Berlin | aktualisiert | In SPD und Union mehren sich die Stimmen für eine Beendigung der Großen Koalition. „Andrea Nahles stand für den Bestand der GroKo – deren Stabilität ist jetzt fraglich“, sagte der Vizepräsident des SPD-Wirtschaftsforums, Harald Christ, der „Bild“. Er sei überzeugt, dass als nächstes das Ende der GroKo komme. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat nach dem angekündigten Rücktritt von Andrea Nahles vom SPD-Partei- und Fraktionsvorsitz deutlich gemacht, dass die Union die Große Koalition fortführen will. Merkel will weitermachen.

Der Kölner SPD-Bundestagsabgeordnete Rolf Mützenich soll die SPD-Fraktion kommissarisch führen >

SPD will Parteitag vorziehen >

Alles zum Rücktritt von Andrea Nahles >

Martin Schulz zu seinen Ambitionen auf den Fraktionsvorsitz >

„Alles andere führt zu nichts.“ Am Ende sei der Schritt von Nahles konsequent und richtig gewesen. „Für alle, die sich heute freuen mögen: Es ist ein großer Verlust für die deutsche Politik“, fügte Christ hinzu.

Auch Ingo Senftleben, CDU-Chef in Brandenburg stellte in der „Bild“ die Fortsetzung der Großen Koalition infrage. „Mit einer wankenden SPD, die ihren Kurs nicht geklärt hat, ist die Koalition kaum fortzuführen“, sagte Senftleben der Zeitung. Die SPD und die GroKo insgesamt seien „zur Belastung auch für die Union“ geworden.

Unterdessen sagte Sylvia Pantel, Sprecherin des konservativen Berliner Kreises in der Union, der „Bild“, dass die GroKo „keine Liebeshochzeit“ gewesen und nie zum Erfolgsmodell geworden sei. „Jetzt ist klar: Die GroKo ist am Ende.“ Für die Union „geht es jetzt – wie für die SPD – um existenzielle Fragen: Wofür stehen wir? Was wollen wir? Und wie wollen wir das erreichen?“, so Pantel.

Die Bürger verdienten klare Antworten. „Mit der SPD sind diese nicht zu finden.“ Bundestagsvizepräsident Hans-Peter Friedrich (CSU) appellierte dagegen an die Verantwortung der GroKo-Parteien: „Der Wählerauftrag gilt für vier Jahre und die politischen Parteien müssen gerade in schwierigen Zeiten für Stabilität sorgen“, sagte Friedrich der Zeitung. „Von einem vorzeitigen Ende der GroKo profitieren nur die politischen Ränder.“

Unions-Mittelstand zweifelt an GroKo-Fortbestehen

Angesichts der Entwicklung in der SPD mehren sich die skeptischen Stimmen in der Union zur Zukunft der Großen Koalition. „SPD und Union stecken weiter im GroKo-Dilemma. Wir schaffen es nicht, zur gleichen Zeit zu regieren und mit den jeweiligen Kernthemen für die Wähler unterscheidbar zu bleiben“, sagte der Vorsitzende der Mittelstands-und Wirtschaftsvereinigung der Union (MIT), Carsten Linnemann, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Montagsausgaben).

Entweder es gelinge, in dieser ungeliebten Konstellation noch einige wichtige Akzente zu setzen, die bei den Bürgern erkennbar positiv nachwirken, oder die GroKo taumele schon bald ihrem Ende entgegen, sagte der Unionsfraktionsvize.

Klöckner: Union will Große Koalition fortführen

CDU-Vize Julia Klöckner hat die SPD nach dem angekündigten Rücktritt von Andrea Nahles als Partei- und Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten aufgefordert, zügig ihre Personalfragen zu klären. „Wichtig ist, dass Koalitionspartner, die einen Vertrag miteinander geschlossen haben, füreinander berechenbar sind“, sagte Klöckner der „Saarbrücker Zeitung“ (Montagsausgabe). „Wir Christdemokraten sind und bleiben vertragstreu.“

Sie erwarte, dass nach den Rücktrittankündigungen von Nahles auch die SPD ein verlässlicher Regierungspartner bleibe „und das Land und die Herausforderungen in den Vordergrund stellt“, so Klöckner weiter. Die CDU-Vizechefin ergänzte, die schwarz-rote Koalition habe nach wie vor ein „volles Aufgabenheft“. Zugleich sagte die stellvertretende CDU-Vorsitzende, jede Form von Häme verbiete sich, denn die SPD sei eine traditionsreiche Partei, die das Land geprägt habe.

„Das sind keine leichten Stunden und Tage für Frau Nahles und die SPD“, so Klöckner.

AKK: CDU steht weiter zur Großen Koalition

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat nach dem angekündigten Rücktritt von Andrea Nahles vom SPD-Partei- und Fraktionsvorsitz deutlich gemacht, dass die Union die Große Koalition fortführen will. Man stehe weiter zur Großen Koalition, sagte Kramp-Karrenbauer am Sonntagnachmittag in Berlin. „Wir wollen mit guter Regierungspolitik unserem Land dienen.“

Die CDU trage zur Verlässlichkeit und Handlungsfähigkeit Deutschlands bei. Die Große Koalition sei dabei kein Selbstzweck, so die CDU-Chefin weiter. „Der Koalitionsvertrag bildet die Grundlage für Weichenstellungen.“

Die CDU werde weiterhin ihren Beitrag zu einer „stabilen und funktionierenden Regierungsarbeit“ leisten, fügte Kramp-Karrenbauer hinzu. Zum Zeitpunkt, an dem sie von Nahles` Rücktritt erfahren hatte, sagte die CDU-Vorsitzende, dass Nahles sie am Sonntagmorgen über den geplanten Schritt informiert habe. „Ich nehme diese Entscheidung mit großem Respekt zur Kenntnis“, sagte Kramp-Karrenbauer.

