Das Bild zeigt die innere Kanalstraße an der Kreuzung Innere Kanalstraße und Auszüge aus dem Kommunalwahlprogramm der SPD aus dem Jahr 1975

Köln | Es war ein launiger Empfang von Oberbürgermeisterin Henriette Reker zu 75 Jahren Kölner FDP im Muschelsaal bei Heißgetränken und Törtchen. Reker zitierte in ihrer Rede ausführlich viel aus der FDP Chronik und stellte die Behauptung auf, die FDP habe 1975 den Grüngürtel vor dem Bau der Stadtautobahn gerettet. Norbert Rüther, SPD, ein Zeitzeuge und viele Jahre Fraktionsvorsitzender der SPD im Kölner Rat widerspricht und belegt seinen Widerspruch durch Dokumente. Und es gibt eine zweite Frage: Wie kommen die Reden von Oberbürgermeisterin Reker zustande?

Der FDP-Empfang

Oberbürgermeisterin Henriette Reker sagte auf ihrem Empfang zu Ehren der FDP-Fraktion: „Mit Fug und Recht können Sie zum Beispiel behaupten, dass sie unseren Grüngürtel gerettet haben. Das habe ich recherchieren müssen. 1975 setzte die FDP in der Koalition mit der SPD durch, dass die A57 am Grüngürtel endete und nicht wie ursprünglich geplant entlang des Inneren Grüngürtels als Stadtautobahnspange verlief. Großartig. Auch das verbindet uns über die Jahrzehnte. Die Grüngürtel sind den Kölnerinnen und Kölnern heilig. Wir haben ja auch schon einmal 2020 bei einer Kommunalwahl erfolgreich auf die Rettung der Grüngürtel gesetzt.“

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Dieser Ausschnitt der Rede ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Denn 2020 unterstützte die FDP Reker nicht mehr, sondern nur 2015. 2020 ging es um den Äußeren Grüngürtel und die FC-Erweiterung in der die Rolle von Reker nicht so eindeutig war, wie sie es jetzt darstellt. Und die FDP stimmte gemeinsam mit der CDU in den 1970er Jahren für den Ausbau der Militärringstraße. Aber das ist eine andere Geschichte.

Quellen für offizielle Reden des Stadtoberhauptes

Die zweite Frage ist, wie kommen Reden der Oberbürgermeisterin zustande und welche Quellen werden dafür genutzt? Reker selbst spricht von einer Quelle: die Chronik der FDP. Und sie sagt sie habe recherchiert. Öffentliche Reden des Kölner Stadtoberhauptes unabhängig von der Person haben, natürlich graduell unterschiedlich nach Wichtigkeit des Ereignisses, eine historische Dimension. Wie kann da nur die Quelle eine Schrift sein von der Institution in diesem Fall die FDP, die gewürdigt wird? Gibt es in der städtischen Redenschreiberei nicht einen Faktencheck? Kann ich als Organisation, Institution oder Unternehmen also einfach einen Text abgeben und das Kölner Stadtoberhaupt liest diesen ungeprüft vor? Immerhin gelten amtliche und offizielle Verlautbarungen als privilegierte Quelle.

So waren die politischen Verhältnisse in Köln Mitte der 1970er Jahre

Reker spricht von einer Koalition zwischen Sozialdemokratie und Liberalen im Kölner Stadtparlament. Das ist korrekt. 1975, die Ergebnisse sind online verfügbar, war wie Reker sagt die FDP das Zünglein an der Waage. Denn die Sozialdemokratie fiel mit der Wahl 1975 zum ersten Mal unter die 50 Prozent und wurde mit 47,8 Prozent stärkste Kraft vor der CDU, die 42,5 Prozent errang. Die FDP erreichte 8,3 Prozent. SPD und FDP gingen ein Bündnis ein. Allerdings war dort die FDP lediglich Juniorpartner.

Ausschnitt aus dem Ratsprotokoll der Sitzung vom 25. September 1975 mit dem FDP-Antrag und dem Ersetzungsantrag der SPD und FDP.

Was sagen die Dokumente aus jener Zeit?

