Berlin | In der Frage, ob Deutschland Flüchtlinge von der griechisch-türkischen Grenze aufnehmen sollte, sind die Bürger gespalten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage von Infratest-Dimap im Auftrag des ARD-Deutschlandtrends, die am Donnerstag veröffentlicht wurde. 48 Prozent sagen, Staaten wie Deutschland und Frankreich sollten Flüchtlinge aufnehmen, auch wenn sich andere EU-Staaten dagegen aussprechen. Ein überparteiliches Bündnis fordert die Aufnahme von Flüchtlingen.

49 Prozent hingegen stimmen dieser Aussage nicht zu. Mehrheitlich dafür sprechen sich die Anhänger der Grünen (75 Prozent), der SPD (71 Prozent) und der Linken (60 Prozent) aus, mehrheitlich dagegen sind die Anhänger der AfD (95 Prozent) und der FDP (69 Prozent). Ein geteiltes Bild zeigt sich bei einem Blick auf die Unions-Anhänger: 49 Prozent sprechen sich für eine Aufnahme durch Staaten wie Deutschland und Frankreich aus, 46 Prozent dagegen.

Das EU-Türkei-Abkommen von 2016, das die Begrenzung der nach Europa kommenden Flüchtlinge vorsieht, gewinnt in der Bevölkerung derweil an Zustimmung. Mit dem Abkommen hat sich die Türkei verpflichtet, Flüchtlinge von der Weiterreise in die EU abzuhalten. Im Gegenzug zahlen die europäischen Länder der Türkei Geld für die Versorgung der Flüchtlinge und nehmen ihr eine bestimmte Anzahl von Flüchtlingen ab.

51 Prozent der Deutschen finden dieses Abkommen eher gut (plus drei Prozentpunkte im Vergleich zu Oktober 2019). 45 Prozent finden es unverändert eher schlecht. In seiner Anfangsphase wurde das EU-Türkei-Abkommen deutlich kritischer gesehen: Im Mai 2016 fand eine Mehrheit der Deutschen (57 Prozent) das Abkommen eher schlecht.

38 Prozent fanden es seinerzeit eher gut. Die Türkei beanstandete zuletzt erneut, dass die EU ihren Verpflichtungen aus diesem Abkommen nicht nachkäme. Eine Nachbesserung von EU-Seite lehnt eine Mehrheit der Deutschen indes ab. 59 Prozent sind der Meinung, die EU sollte der Türkei keine zusätzliche Unterstützung anbieten, um das Abkommen aufrechtzuerhalten (plus fünf im Vergleich zu Oktober 2019). 31 Prozent meinen, sie sollte dies tun (minus vier Prozent). Für die Umfrage von Infratest-Dimap wurden 1.002 Wahlberechtigte vom 2. bis 3. März 2020 befragt.

Überparteiliches Bündnis fordert Aufnahme von Flüchtlingskindern

Ein überparteiliches Bündnis aus den Oberbürgermeistern sieben deutscher Großstädte und dem Innenminister Niedersachsens, Boris Pistorius (SPD), fordert von der Bundesregierung sofortige Schritte zur Aufnahme von Kindern aus den griechischen Flüchtlingslagern. „Die Situation auf den griechischen Inseln“ habe sich „in den letzten Tagen dramatisch zugespitzt“, schreiben sie in einer gemeinsamen Erklärung, über die das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Freitagausgaben) berichtet und die an diesem Freitag bundesweit veröffentlicht werden soll. Die Unterzeichner des Appells sind neben Pistorius die Oberbürgermeister von Köln, Düsseldorf, Potsdam, Hannover, Freiburg im Breisgau, Rottenburg am Neckar und Frankfurt (Oder), berichtet das RND. Sie betonen, dass sich durch die Entscheidung der türkischen Regierung, Geflüchtete nicht mehr im Land zu halten, die Lage für die Flüchtlinge in Griechenland rapide verschlechtert habe.