Sie habe Nahles immer als charakterstarke, aufrichtige und verlässliche Gesprächspartnerin erlebt. Sie gehe jetzt davon aus, dass die SPD ihre Personalentscheidungen zügig treffen werde und die Handlungsfähigkeit der GroKo damit nicht beeinträchtigt sein werde. Es sei jetzt auch nicht die Stunde für parteitaktische Überlegungen, so die CDU-Chefin.

Kretschmer: Neuwahl ist nicht der beste Weg

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat sich nach dem angekündigten Rücktritt von Andrea Nahles vom SPD-Partei- und Fraktionsvorsitz gegen vorgezogene Bundestagswahlen ausgesprochen. „Wir können ja nicht stehen bleiben, deswegen ist eine Neuwahl mit Sicherheit nicht der beste Weg“, sagte Kretschmer im „Bericht aus Berlin“ des ARD-Hauptstadtstudios. Es bedeute Stillstand für viele Monate.

„Besser wäre in der Tat, diese Regierung würde Tritt fassen und vorangehen, aber dazu braucht es eben mehr Gemeinsinn und nicht so viel Eigensinn“, so Kretschmer weiter.

Brinkhaus: Deutschland braucht Stabilität

Nach CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich auch Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) für eine Fortsetzung der Großen Koalition ausgesprochen. „Wir sind fest entschlossen, die Große Koalition fortzusetzen, weil dieses Land Stabilität braucht“, sagte Brinkhaus am Sonntagnachmittag in Berlin. In den nächsten Monaten seien wichtige innen- und außenpolitische Fragen zu klären.

„Deswegen stehen wir zur Großen Koalition und wir stehen auch zum Koalitionsvertrag.“ Er gehe davon aus, dass die SPD sich sowohl beim Parteivorsitz als auch beim Fraktionsvorsitz „neu und gut“ aufstellen werde, „sodass wir unsere Arbeit entsprechend fortsetzen können“, so Brinkhaus weiter. Zum angekündigten Rücktritt von Andrea Nahles als SPD-Partei- und Fraktionschefin sagte Brinkhaus, dass die Zusammenarbeit nicht immer konfliktfrei aber immer fair gewesen sei.

Die Koalition sei immer auf einen Kompromiss ausgerichtet gewesen. Er hoffe, dass die Arbeit mit der SPD-Bundestagsfraktion in diesem Geiste fortgeführt werden könne, sagte der Unionsfraktionschef.

DIW-Chef warnt vor handlungsunfähiger Bundesregierung

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hat Union und SPD davor gewarnt, den Fortbestand der Großen Koalition in Zweifel zu ziehen. „Deutschland war in den vergangenen zehn Jahren ein Anker der Stabilität für Europa, und ohne eine handlungsfähige, starke Bundesregierung wird Europa nicht vorankommen“, sagte Fratzscher dem „Handelsblatt“ (Montagsausgabe). Es gebe zwar „nie den richtigen Zeitpunkt für eine Regierungskrise“, fügte der DIW-Chef hinzu.

„Die Unsicherheit und Risiken für Deutschland und Europa waren jedoch selten höher als heute.“ Europa brauche eine starke EU-Kommission und einen „überzeugenden“ Plan, um Populismus und Nationalismus in Europa zu bekämpfen und der aggressiver werdenden Politik der USA und China Paroli bieten zu können. Deutschland müsse zudem „wichtige Weichenstellungen“ in der Bildungspolitik, bei Innovationen, beim Klimaschutz und in der Infrastruktur für die Zukunft setzen.

„Dies erfordert eine Bundesregierung, die klare Prioritäten setzt und mutige Entscheidungen trifft“, sagte Fratzscher.

Merkel will Regierungsarbeit „mit aller Ernsthaftigkeit“ fortsetzen

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nach dem Rücktritt von Andrea Nahles als SPD-Partei- und Fraktionschefin angekündigt, die aktuelle Regierung fortsetzen zu wollen. „Wir werden die Regierungsarbeit fortsetzen mit aller Ernsthaftigkeit und vor allem auch mit großem Verantwortungsbewusstsein“, sagte Merkel am frühen Montagabend in Berlin. „Die Themen, die wir zu lösen haben, liegen auf dem Tisch sowohl in der Bundesrepublik Deutschland hier bei uns zu Hause als auch in Europa“ sowie im Rest der Welt, fügte die Kanzlerin hinzu.

Den Rücktritt von Nahles bezeichnete Merkel als „tiefgreifende Entscheidung“, für die sie ihren Respekt ausdrücken wolle. Die Zusammenarbeit sei immer vertrauensvoll und zuverlässig gewesen. Sie habe auch Respekt vor den Entscheidungen, welche die SPD jetzt treffen müsse für die Nachfolge von Nahles, so die Bundeskanzlerin weiter.

Autor: dts