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Christian Graf Dürckheim-Ketelhodt
Über den millionenschweren Finanzinvestor und Kunstsammler Christian Graf Dürckheim-Ketelhodt, der zurückgezogen in London lebt, ist wenig bekannt. Über den Finanzinvestor finden sich Spuren seines Engagements als Aufsichtsratsvorsitzender der Dom-Brauerei AG und Aufsichtsratsvorsitzender des Kölner Biotechnologie-Unternehmens Axiognesis AG. Bekannt ist ebenfalls, dass Graf Dürckheim wichtiger Anteilseigner des Duisburger Milliarden-Konzerns Haniel (Metro, Media Markt, Saturn, Real, Galeria Kaufhof) ist, in dessen Aufsichtsrat er auch sitzt. Über den Kunstsammler hingegen war bislang selbst Insidern so gut wie nichts bekannt.
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Cheyenne Westphal, Europa-Chefin für zeitgenössische Kunst bei Sotheby’s in London
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Interview: Christoph Mohr


Sotheby’s kündigt mit dem Auktion der „Sammlung Dürckheim“ den Verkauf „einer der bedeutendsten Sammlungen deutscher Kunst der 60er und 70er Jahre“ an. Was macht diese Sammlung so einzigartig?
Cheyenne Westphal: Man kann sagen, dass Graf Dürckheim einer der Wenigen ist, die so systematisch, so breit und so tief, die deutschen Künstler dieser Generation gesammelt haben. Natürlich gibt es andere Sammler, die Baselitz, Polke, Immendorff und natürlich Gerhard Richter gekauft haben. Aber niemand hat so wie Graf Dürckheim, der 1973 zu sammeln anfing, eine ganze Künstlergeneration gesammelt. Das macht ihn und seine Sammlung wirklich einzigartig.

Einzigartig, außergewöhnlich etc. sind im Kunsthandel ja immer gern gebrauchte Attribute, die aber nur im Vergleich wirklich Sinn machen. Wo steht die Sammlung Dürckheim im Vergleich zu anderen privaten oder öffentlichen Sammlungen?
Wenn man Vergleiche sucht, kommt einem die Sammlung von Frieder Burda in Baden-Baden in den Sinn, die Sammlung Fröhlich, die lange in der Tate Gallery in London zu sehen war, oder die von dem Sammlerehepaar Ströher übernommene Sammlung Grothe, die heute im Museum Küppersmühle in Duisburg zu sehen ist.

Stimmt es, dass die Werke der Sammlung Dürckheim nie öffentlich ausgestellt worden sind?
Ja, ich war die erste Person, die die Sammlung in ihrer Gesamtheit zu sehen bekam. Einzelne Arbeiten waren schon in der Vergangenheit ausgestellt gewesen; Baselitz und Blinky Palermo hingen als Dauerleihgabe in der Staatsgalerie moderner Kunst in München. Aber die gesamte Sammlung ist nie irgendwo auf der Welt zu sehen gewesen.

Und wieso Sie?
Ich habe Graf Dürkheim vor Jahren über eine Baselitz-Recherche kennengelernt. Ich wusste zu dem Zeitpunkt aber nicht wie tief seine Sammlung wirklich ging, da Graf Duerckheim ein sehr privater Sammler und Mensch ist. Irgendwann rief er mich an und zeigte mir dann seine Bilder.
 
Ein toller Moment!
Das kann man wohl sagen! Und mehr als das. Ich habe in meinem Leben schon ziemlich viele Arbeiten von Gerhard Richter gesehen, kenne sein Werk sozusagen in- und auswendig. Und plötzlich hängt da vor mir eine Richter-Arbeit, die als verloren galt. Sie müssen sich das einmal vorstellen! „Die Eisläuferin“ (aufgrund eines Photos der deutschen Eiskunstläuferin Marika Kilius) wird im digitalen Werkverzeichnis von Gerhard Richter als Arbeit Nr. 2 geführt und war dort nur als schlechte Reproduktion zu sehen. Selbst Gerhard Richter glaubte, dass das Bild verloren sei. Das ist wirklich eine sensationelle Wiederentdeckung.

Wie kam diese Sammlung überhaupt zustande?
Als Student in Mannheim hat Graf Dürckheim 1970 in der Galerie Rothe in Heidelberg eine Radierung von Baselitz gesehen; das war wohl so etwas wie die Initialzündung.
Zu Baselitz hat er wohl auch so etwas wie eine Seelenverwandtschaft verspürt, da beide in Sachsen in der damaligen DDR geboren wurden. 1973 hat Graf Dürckheim dann angefangen, systematisch alle Künstler dieser Generation zu sammeln, und zwar bewusst auch frühe Arbeiten von 1960 an.
 
Wie kam es jetzt zu dem Verkauf? Muss man sich das so vorstellen, dass Sie den Sammler mit einem hübschen Millionenbetrag geködert haben – immerhin soll die Sammlung ja mindestens 40 Millionen Euro einspielen?
Für Graf Dürckheim war die Sammlung eigentlich schon seit 1985 fertig und abgeschlossen. Er wollte aber kein Museum für seine Sammlung wie andere Privatsammler und eigentlich auch nicht verkaufen. Mittlerweile aber sammelt Graf Dürckheim jüngere Künstler, mit denen er auch in sehr regem Austausch steht und er hat beschlossen sich jetzt mehr darauf zu konzentrieren und die geschlossene deutsche Sammlung zu verkaufen.

