Das Foto zeigt die Zülpicher Straße am Elften im Elften 2022. | Foto: Bopp

Köln | Der Verein Bürgergemeinschaft Rathenauplatz ruft zur Demonstration am kommenden Freitag, 20. Oktober 2023, 15.30 Uhr vor dem Spanischen Bau auf. Im Spanischen Bau tritt der Runde Tisch Karneval zusammen. Es sind deutliche Worte, die die Anwohnerinnen und Anwohner zu den Karnevalsexzessen rund um den Elften im Elften finden. Es geht um die Frage: Wem gehört der öffentliche Raum.

Der öffentliche Raum, was ist das eigentlich? Es ist der Raum, der sich innerhalb einer Stadt außerhalb von Gebäuden und Privatgrundstücken befindet. Dieser Stadtraum ist ein Sozialraum. Er steht grundsätzlich der Allgemeinheit zur Verfügung und ist durch diese nutzbar. So definiert etwa die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) den öffentlichen Raum als Vorraussetzung städtischen Lebens. Denn ohne öffentlichen Raum könnten Städter nicht einmal zum Supermarkt gehen. In diesem Öffentlichen Raum, so die bpb weiter spiegele sich das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft. Im öffentlichen Raum wird das Individuum, so definierte es der Philosoph und Soziologe Richard Sennett zum Beobachteten und Beobachter und begegnet Fremden. Der öffentliche Raum werde erst durch das Verhalten der Menschen, die ihn figurativ bilden, räumlich konkret. Heute werde der öffentliche Raum unterschiedlich genutzt als Verkehrsraum, als Konsumraum, als Kommunikationsraum oder als Erholungsraum. Ohne Öffentlichkeit kein öffentlicher Raum und wer diese Öffentlichkeit wie herstellt, dass sei Verhandlungssache.

Verhandelt wird der öffentliche Raum am Elften im Elften und zu den Straßenkarnevalsfeiern im Kwartier Lateng. Ein Akteur in dieser Verhandlungssache sind die Anwohnerinnen und Anwohner, die sich vor allem an den wildesten Tagen des Straßenkarnevals, also am Elften im Elften und an Weiberfastnacht massiv gestört fühlen. Warum dies so ist dokumentieren sie im digital öffentlichen Raum von Social Media. Dies greifen wiederum Medien auf. An vorderster Front spitzt dies der Boulevard entsprechend zu mit grellen Schlagzeilen wie „Sex vor der Tür“ und megagepixelten Fotos von Citizen Journalists. So weit so schwierig.

Demonstrationsaufruf in deutlicher Sprache

Die Anwohnerinnen und Anwohner des Kwartier Lateng nehmen kein Blatt mehr vor den Mund. Zunächst treffen sie die Tatsachenfeststellung, dass die Besäufnisse am Elften im Elften mit dem klassischen Kölschen Karneval nichts mehr zu tun hätten. Mmh, das stimmt nicht so ganz für den Fastelovend als solches, nur nannte man es früher anders. Früher hieß die Feierei, die zu den jetzt – zu Recht monierten – Auswüchsen führte, „Mummerei“. Die Obrigkeit, die heute wieder in Form der Stadt Köln am Runden Tisch sitzt, versuchte schon damals alles, um die Auswüchse des allzu wilden Treibens einzudämmen. Da wurde die Finanzierung aus städtischem Vermögen gestrichen und Erzbischof Wilhelm von Gennep verbot den Klerikern und Ordensleuten sogar Bier und Wein zu verkaufen oder auszuschenken. 1412 verbot der Kölner Rat die „Mummerei“ und das immer wieder. 1487 wurde das „Vermomben, Verstuppen und Vermachen“, also der Mummenschanz, durch den Rat verboten und im 17. Jahrhundert gleich mehrfach. Die Exzesse waren nicht zu steuern. Auch die Franzosen versuchten das Treiben zu unterbinden. Wie heute zu sehen, ohne Erfolg.

Das sagen die Betroffenen

Die Stadt Köln, gemeint sind damit Stadtverwaltung und Kölner Kommunalpolitik, überließ den öffentlichen Raum im Kwartier Lateng dem Exzess. Den beschreiben die Anwohnerinnen und Anwohner so: „Die Stadt überlässt den öffentlichen Raum in unserem Viertel feierwütigen Menschen, die sich den Besuch in der Kneipe angeblich nicht leisten können oder wollen. Stattdessen mit Kiosk-Schnaps und Supermarkt-Bier auf unseren Straßen und im Grüngürtel exzessiv feiern und saufen!“ Die Anwohnerschaft sieht sich als Manövriermasse und als Reinigungskraft für vollgepinkelte Eingänge, Müll und Erbrochenes. Der Stadt werfen die Anwohnerinnen und Anwohner vor, sie alleine zu lassen und durch Nichtstun zu glänzen.