„Insbesondere für Kinder und Frauen sind die völlig überfüllten Lager, in denen es an der nötigsten Infrastruktur, medizinischer Versorgung und Schutzräumen fehlt, unhaltbar“, heißt es in der Erklärung. Die Bundesregierung müsse deshalb sofort handeln und es deutschen Städten ermöglichen, auf freiwilliger Basis vor allem unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufzunehmen. Die Erstunterzeichner des Appells sind Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) und die Oberbürgermeister der Städte Köln, Henriette Reker (parteilos), Düsseldorf, Thomas Geisel (SPD), Hannover, Belit Onay (Bündnis90/Die Grünen), Freiburg im Breisgau, Martin Horn (parteilos), Rottenburg am Neckar, Stephan Neher (CDU), Frankfurt (Oder), René Wilke (Die Linke), sowie Potsdam, Mike Schubert (SPD).

Sie verweisen darauf, dass sich bereits rund 140 Städte in Deutschland zu „Sicheren Häfen“ erklärt haben und laut den Beschlüssen ihrer jeweiligen Räte und Stadtverordneten zusätzlichen Geflüchteten aus der Not helfen wollen. Derzeit fehlten jedoch die rechtlichen Möglichkeiten für die Unterbringung. Diese müsse die Bundesregierung nun sofort schaffen, heißt es in dem Schreiben.

Das Bündnis „Städte Sicherer Häfen“ und weitere deutsche Kommunen habe sich demnach mit Blick auf die Situation in den griechischen Flüchtlingslagern konkret bereit erklärt, „sofort bis zu 500 unbegleitete Minderjährige unter 14 Jahren im Rahmen eines Sofortprogramms aufzunehmen, die auf den griechischen Inseln unter nicht hinnehmbaren Zuständen untergebracht sind“, heißt es in dem Appell. „Vor allem den Kindern, deren Eltern in vielen Fällen nicht mehr leben und die alleine in den Flüchtlingslagern untergebracht sind, soll nun sofort geholfen werden.“ Die Möglichkeit, „Menschen mit der größten Hilfsbedürftigkeit ohne weiteres Zögern zu unterstützen“ sei gegeben, schreibt das Bündnis: Die Aufnahmekapazitäten in den betreffenden Städten sei geprüft worden, und sie stünden „zur Unterbringung und pädagogischen Betreuung der Kinder zur Verfügung“.

Auch mehrere Bundesländer hätten verdeutlicht, „dass sie bereit sind, umgehend zu handeln und entsprechend Kapazitäten angeboten, die sie für leistbar halten“. „Die Initiative verbindet moralisches und pragmatisches Handeln“, sagten Pistorius und die Bürgermeister. „Es ist unseriös, die überstürzte Aufnahme tausender Flüchtlinge zu fordern.“ Eine Lösung könne vielmehr nur durch „den Dreiklang aus Soforthilfe bei der Aufnahme unbegleiteter Minderjähriger, gesamteuropäischer Verteilung und einer Verbesserung der logistischen Situation auf den griechischen Inseln erzielt werden“, zitiert das RND aus dem Appell. Gegenüber dem RND lobte Pistorius das Engagement der Oberbürgermeister, „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus ihrer erbärmlichen Situation von den griechischen Inseln holen zu wollen“, so Niedersachsens Innenminister. „Es ist ein starkes Zeichen der Menschlichkeit, dass so viele Kommunen bereit sind, die Schwächsten der Schwachen aufzunehmen.“

CSU: Flüchtlingskrise von 2015 wird sich nicht wiederholen

Andrea Lindholz (CSU), Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, erwartet nicht, dass sich die Flüchtlingskrise von 2015 wiederholen wird. „Dafür werden wir alles tun, notfalls mit Zurückweisungen an unseren Grenzen“, sagte Lindholz der „Passauer Neuen Presse“ (Freitagsausgabe). Kritik übte sie in diesem Zusammenhang an den Grünen.