Zu den Höhepunkten der Sammlung gehört „Die Grosse Nacht“ von Georg Baselitz, ein nahezu unbekanntes „Schwesterstück“ zu „Der großen Nacht im Eimer“ ,einem großen (2,50 x 1,80 m) Ölbild, das in provokanter Weise eine mastubierende Figur zeigt und heute im Museum Ludwig hängt.
Das ist eine interessante Geschichte. 1963 wurde das Gemälde in der ersten Einzelausstellung des Künstlers, die zugleich die Antrittsausstellung der Galerie Michael Werner und Benjamin Katz in West-Berlin war, gezeigt und noch während der Ausstellung von der Staatsanwaltschaft wegen Unsittlichkeit beschlagnahmt. Sowohl Baselitz als auch die beiden Galeristen wurden mit einem Bußgeld belegt. Den damals 24-jährigen Baselitz machte diese Affäre schlagartig bekannt, und das Bild gilt heute allgemein als Ursprung seines gesamten künstlerischen Werkes.

Aber es ist noch etwas komplizierter. Es gibt nämlich drei Versionen dieses Bildes! Es gibt „Die Große Nacht im Eimer“, die im Museum Ludwig in Köln hängt. Es gibt eine „Große Nacht im Eimer“ im Van Abbemuseum in Eindhoven. Die waren bekannt. Dass es auch eine dritte Version in der Sammlung Dürckheim gab, wusste kaum jemand.
 
Aber es gibt noch ein anderes Werk in der Sammlung mit einem aktuellen Bezug zu Köln.
 
Welches?
„1024 Farben“ von Gerhard Richter aus dem Jahr 1974. Wer heute auf dieses Ölgemälde mit seinen verschiedenfarbigen Quadraten schaut, „sieht“ sofort das Richter-Fenster im Kölner Dom.

Zu den am höchsten taxierten Werken gehört mit einem Schätzpreis von 2-3 Millionen Euro eine Arbeit von Gerhard Richter,  Telefonierender aus dem Jahre 1965.
Auf dieser für Richter typisch verwischten Photoarbeit kann man nicht viel erkennen; Sie glauben den „Telefonierenden“ jedoch als Elvis Presley identifizieren zu können. Ist das nicht etwas gewagt?
Das war vielleicht etwas vorschnell. Sagen wir: Wir finden, dass es eine frappierende Ähnlichkeit mit Elvis Presley gibt. Aber es gibt keinen Nachweis, nicht einmal einen Hinweis, dass sich Richter hier durch eine Photographie von Elvis Presley hat inspirieren lassen.

Sie selbst gelten als eine der international führenden Richter-Experten, deren wichtigstes Kapital ihr Adressbuch ist. Stimmt es eigentlich, dass Sie von allen wichtigen Richter-Arbeiten sagen können, in welchen Sammlungen sie sich befinden?
Von vielen, ja. Bei den frühen Arbeiten sind es vielleicht 80 Prozent. Aber dann gibt es eben doch immer wieder Überraschungen – wie bei der Sammlung Dürckheim. Sie müssen sich das einmal vorstellen! Über mehrere Richter-Arbeiten in der Sammlung gab es nirgendwo einen Hinweis, dass sie sich in dieser Sammlung befinden, nichts, nirgendwo.

Gerhard Richter gilt als der „teuerste Künstler der Welt“, d.h. der lebende Künstler, dessen Arbeiten auf Auktionen wie bei Sotheby’s die höchsten Preise, oft Millionenpreise einspielen. Wie wichtig die Rolle von Sotheby’s und Ihre eigene Rolle für diese Preisentwicklung?
Man kann sagen, dass wir hier „market maker“ waren, also den Markt für Richter geschaffen haben. Sotheby’s war das erste Auktionshaus, das Gerhard Richter in einer Abendauktion, also den wichtigen Events des internationalen Kunstmarktes in London und New York, präsentiert hat. Wir waren die Ersten, die ihn auf ein Katalogcover gesetzt haben. Und seine Arbeiten haben bei Sotheby’s in den vergangenen Jahren immer wieder Höchstpreise und Preisrekorde erzielt. Diese Erfolgsgeschichte wollen wir mit der Auktion der Sammlung Dürckheim fortsetzen.

Auktionen leben von Preisen und Preisrekorden. Wann wäre die Auktion der Sammlung Dürckheim für Sie ein Erfolg?
Ich möchte keine konkreten Zahlen nennen. Wir schätzen den Gesamtwert der Sammlung auf mindestens 33 Millionen Pfund, also etwa 37 Millionen Euro. Aber ich gehe davon aus, dass die Sotheby’s-Auktionen am 29. und 30. Juni für einige Künstler, insbesondere Baselitz und Polke, neue Weltrekordpreise bringen werden.

Frau Westphal, vielen Dank für das Interview. Das Interview führte Christoph Mohr.

[Foto Westphal: Sotheby´s]