Norbert Rüther, Fraktionsgeschäftsführer von 1991 bis 2000 und Fraktionsvorsitzender von 1998 bis 2002 der Kölns SPD im Rat, hat das Archiv der Stadt Köln bemüht und seine Recherche liegt report-K vor. Da ist zunächst das Wahlprogramm der Kölner SPD zur Kommunalwahl am 4. Mai 1975. Dort findet sich eine Passage zur Verkehrspolitik: Neben einer verbesserten Anbindung von Stadtteilen an den ÖPNV wollte die SPD die Innenstadt und besonders „bedrohte Stadtteile“ vom Verkehr entlasten und dort neue Fußgängerzonen einrichten. Sogar eine Untertunnelung der Rheinuferstraße für die KVB findet sich. Zum motorisierten Individualverkehr findet sich die Passage: „Der Bau weiterer großer Straßen in Köln ist nicht vorgesehen. Insbesondere sind die vorhandenen Grünflächen und Straßenbäume in der Innenstadt zu schützen. Deshalb lehnt die SPD im Interesse der Kölner Bevölkerung auch den weiteren Ausbau großer Straßen wie der Inneren Kanalstraße oder Vorgebirgsstraße eindeutig ab.“

Dann stellte die FDP einen Antrag im Rat der Stadt Köln mit dem Titel „Stadtautobahn zwischen Herkulesstraße und Vorgebirgsstraße“, der später durch einen Ergänzungsantrag von SPD- und FDP Fraktion ersetzt wurde. Der Beschlussvorschlag des FDP-Antrages lautete: „Der Rat der Stadt Köln möge beschließen: Die Verwaltung wird beauftragt, ihre Planungen und Ausarbeitungen laut Ratsbeschluß vom 19.7.1962 für den geplanten mittleren Teil der Stadtautobahn zwischen Herkulesstraße und Vorgebirgsstraße einzustellen.“

Der Ersetzungsantrag von SPD und FDP legte dann fest, dass die Stadtautobahn in Richtung Zoobrücke geführt wird und zwar sechsspurig. Auf der Höhe der Neusser Straße war sogar eine unterirdische Straßenführung angedacht. Auch der Ausbau der Inneren Kanalstraße mit je drei Fahrspuren wurde damals beschlossen. In dem Antrag findet sich zudem der Auftrag an die Stadtverwaltung bei den zuständigen Behörden auf den Ausbau eines sechsspurigen Autobahnrings zu drängen und den Militärring zu verbreitern. Dieser Antrag wurde mit den Stimmen von SPD und FDP in der Ratssitzung am 25. September 1975 beschlossen. Einiges davon wurde realisiert anderes nicht.

Der Screenshot zeigt das Ratsprotokoll der Septembersitzung 1975 und den Antrag der CDU

Das wollte die Kölner CDU damals

Der Antrag der CDU im Kölner Rat bei dieser Septembersitzung 1975 wurde von SPD und FDP abgelehnt. Die Christdemokraten forderten: „Die Verwaltung wird beauftragt, alle Alternativen einschließlich der früheren Untersuchungen von 1960 und den folgenden Jahren für den Ausbau einer leistungsfähigen Innenstadtumfahrung zwischen Merheimer Straße und Vorgebirgsstraße unter Beachtung des zu erwartenden Verkehrs, der zu erwartenden Entlastung der Innenstadt und der benachbarten Wohngebiete vorzulegen. Hierbei ist auf möglichst geringe Eingriffe in den inneren Grüngürtel und auf möglichst geringe Umweltbelastung zu achten.“

Die Verkehrspolitik stand im Zentrum der politischen Auseinandersetzung berichtet ein Buch aus dem Emons-Verlag von Thomas Deres mit dem Titel „Die Fraktion beschließt einstimmig  – Die SPD – Fraktion im Rat der Stadt Köln 1945 – 1998“. 1969 versprachen die Sozialdemokraten in ihrem Wahlprogramm ein „flottes Vorankommen durch U-Bahn, Flughafen und Stadtautobahn“. Mit Ihrem Verzicht 1975 auf den Bau größerer Straßen markierten die Sozialdemokraten einen Wendepunkt in der Verkehrspolitik. 1977 war es die SPD, die nach Anhörung von Bürgerinnen und Bürgern die Trasse zwischen Ende A 57 und Zoobrücke verkleinerte und etwa der unterirdischen Lösung die Zustimmung verweigerte. Die SPD bestätigte ihre Haltung zur Stadtautobahn in ihrem Kommunalwahlprogramm zur Kommunalwahl in Köln am 30. September 1979.

