Berlin | aktualisiert | SPD-Chefin Andrea Nahles hat ihren Rücktritt als Partei- und Fraktionsvorsitzende angekündigt. Sie werde am Montag im Parteivorstand und am Dienstag in der Fraktion ihren Rücktritt von ihren Ämtern erklären, teilte Nahles am Sonntag mit. Damit wolle sie die Möglichkeit eröffnen, dass in beiden Funktionen „in geordneter Weise“ die Nachfolge geregelt werden könne. Die neuesten Entwicklungen: +++ Nach einem Medienbericht will sich Nahles komplett aus der Politik zurückziehen. +++ Malu Dreyer soll im Interim den SPD-Parteivorsitz übernehmen. +++ NRW-SPD-Chef Hartmann würdigt die Verdienste von Andrea Nahles und mahnt zur Besonnenheit. +++ Mit den Reaktionen aus der Politik.

Zur Begründung schreibt sie, dass in den letzten Wochen wiederholt öffentlich in Zweifel gezogen worden sei, ob sie die nötige Unterstützung in der Partei habe. „Deshalb wollte ich Klarheit. Diese Klarheit habe ich in dieser Woche bekommen“, so Nahles.

„Die Diskussion in der Fraktion und die vielen Rückmeldungen aus der Partei haben mir gezeigt, dass der zur Ausübung meiner Ämter notwendige Rückhalt nicht mehr da ist.“ Nahles ist seit September 2017 Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion sowie sei April 2018 Parteichefin. Wer ihre Nachfolge in den Ämtern antritt, war zunächst unklar.

Bericht: Nahles will sich komplett aus Politik zurückziehen

Andrea Nahles will sich offenbar komplett aus der Politik zurückziehen. Neben ihrem am Sonntag angekündigten Rücktritt als Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD will sie laut eines Berichts der Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Montagsausgaben) auch zeitnah ihr Bundestagsmandat niederlegen. Der genaue Zeitpunkt müsse noch besprochen werden, hieß es nach Angaben der Funke-Zeitungen aus Nahles` unmittelbaren Umfeld.

An der Vorstandsklausur am Montag und der Fraktionssitzung am Dienstag werde Nahles aber teilnehmen. Nahles hatte zuvor ihren Rücktritt von ihren Parteiämtern angekündigt. Damit wolle sie die Möglichkeit eröffnen, dass in beiden Funktionen „in geordneter Weise“ die Nachfolge geregelt werden könne, teilte Nahles am Sonntag mit.

Zur Begründung schrieb sie, dass in den letzten Wochen wiederholt öffentlich in Zweifel gezogen worden sei, ob sie die nötige Unterstützung in der Partei habe. „Deshalb wollte ich Klarheit. Diese Klarheit habe ich in dieser Woche bekommen“, so Nahles.

„Die Diskussion in der Fraktion und die vielen Rückmeldungen aus der Partei haben mir gezeigt, dass der zur Ausübung meiner Ämter notwendige Rückhalt nicht mehr da ist.“ Nahles ist seit September 2017 Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion sowie seit April 2018 Parteichefin. Wer ihre Nachfolge in den Ämtern antritt, war zunächst unklar.

Laut eines Berichts der „Bild“ soll die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer vorübergehend den Parteivorsitz übernehmen.

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NRW-SPD-Chef Sebastian Hartmann zum angekündigten Rücktritt von Andrea Nahles als Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD: „Andrea Nahles hat über viele Jahre große Verantwortung in unterschiedlichen Funktionen für die Sozialdemokratie getragen. Ihre Entscheidung verdient Anerkennung und ihre geleistete Arbeit Respekt. Trotz des hohen Drucks auf die SPD heißt es jetzt: Besonnen bleiben und nicht hektisch werden. Nerven bewahren. Mehr gemeinsame und weniger einsame Entscheidungen. Die Sozialdemokratie hat in ihrer langen Geschichte andere Krisen überwunden und ist gestärkt daraus hervorgegangen. Die gesamte verantwortliche Führung ist nun zur Aufarbeitung und Kursneubestimmung aufgerufen. Die deutsche Sozialdemokratie steht vor einer tiefgreifenden Umwälzung. Unser Land braucht eine starke, selbstbewusste und zukunftsgewandete SPD. Es wird ein langer Weg.“

