Berlin | aktualisiert | Die Bundesregierung erlaubt im Fall Böhmermann Ermittlungen nach § 103 des Strafgesetzbuches, dem sogenannten „Majestätsbeleidigungs-Paragrafen“. Das sagte Merkel am Freitagmittag.

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Stimmen zur Erklärung von Merkel von John Emerson, US-Botschafter in Deutschland, der türkischen Gemeinde in Deutschland und FDP-Chef Christian Lindner.

Die Bundesregierung hat im Fall Böhmermann die Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes nach Paragraf 103 des Strafgesetzbuches erteilt. Dieser soll aber noch in dieser Legislaturperiode abgeschafft werden, sagte Bundeskanzlerin Merkel am Freitagmittag. Die Türkei sei ein wichtiger Partner Deutschlands, die Lage der Presse- und Meinungsfreiheit in dem Land werde von der Bundesregierung kritisch beobachtet.

Die nun erteilte Ermächtigung bedeute weder eine Vorverurteilung, noch eine vorgreifende Entscheidung, so die Kanzlerin. Bei der Entscheidung sei auch das Außenministerium und das Justizministerium einbezogen worden. In der Koalition habe es unterschiedliche Meinungen zu dem Thema gegeben.

Die Bundesregierung sei trotz der nun erteilten Ermächtigung der Ansicht, dass Paragraf 103 des Strafgesetzbuches, der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten gesondert behandelt, „entbehrlich“ sei. Erdogan hatte schon zuvor über eine Anwaltskanzlei auch Strafantrag nach Paragraph 185 des Strafgesetzbuches gestellt, bei dem es um gewöhnliche Beleidigung geht. In dem Fall geht es eine Sendung, in der ZDF-Moderator Jan Böhmermann in einem etwa sechsminütigen Sketch mit dem Satiriker Ralf Kabelka zunächst den Unterschied zwischen in Deutschland erlaubter Satire und unerlaubter Schmähkritik diskutiert hatte.

Grund war ein satirischer Song aus der NDR-Sendung „Extra 3“, der zur Einbestellung des deutschen Botschafters in der Türkei geführt hatte. Zur Anschauung trug Böhmermann schließlich ein knapp einminütiges „Schmähgedicht“ vor, in dem der türkische Staatspräsident unter anderem als homosexuell und pädophil bezeichnet wird. Gleichzeitig wurden türkische Untertitel gezeigt.

Die türkische Regierung hatte zuvor über Diplomatenkreise darum gebeten hatte, den satirischen und Erdogan-kritischen Beitrag des NDR-Magazins „Extra 3“ verbieten zu lassen, was seitens der Bundesregierung jedoch mit Verweis auf die Pressefreiheit zurückgewiesen wurde.

US-Botschafter hält Fall Böhmermann in den USA für undenkbar

Der US-Botschafter in Deutschland, John Emerson, hat das juristische Tauziehen um das Schmähgedicht des ZDF-Satirikers Jan Böhmermann über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan als in den USA unvorstellbar bezeichnet. „Das wäre surreal“, sagte Emerson der „Rheinischen Post“ (Freitagausgabe). „Ich denke nicht, dass dieser Fall in den USA jemals vor Gericht landen würde. Wir haben bei uns eine lange Tradition der lustvollen Beleidigung hochgestellter Persönlichkeiten, die bis zur Gründung des Landes zurückreicht. Bei uns wäre Herr Böhmermann sehr gut aufgehoben.“

Fall Böhmermann: Türkische Gemeinde kritisiert Merkel-Entscheidung

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, hat die Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, das Ermittlungsverfahren gegen den Satiriker Jan Böhmermann wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes zuzulassen, kritisiert. „Ich finde die Entscheidung falsch“, sagte Sofuoglu der „Berliner Zeitung“ (Samstagausgabe). „Ich hätte mir gewünscht, dass die Kanzlerin dieses Verfahren nicht zulässt, sondern dass man auf das persönliche Verfahren wartet. Denn Erdogan hat ja auch persönlich Klage eingereicht.“ Sofuoglu fügte hinzu, es gehe um die Presse- und Meinungsfreiheit. Und man solle sich an das Grundgesetz halten.

