafür zu sorgen. Ein Vorwurf, der die Mehrheitsführer aus dem Bündnis von Grünen, CDU und Volt trifft, die dies ignorieren. Damit trifft sie den Nagel auf den Kopf: Es gibt 9 Dezernate zu verteilen: Vier haben die Grünen, vier die CDU und ein Dezernat die SPD. Der Stadtvorstand soll in einer repräsentativen Demokratie den Wählerwillen abbilden als Ausgleichsgewicht zur direkt gewählten Oberbürgermeisterin und der hat der Stadt eine andere Verteilung aufgegeben: Grüne stärkste Kraft mit 26 Sitzen, dazu kommen paritätisch in etwa CDU und SPD mit je 19 Sitzen. Eine dem Wählerwillen entsprechende Struktur hätte eine Verteilung von 6 grünen Dezernaten und je zwei Dezernaten für CDU und SPD besser abgebildet. Ganz zu schweigen davon, wenn die Dezernate gewichtet werden, dann verschiebt sich das politische Machtgefüge sogar in Richtung CDU, denn Stadtdirektorin, Stadtentwicklung, Digitales, Wirtschaft, regionale Zusammenarbeit und Baudezernat sind die Schwergewichte unter den gestaltenden Dezernaten. Die CDU hat aus ihrer historischen Wahlniederlage 2020 machtpolitisch das Optimum herausgeholt. Die Grünen werden als die öffentlich vorgeführt, die ihren Kompass nicht wieder gefunden haben.

Im zweiten Teil der Serie beschäftigt sich report-K mit der Frage, welche Auswirkungen die Besetzung von Stadtentwicklung und Baudezernat durch die CDU für die Stadt haben könnte.

Autor: Andi Goral
Foto: Am 24. Juni tagte der Kölner Stadtrat und wählte drei Dezernenten