Ministerpräsidentin Hannelore Kraft auf der zentralen Gedenkveranstaltung der Jüdischen Synagogen Gemeinde Köln

Es war die zentrale Gedenkveranstaltung an den 72. Jahrestag der Reichsprogromnacht in der Synagogengemeinde Köln, die gemeinsam von der Synagogen Gemeinde und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gestaltet wurde. Ein Abend der Ruhe, der mehr in die Zukunft blickte, als nur reine Rückschau zu halten. So begrüßte Dr. Michael Rado aus dem Vorstand der Synagogen Gemeinde die Gäste mit den Worten, dass dieser Abend ein Abend sei der Grund gebe Glück zu verspüren, weil unter den Gästen die amtierende Bundesratspräsidentin und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sei. An einem Abend der daran erinnere, dass am 9.11.1938 Beamte der Polizei, der Feuerwehr und Verwaltung den Naziterror geduldet und unterstützt hatten. Rado machte deutlich, dass dies ein Tag des Innehaltens sei und Erinnerns über die nächste Generation hinaus sei. Dazu sei es wichtig, dass jeder Jugendliche in NRW und Deutschland das KZ in Auschwitz besuche, wie es die Erich und Josef Bethe Stiftung ermöglichen will. Rado zeigte auf, dass es heute in Köln wieder ein facettenreiches jüdisches Leben gebe, etwas was sich nach dem 9.11.1938 niemand mehr vorstellen konnte. Es sei eine gemeinsame Aufgabe, so Rado, dass dieses jüdische Leben in Köln so bleibe, nach vorwärts gewandt und den Traditionen verpflichtet.

Oberbürgermeister Jürgen Roters in seiner Rede: "Der Pogrom bildete einen entscheidenden Wendepunkt, nicht nur für Juden spürbar, sondern für alle, die mit ihnen lebten, das heißt für die gesamte deutsche Gesellschaft, für alle Bürgerinnen und Bürger Kölns. Für „Juden“ setzte nach dem November 1938 eine neue Phase der Verfolgung ein. Sie wurden durch spezielle Ausweise gekennzeichnet, aus ihren Wohnungen vertrieben und in sogenannten „Judenhäusern“ ghettoisiert. Sie wurden wirtschaftlich ausgeplündert und zur Zwangsarbeit eingezogen, sie mussten den „Judenstern“ tragen und wurden im Sammellager Müngersdorf inhaftiert. Im Oktober 1941 schließlich folgten die Deportationen vom Bahnhof Köln-Deutz aus in die Ghettos und Vernichtungslager des Ostens. Nur wenige überlebten. Es war nur eine kleine Minderheit, die sich dem Druck, der Propaganda und dem Belohnungssystem
des Regimes entzog. Es waren sehr wenige, die den Mut hatten, aktiven
Widerstand zu leisten. Nach dem Pogrom war dieser Widerstand ungleich schwieriger
geworden als zuvor, denn das Regime hatte in ihm sowohl seine Brutalität wie seine
Macht demonstriert. Und es hatte sich gerade durch seine Aggressivität stabilisiert."

Roters zeigte auf, wie die Stadt in Zukunft dem Problem des Rechtsextremismus begegnen will: "Die Zahl der rechtsextrem motivierten Straftaten in Deutschland hat in den letzten Jahren zugenommen und nimmt weiter zu. Auch die Brutalität der Täter hat sich deutlich gesteigert. Wir müssen zudem feststellen, dass sich eine umfangreiche, erschreckend aggressionsbereite rechtsextreme Subkultur entwickelt hat. Diese wendet sich im Internet, in Computerspielen und in Musikangeboten an Jugendliche, um Rassismus und Antisemitismus zu propagieren. Umso dringender ist es, grundlegende und gemeinsame Initiativen gegen Rechtsextremismus zu organisieren und die offenbar in vielen Bereichen fehlende demokratische Bildung
und Erziehung zu verstärken. Dazu sind Investitionen notwendig, auch finanzielle Investitionen. Es muss darum gehen, die Erziehung der Jugend zu Demokratie und Toleranz zu intensivieren, und Jugendprojekte gegen Rechtsextremismus zu unterstützen – nicht sie einzustellen. Eine Politik, die nicht auf Erziehung und Bildung setzt, sondern vor allem auf die Bekämpfung rechtsextremistischer Gewalt durch Polizei und Gerichte, hat bereits einen Teil ihrer Möglichkeiten aufgegeben und damit an Boden verloren. Aufgrund dieser Einsicht wurde 2008 im  NS-Dokumentationszentrum der Stadt die Info und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus eingerichtet. Ziel dieser Stelle ist es, das Bewusstsein für Menschenrechte, kulturelle Vielfalt und Gewaltfreiheit zu fördern und rechtsextremen Denkmustern vorzubeugen und ihnen entgegenzutreten."

Auch Ministerpräsidentin Hannelore Kraft machte deutlich, dass die die Reichsprogromnacht zu verantworten haben, keine anonymen Täter waren, sondern Deutsche aller Schichten waren, die den Terror der Nazis durch ihren Haß, ihre Dummheit und ihren Neid unterstützt haben. Kraft bezog sich auf den Satz von Hannah Arendt: "Gewalt lebt von der Ohnmacht der Menschen" und appellierte dass Menschen mutig, beherzt und jederzeit für Menschlichkeit einstehen müssen. In diesem Zusammenhang erinnerte Kraft auch an die Brandanschläge auf die Synagogen in Lübeck und Düsseldorf und dass auch heute noch jüdische Gemeinden von Polizeikräften geschützt werden müssen, so auch in Köln. Dies sei ein Menschenleben nach den Greueltaten bedrückend. Auf der anderen Seite gebe es aber auch Lichtblicke etwas wenn sich viele junge Menschen an Mahnwachen beteiligen um Synagogen zu schützen. Kraft dankte der Familie Bethe für die Einrichtung der Stiftung und bat darum den Bericht des ersten Besuch einer Schule in Auschwitz, des Kölner Dreikönigsgymnasiums, der vor wenigen Wochen stattfand, zugesandt zu bekommen. Kraft: "Ich bin mir sicher, dass die jungen Menschen als andere Menschen zurückkehren werden, als die, die sie waren bevor sie die Reise angetreten haben."

Die Ernst-Simons-Realschule zeigte ihr beeindruckendes Buchprojekt "Kölner Schüler und Schülerinnen entdecken Spuren jüdischen Lebens in Köln" und die Hauptschule Rendsburger Platz bereicherten die Gedenkveranstaltung. Abgerundet wurde die Gedenkveranstaltung von Gesängen und Rezitationen wie "Michtam Le David". Nach dem gemeinsamen Gedenken wurden in der Trauerhalle Kränze niedergelegt, begleitet von einem Kaddisch Gebet.

[ag]