Den runden Tisch Karneval sehen sie lediglich als Feigenblatt und als ein Treffen der Karnevals- und Gastro-Lobby unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dieser Vorwurf an die Verantwortlichen in der Kommunalpolitik und Stadtspitze wiegt, vor dem Hintergrund der Definition von modernem Stadtraum und dass öffentlicher Raum Verhandlungssache sei, schwer. Daher ist auch die Forderung, die beim Demoaufruf gemacht wird legitim: „Die Stadt muss endlich mit ihren Bürgern in Dialog treten, nicht nur mit den Gastronomen und Profikarnevalisten, und tätig werden!“ Zudem wollen die Anwohnerinnen und Anwohner die Verweigerungshaltung der Kölner Verwaltung öffentlich machen. Die Bürgergemeinschaft Rathenauplatz ist der Auffassung, dass es nicht sein könne, dass die Anwohnerschaft wie etwa am Brüsseler Platz erst nach 10 Jahren über langwierige und kostenintensive Klagewege zu ihrem Recht komme.

Mummenschanz oder Eventisierung

Das ausgelassene Feiern ist seit vielen Jahren Thema, gerade rund um die Zülpicher Straße, der Hauptvergnügungsmeile im Kwartier Latäng. Und ja, viele Jahre war hier durchaus Mummenschanz und immer ein weniger wilder als anderswo in den jecken Hotspots der Stadt. Viele der Auswüchse kennen Kölner auch aus anderen Veedeln, bis hin zum öffentlichen Sex. Die Anwohnenden des Kwartier Latäng werfen der Stadt vor, aktiv dafür geworben zu haben, dass Menschen in Köln ungestört die Sau rauslassen könnten. Der „Deutschlandfunk“ schrieb schon im März 2016 zum Kölner Karneval: „Heute ist der Karneval eine Event-Marke, deren massenanziehender Erfolg ihn bedrohen könnte“. Gleichzeitig relativiert der Artikel diese mahnenden Wort und verweist auf die schönen Seiten des Kölschen Fastelovend mit Kostümbasteln mit den Großeltern im Veedel. Und schließt mit den Worten, dass es ja seit 1341 immer wieder schlecht für den Fastelovend aussah, aber es ihn immer noch gebe.

Der Verhandlungssache öffentlicher Raum an Straßenkarneval, ob Grüngürtel oder Straßenraum hilft aber Relativierung nicht, sondern nur die klare Unterscheidung: Handelt es sich um einen kommerziellen Event oder um ein Ereignis der Traditionspflege. Kommerzielle Events können im öffentlichen Raum stattfinden, wenn die ordnungsrechtliche Hüterin dieses – in diesem Fall die Stadt Köln – die Regeln definiert und an private Veranstalter mit allen Rechten und Pflichten abgibt. Ob dies an den Orten geschehen darf und kann, an denen Anwohnerinnen und Anwohner auch zum Einkaufen gehen müssen, ist eine Frage, die die Kommunalpolitik beantworten muss.

Der Aufruf der Anwohnenden und deren Forderungen

Wortlaut aus einem Plakat

Demonstration am 20. Oktober 2023, 15.30 Uhr
Theo-Burauen-Platz
Rathaus Köln, Spanischer Bau
„Das Veedel gehört uns“
„Wir sind ein Veedel und kein Ballermann“
„Gegen die Enteignung unseres Veedels durch das Feiervolk“

Die Forderungen:

Kein Ausnahmezustand am 11.11. und Karneval im Rathenauviertel
– Entschädigung aller Anwohner/innen, die flüchten müssen
– Entschädigung des Einzelhandels, der zur Sicherheit schließen muss
– Entschädigung für Vandalismus und Beseitigung der Exkremente
– Dezentralisierung der Feierzonen

Dauerhaft
– Keine organisierten Massenevents im Veedel durch die Stadt Köln
– Image-Korrektur der Stadt und der Veedel
– Schließung der Außengastronomie zu den Ruhezeiten
– Lärmschutz der Anwohnerschaft
– Schutz der Anwohnerschaft statt Schutz der Feierenden
– Schutz und Bau von bezahlbarem Wohnraum
– Reduzierung von Airbnb-Vermietungen

ag