Deren Vorschlag, Deutschland solle jetzt wieder Flüchtlingsunterkünfte öffnen, sende „ein gefährliches Signal“, sagte die CSU-Politikerin. „Damit werden Hoffnungen geweckt, die Europa weder erfüllen kann noch will.“ Deutschland engagiere sich wie kaum ein Industriestaat in der Flüchtlingshilfe, so Lindholz.

„Wir müssen aber die richtigen Lehren aus 2015 ziehen.“ Dauerhaft bekomme man Migration nur mit europäischen Lösungen in den Griff. „Erst wenn die EU-Außengrenzen sicher sind und eine faire Lastenverteilung in der EU garantiert ist, macht eine europäische Aufnahme Sinn.“

Begrenzte Aufnahmen würden aber nichts an der Situation vor Ort verbessern. Der Fokus müsse immer auf der Hilfe vor Ort liegen. Die große Mehrheit der Menschen, die derzeit über die türkisch-griechischen Grenze nach Europa wollen, stamme nicht aus dem Bürgerkriegsland Syrien, so die CSU-Politikerin.

„Es braucht das klare Signal, dass die EU keine unkontrollierte Einreise mehr zulässt. Die EU-Staaten entscheiden über die Einreise und nicht Schlepper, Migranten oder Autokraten.“ Auch eine Aufnahme von unbegleiteten Kindern dürfe nur im europäischen Verbund erfolgen. Jeder Staat müsse einen fairen Beitrag leisten – „beim Grenzschutz, der Aufnahme oder im Kampf gegen die Fluchtursachen“, so Lindholz.

EU-Krisen-Kommissar will weiter Geld in die Türkei schicken

Der für Krisenmanagement zuständige EU-Kommissar Janez Lenarcic ruft die EU-Staaten dazu auf, Hilfsprogramme für syrische Flüchtlinge in der Türkei weiter zu finanzieren. „Wir können nicht einfach davonlaufen, wenn unsere jetzige Unterstützung ausläuft. Unsere Arbeit ist noch nicht erledigt“, sagte der Slowene der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Die EU-Behörde für humanitäre Hilfe (Echo) bestätigte nach Angaben der Zeitung, dass zwei wichtige Hilfsprogramme in wenigen Monaten auslaufen. Ein Programm fördert den Schulbesuch von mehr als 600.000 Flüchtlingskindern. Deren Familien bekommen zum Beginn jedes Halbjahres 100 Türkische Lira pro Kind, umgerechnet 15 Euro.

Je nach Alter kommen alle zwei Monate fünf bis zehn Euro hinzu. Die Familien werden so ermutigt, ihre Kinder in die Schule zu schicken, statt sie arbeiten zu lassen. Insgesamt hat die EU bisher gut 100 Millionen Euro für dieses Programm aufgewendet.

Nach Angaben von Echo reichen diese Mittel aber nur noch bis September, also für das laufende Schuljahr. Wenn es danach kein frisches Geld gibt, könnten Zehntausende Familien entscheiden, dass sie ihre Kinder nach den Ferien nicht mehr in den Unterricht schicken. Das andere bedrohte Programm heißt „Soziales Sicherheitsnetz in einer Notlage“.

Es ist das größte humanitäre Hilfsprogramm, das die Europäische Union jemals aufgelegt hat. Mit 1,7 Milliarden Euro ist es zugleich der größte Einzelposten der gesamten Hilfe von 6 Milliarden für Flüchtlinge in der Türkei. Die bedürftigsten und am meisten gefährdeten Menschen – derzeit sind das 1,7 Millionen – bekommen jeden Monat umgerechnet 18 Euro auf eine Kreditkarte überwiesen. Dafür können sie Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs kaufen. Nach Angaben von Echo reichen die Mittel allerdings nur noch „bis Anfang 2021“. Im Jahr 2015 hatten Kürzungen bei einem ähnlichen Programm die Flüchtlingswelle nach Europa befördert.

Autor: dts
Foto: Flüchtlinge im Jahr 2015 in Köln