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Reaktionen aus der Politik

Scholz: Land und SPD haben Nahles viel zu verdanken

SPD-Vize Olaf Scholz hat sein Bedauern über den angekündigten Rücktritt von Andrea Nahles als SPD-Partei- und Fraktionschefin geäußert. „Das Land und die SPD haben Andrea Nahles viel zu verdanken“, schrieb der Vizekanzler am Sonntag bei Twitter. Nahles habe in schwierigen Zeiten Verantwortung übernommen und ein schweres Erbe angetreten.

„Sie hat nun eine persönliche Entscheidung getroffen, die Respekt verdient und die ich persönlich bedaure.“ Mit der Fraktion habe sie wichtige Gesetze durchgesetzt, in der Partei habe sie den Erneuerungsprozess begonnen, die Parteistrukturen modernisiert und inhaltliche Klärungen herbeigeführt. „Die SPD befindet sich nicht erst seit der Europawahl in einer schwierigen Lage – wichtig ist daher, dass wir zusammenbleiben und die nächsten Schritte gemeinsam gehen“, so Scholz weiter.

Auch Politiker anderer Parteien äußerten Respekt für die Entscheidung von Nahles. „Hochachtung vor Andrea Nahles. So brutal darf Politik nicht sein. Vielleicht denken wir alle darüber einfach mal nach“, schrieb zum Beispiel Linksfraktionschef Dietmar Bartsch auf Twitter. FDP-Chef Christian Lindner teilte über den Kurznachrichtendienst mit, dass er Respekt vor Nahles habe. „Sie ist eine ehrliche und kompetente Politikerin“, schrieb er.

„Der Umgang mit Nahles sollte alle in Politik und Medien zum Nachdenken bringen.“ Ihr Rücktritt beantworte keine Kursfrage der SPD, sondern beschere Deutschland nur eine instabile Regierung, so Lindner weiter.

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Lauterbach warnt nach Nahles-Rücktritt vor „Schnellschüssen“

SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach hat sich dafür ausgesprochen, nach dem Rückzug von Andrea Nahles die Führung von Bundestagsfraktion und Partei bis auf Weiteres kommissarisch zu besetzen. „Ich warne vor Schnellschüssen“, sagte Lauterbach der „Welt“ (Montagsausgabe). „Wir dürfen jetzt nicht nach dem Motto verfahren: Der Nächste bitte!“ Deshalb sei es angebracht, „wenn die Fraktion und die Partei erst einmal kommissarisch weitergeleitet werden“.

Lauterbach kritisierte die massiven Angriffe auf Nahles aus den eigenen Reihen. „Da hat auch Frauenfeindlichkeit eine Rolle gespielt.“ In der SPD müsse man sich nun überlegen, in welchem Stil man in Zukunft miteinander umgehen wolle.

„Wir müssen darüber nachdenken, ob wir mit diesem Umgang tatsächlich Vorbild sein können.“

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Stegner verlangt grundlegenden Wandel im Umgangsstil seiner Partei

SPD-Vize Ralf Stegner hat einen Neustart der SPD im Umgang in den eigenen Reihen gefordert. „Der Umgangsstil innerhalb der SPD in den letzten Tagen und Wochen war überhaupt nicht vom sozialdemokratischen Grundwert der Solidarität geprägt“, sagte Stegner der „Welt“ (Montagsausgabe). „Wenn wir neues Vertrauen gewinnen und diese gravierende Krise überwinden wollen, muss sich das grundlegend ändern.“