Das gewähre Erdogan auch die Möglichkeit zu einer persönlichen Klage. „Dabei sollte man es belassen.“

FDP-Chef: „Merkel hätte politisch anders entscheiden müssen“

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hat die Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Fall Böhmermann kritisiert. „Die Symbolwirkung der jetzt erteilten Ermächtigung ist sehr groß“, sagte Lindner den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Frau Merkel hätte politisch anders entscheiden müssen, um gegenüber der Türkei unser Verständnis von Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit zu vertreten.“

Erdogan habe Merkel durch veraltetes deutsches Recht unter Druck setzen können. „Er hat die Möglichkeit genutzt, um Frau Merkel in die Defensive zu bringen.“ Seine Kritiker in der Türkei könne Erdogan jetzt mit Verweis auf Deutschland mundtot machen, sagte Lindner. „Es ist richtig, dass der Schah-Paragraph abgeschafft werden soll. Diese Ankündigung entlarvt, mit welchem inneren Widerstand Frau Merkel entschieden hat und wie abhängig wir gegenwärtig von der Türkei sind.“

Der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/ Die Grünen im Bundestag Anton Hofreiter zum Fall Böhmermann:

„Frau Merkel hat sich selbst die Falle gestellt, sie hat die Frage selbst politisiert. Schon beim extra3-Filmchen hat sie die Frage politisiert. Damit gab es für Merkel nur noch falsche Entscheidungen. Und nachdem sie sich entschieden hat, das Strafverfahren zuzulassen, muss Frau Merkel jetzt mit dem Vorwurf leben, dass sie vor Erdogan eingeknickt ist. Sie muss mit dem Vorwurf leben, dass ihr der Deal mit der Türkei wichtiger ist als die Verteidigung von Pressefreiheit. Sie muss mit dem Vorwurf leben, dass sie, wenn sie die Einschränkung der Pressefreiheit in der Türkei, die massiven Angriffe auf die Menschenrechte in der Türkei und die Untaten des Regimes Erdogan in den Kurdengebieten anprangert, nicht mehr als glaubwürdig wahrgenommen wird.“

Deutsch-Türkische Gesellschaft attackiert Merkel

Der Präsident der Deutsch-Türkischen-Gesellschaft, Gerd Andres (SPD), hat die Entscheidung der Bundesregierung im Fall des Satirikers Jan Böhmermann mit scharfen Worten kritisiert. „Die Not von Frau Merkel muss sehr groß sein, dass sie sich in absolute Abhängigkeit von Herrn Erdogan begibt. Dieser Vorgang wird ihr schaden“, sagte Andres der „Welt“.

Es sei schon ein Skandal gewesen, dass die Bundeskanzlerin sich in einem Telefonat mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu für das Gedicht von Herrn Böhmermann entschuldigt habe. „Das kann sich eine deutsche Bundeskanzlerin nicht leisten.“ Andres warf Merkel eine inkonsequente Haltung im Umgang mit dem Beleidigungs-Paragrafen 103 im Strafgesetzbuch vor.

„Auf der einen Seite nimmt sie auf den Paragrafen Bezug. Auf der anderen Seite erklärt Merkel ihn für obsolet. Wer soll das verstehen?“ Die Menschen in Deutschland „mögen die Türkei, aber immer weniger Herrn Erdogan“, sagte Andres mit Blick auf den türkischen Präsidenten.

Zur Funktion der von ihm geführten Deutsch-Türkischen Gesellschaft sagte der frühere Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium: „Wir stehen für die Freundschaft mit der Türkei. Aber wir billigen nicht die undemokratische Politik und das immer despotischere Auftreten von Herrn Erdogan.“

Steinmeier und Maas haben gegen Ermächtigung gestimmt

Bundesaußenminister Steinmeier und Justizminister Maas haben sich nach eigenen Angaben gegen die von der Bundeskanzlerin ausgesprochene Ermächtigung zur Strafverfolgung des ZDF-Satirikers Jan Böhmermann nach dem sogenannten „Majestätsbeleidigungs-Paragrafen“ eingesetzt. Das teilten die beiden SPD-Minister am Freitagnachmittag in einer kurzen Erklärung mit. Weil Kanzleramt und Innenministerium für die Ermächtigung gestimmt hätten, habe „wegen der Stimmengleichheit“ die Stimme der Kanzlerin den Ausschlag gegeben.

„Für beide Alternativen gab es gute Gründe“, so Steinmeier. Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit seien aber höchste Güter der Verfassung. „Der Gedanke einer Majestätsbeleidigung passt nicht mehr in unser Strafrecht“, ergänzte Justizminister Maas.

Autor: dts