Bei der Stadtratswahl 1979 tauchen die Grünen zum ersten Mal als vierte Kraft in Köln auf und konnten auf Anhieb 4,0 Prozent der Wählerinnen und Wähler überzeugen. Die SPD und die CDU trennten lediglich 0,2 Prozentpunkte. Die SPD wurde mit 44,5 Prozent stärkste Kraft. Die FDP musste Federn lassen und kam auf 6,6 Prozent.

Ein Teil der Trasse wurde ab 1983 zur öffentlichen Grünfläche umgestaltet, wie es heute noch der Fall ist. 1983 beendeten die SPD und die FDP das Projekt Stadtautobahn mit einem Ratsbeschluss zur Aufhebung der entsprechenden Bebauungspläne. Interessant: Die SPD lehnte damals den Ausbau der Militärringstraße ab. Diesen beschlossen CDU und FDP gegen die Stimmen der Sozialdemokratie. Als die FDP mit der CDU für den unterirdischen Bau der U-Bahn auf den Ringen stimmte, brach das Bündnis zwischen Sozialdemokraten und Liberalen. Eines kann man sagen: Die SPD wollte den Ausbau des ÖPNV, priorisierte damals aber nicht den U-Bahnbau.

Norbert Rüther: Entscheidung der SPD hat Inneren Grüngürtel erhalten

Norbert Rüther ist ein Zeitzeuge. Bei den Entscheidungen in den Jahren um 1975 war er Mitglied in der SPD und später Fraktionsgeschäftsführer von 1991 bis 2000 sowie Fraktionsvorsitzender von 1998 bis 2002. Er erinnert sich daran, dass die SPD in den frühen 1970iger Jahren in Köln und darüber hinaus eine intensive Debatte über die Prinzipien ihrer Verkehrspolitik führte. Rüther: „Der ökologische Flügel – ohne sich so zu nennen – forderte den Ausbau des ÖPNV zu Lasten des Individualverkehrs. Deshalb lehnte er den Ausbau weiterer autobahnähnlicher Straßen ab. Niederschlag fand diese neue Verkehrspolitik im Kommunalwahlprogramm Köln 1975. Günter Herterich und Klaus Heugel, Vorsitzender und Geschäftsführer der SPD Ratsfraktion führten mit dieser Forderung erfolgreiche Koalitionsverhandlungen mit der FDP. Sie vereinbarten den Verzicht auf die Stadtautobahn und einiger andere stadtzerstörende Straßen.“

Rüther machte sich auf die Suche nach Dokumenten aus jener Zeit und stellte fest, dass sich im Historischen Archiv das Wahlprogramm der FDP zur Kommunalwahl 1975 nicht fand. Rüther: „Es wäre spannend zu wissen, ob die FDP die Forderung nach dem Stopp der Stadtautobahn auch dort aufgestellt hatte. Dann könnten beide Parteien den Erfolg für sich reklamieren. Die Entscheidung der SPD, ihre alte Verkehrs Politik zu revidieren, ist stadthistorisch die zentrale Voraussetzung für den Erhalt des Inneren Grüngürtels. Noch 1969 hatte sie mit neuen Straßen geworben. Die FDP kann sich ja auf die Suche nach dem Programm machen.“

Rüther weiter: „Ich erinnere mich an folgende politische Aktion, die im Inneren Grüngürtel stattfand und an der ich teilnahm: Der SPD Ortsverein Lindenthal steckte mit Absperrband vom Aachener Weiher bis zur Bachemer Straße die geplante Trasse der Stadtautobahn in voller Breite ab. Eine sehr anschauliche Demonstration, die viele Spaziergängerinnen und Spaziergänger damals beeindruckte.“