Außerdem dürfe es jetzt keine Schnellschüsse oder „Handeln aus der Ich-Perspektive“ geben, so Stegner. „Alle notwendigen programmatischen, organisatorischen und personellen Weichenstellungen müssen sorgfältig, gemeinsam, transparent und mit größtmöglicher innerparteilicher Demokratie auf den Weg gebracht werden.“

SPD-Vize Ralf Stegner hat sich dafür ausgesprochen, die Parteibasis bei der Suche eines Nachfolgers für Parteichefin Andrea Nahles einzubeziehen. In der Parteivorstandsklausur am Montag, aber auch schon am Sonntagabend, werde es Gespräche über das weitere Vorgehen geben, sagte Stegner dem „Handelsblatt“ (Montagsausgabe). „Ich gehe davon aus, dass dann geklärt wird, wie die nächsten Tage weiterlaufen sollen.“

Ihm sei es wichtig, „dass man das in einer Form macht, die transparent ist, die Mitglieder mitnimmt und Teamarbeit ermöglicht“. Da sei in den letzten Wochen „vieles nicht so toll gewesen“, so Stegner. „Das muss sicher anders gemacht werden, wenn wir wieder aus dem Tief herauskommen wollen.“ Überrascht habe ihn die Nahles-Entscheidung nicht, sagte der SPD-Vize weiter: „Der Druck war ja ziemlich groß in den letzten Tagen.“

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Dreyer: SPD ist nicht führungslos

SPD-Vize Malu Dreyer hat ihre Partei nach dem angekündigten Rücktritt von Andrea Nahles als Partei- und Fraktionsvorsitzende zur Besonnenheit gemahnt. Die SPD sei nicht führungslos, sagte Dreyer am Sonntagnachmittag in Berlin. Die Parteiführung mit den stellvertretenden Vorsitzenden werde sich am Sonntag beraten und dem Parteivorstand am Montag Vorschläge unterbreiten, wie es weitergehen solle.

„Die Lage ist sehr, sehr ernst“, fügte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin hinzu. Man sei sich dieser Lage aber bewusst. „Wir werden auch Wege finden, wie wir aus dieser sehr ernsten Lage herauskommen“, so Dreyer weiter.

Zum Rücktritt von Nahles sagte sie, dass sie die Entscheidung bedauere aber auch respektiere. Dreyer gilt Medienberichten zufolge als mögliche vorübergehende Nahles-Nachfolgerin an der Parteispitze. Die stellvertretende SPD-Vorsitzende wollte sich am Sonntagnachmittag zu entsprechenden Spekulationen allerdings nicht äußern.

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Wagenknecht hält Nahles-Rückzug für richtig

Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht hat der SPD vorgeworfen, die tatsächlichen Gründe für den Absturz der Sozialdemokraten zu ignorieren. „Es ist natürlich richtig, wenn eine Parteivorsitzende nach einem desaströsen Wahlergebnis Konsequenzen zieht“, sagte Wagenknecht der „Welt“ (Montagsausgabe). „Aber die SPD-Führung verkennt die wirklichen Ursachen ihres Absturzes, der lange vor Nahles begonnen hat und bei einem Nachfolger, der den bisherigen Kurs fortsetzt, anhalten wird.“

Die SPD brauche wieder ein glaubwürdiges sozialdemokratisches Profil, „wenn sie die Millionen Wähler zurückgewinnen will, die sie durch ihre Politik des Sozialabbaus und der jahrelangen Kungelei mit der CDU vertrieben hat“, so Wagenknecht. „Solange jeder fünfte Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor arbeitet, gerade junge Leute vielfach nur noch befristete, prekäre Jobs bekommen, und die SPD daran nichts grundlegend ändern will, gibt es für diese Menschen auch keinen Grund mehr, der SPD ihre Stimme zu geben.“

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Kellner: Probleme der SPD nach Nahles-Rücktritt nicht gelöst

Die Grünen bezweifeln, dass die Probleme der SPD mit dem Rückzug der bisherigen Partei- und Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles aus der Politik gelöst sind. „Mit Köpfen auswechseln allein ist es aber nicht getan“, sagte Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner der „Welt“ (Montagsausgabe). Zugleich bekundete er seinen Respekt vor Nahles.

„Es geht eine kämpferische Frau, die immer was verändern wollte und viel erreicht hat.“ Der Grünen-Politiker reagierte skeptisch auf die Forsa-Umfrage vom Samstag, nach der seine Partei inzwischen auch die Union überholt hat. Er gebe „auf Forsa wenig, die sind vor allem auf Schlagzeilen aus“, sagte Kellner.

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DGB-Chef Hoffmann fordert Ende der „Selbstzerfleischung“ der SPD

Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, hat der scheidenden SPD-Chefin Andrea Nahles Respekt gezollt und ein Ende der „Selbstzerfleischung“ der Partei angemahnt. „Die Entscheidung von Andrea Nahles verdient großen Respekt. Die Partei darf sich nun nicht weiter zersägen“, sagte Hoffmann dem „Handelsblatt“ (Montagsausgabe).

„Die personelle Selbstzerfleischung muss beendet werden.“ Die Gewerkschaften und viele andere gesellschaftliche Gruppen bis weit ins Arbeitgeberlager hätten kein Interesse daran, dass die SPD den französischen Weg nehme und wie ihre Schwesterpartei, die Partie Socialiste, nur noch auf sechs Prozent komme. „Um wieder Glaubwürdigkeit zu gewinnen, braucht die SPD ein klares Projekt, das zeigt, wie gute Arbeit und eine gesunde Umwelt gestaltet werden können und in Zeiten rasanten Wandels den Menschen Sicherheit gegeben werden kann“, sagte Hoffmann.

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Politologe Probst: Nahles-Rückzug hilft SPD nicht aus der Krise

Nach Einschätzung des Bremer Politikwissenschaftlers Lothar Probst wird der Rückzug von SPD-Chefin Andrea Nahles der Partei nicht aus der Krise helfen. „Die SPD hat strukturelle Probleme, die ursächlich sind für ihre Wahlniederlagen in der letzten Zeit. Personelle Veränderungen bringen de facto nichts“, sagte Probst dem „Handelsblatt“ (Montagsausgabe).

Die SPD habe schon so oft geglaubt, sich mit einem Wechsel an der Spitze aus ihrer Krise zu befreien. „Das hat kein einziges Mal funktioniert.“ Das zeige, so Probst: „Die SPD liegt am Boden. Sie hat keine Idee, wie sie aus ihrem Tief herauskommen will.“ Die Folgen für die Große Koalition seien „schwer vorauszusagen“, sagte Probst weiter. Es sei zwar nicht ausgeschlossen, dass es zu vorzeitigen Neuwahlen komme.

„Das ist aber weder für die SPD noch für die CDU eine attraktive Option“, sagte er. „Ich vermute, dass sich die Koalition eher weiter durchwursteln wird und im Herbst eine Bilanz der Regierungsarbeit zieht.“ Noch gehe er also nicht davon aus, „dass die Große Koalition am Rücktritt von Andrea Nahles zerbricht“.

Die Koalition sieht Probst dennoch in schwerem Fahrwasser, da beide Parteien an der Spitze „schwer angeschlagen“ seien. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer habe sich mit ihrer Reaktion auf das Rezo-Video „ins eigene Fleisch geschnitten“, sagte er. „Wir haben eine instabile Situation in der GroKo.“ Das sei „kein gutes Omen“ für die weitere Zusammenarbeit sowie für die Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen Anfang September. „Wenn zwei Parteien in ihrem inneren Kern immer noch mit der Verarbeitung der Europawahl beschäftigt sind und zudem befürchten müssen, bei vorgezogenen Neuwahlen unterzugehen, dann ist das keine gute Voraussetzung, um geschlossen in die Wahlkämpfe in Ostdeutschland zu gehen“, sagte der Politikwissenschaftler.

Autor: dts