Jecke im Grüngürtel am Elften im Elften 2023. | Foto Bopp

Köln | Karneval in Köln und vor allem die großen Veranstaltungen im öffentlichen Raum hinterlassen vor allem eines: Müll. Die Kölner Abfallwirtschaftsbetriebe (AWB) befürchten mehr Müll und Glas in den Kölner Grünflächen als am Elften im Elften 2022. Derweilen dankt Stadtdirektorin Blome den Jecken für ihr „rücksichtsvolles und respektvolles“ Feiern. Da passt was nicht zusammen. Eine Analyse und Kommentar.

Das Umweltdesaster Karneval

Die Sessionseröffnung ist ein One-Day-Straßenkarneval-Hit, der Unmengen Müll in der Stadt hinterlässt. Die AWB befürchten jetzt, dass noch mehr Müll als vor einem Jahr in der Stadt und in den Kölner Grünflächen – vor allem wieder Glasscherben – liegen.  

Karneval ist ein Umweltdesaster für Köln. In Köln feiern vor allem junge Menschen, die, werden sie nüchtern befragt Umwelt- und Klimaschutz wichtig finden. Im Jahr 2021 gab das Umweltbundesamt und das Bundesumweltministerium die repräsentative Studie „Zukunft? Jugend fragen! – 2021“ in Auftrag. Das Ergebnis: „85 Prozent der befragten Jugendlichen finden Umwelt- und Klimaschutz wichtig. Damit zählt das Thema zu den vier wichtigsten Themen für junge Menschen in Deutschland.“ 88 Prozent berichten von Gefühlen der Trauer über die menschengemachte Umweltzerstörung. Befragt wurden junge Menschen im Alter von 14 bis 22 Jahren.

Viele junge Menschen dieser Altersgruppe finden sich dann am Elften im Elften im Grüngürtel am Aachener Weiher, in der Zülpicher Straße, Altstadt oder auf der Uniwiese wieder. Das sind die Plätze, von denen die AWB am nächsten Tag so berichten wird: „Besondere Probleme bereiten wieder Glasflaschen und Scherben insbesondere außerhalb der glasfreien Zonen. Zusätzlich von der AWB aufgestellte Abfallbehälter für Glas wurden dabei nicht im gewünschten Maße genutzt oder viele Flaschen standen direkt davor. Eine Reinigung in den Hotspots war in der Nacht nur bedingt möglich, da die Straßen, Ausweich- und Grünflächen zu stark frequentiert waren. Daher ist seit den frühen Morgenstunden wieder ein Großaufgebot der Stadtreinigung rund um den Zülpicher Platz, auf den Ringen, dem Brüsseler Platz und verstärkt am Aachener Weiher unterwegs. Die Müllmenge und das Ausmaß der Verschmutzungen insbesondere durch Glas auf Grünflächen werden nach einer ersten Einschätzung wahrscheinlich noch die des Vorjahres übertreffen.“

Mit zweierlei Maß

Karneval ist nicht das einzige Phänomen im Umwelt- und Klimaschutz, bei dem mit zweierlei Maß gemessen wird. Gleiches gilt für Flugreisen in den Urlaub für zwei Wochen nach Bali oder sonst wohin. Und das gilt für alle Generationen, nicht nur die Jungen. Nüchtern wird Trauer über Umweltfrevel empfunden, so die Studie – im Rausch zerdeppern diese Trauernden dann Flaschen und lasse ihren Müll da liegen, wo sie gerade stehn, tanzen oder gehen. Sollen doch andere den Dreck wegmachen und so ein Kostüm macht schön anonym. Und was hat Kölsch in Flaschen vom Supermarkt mit Umweltzerstörung zu tun, wenn die Scherben im Grüngürtel liegen, mag sich manch Jeck fragen. Glas ist doch ein Naturprodukt, oder? Und wenn tausende auf dem Grüngürtel rumtrampeln mitten im November – scheißejal, das Gras wird schon wieder wachsen bis zum Frühjahr, auch das gibt’s auf die Ohren desjenigen, der danach fragt.

Nun kann man dazu philosophieren, schreiben, psychologisieren oder wie die Stadtverwaltung den Jecken danken für ihr „rücksichtsvolles und respektvolles“ Feiern. Runde Tische einberufen, appellieren oder argumentieren, witzige oder unwitzige Kampagnen entwerfen, die nüchterne Realität wird die Stadt an jedem 12.11. wieder einholen.

Klare Regeln statt Guerilla-Kampagne

„gästeliste zülpicher“ oder „freibier“ plakatierte die Stadt Köln für viel Geld als Respektkampagne – muss ja witzig sein – für die Jugend dieser Stadt und Region, um Sicherheit und Benehmen zu stärken. Und jetzt? Freibier für die Mitarbeitenden der AWB, die den ganzen Dreck wegmachen müssen? Das wäre ja wenigstens eine Geste des Respekts gegenüber denen, die jetzt versuchen das Schlimmste zu verhindern und Köln und den Grüngürtel wieder herausputzen. Trauer über Umweltzerstörung wird kein Jeck heute empfinden, sondern erzählen wie geil es war, so ohne Regeln in Köln die Sau rauszulassen. Es hat auch für die, die gestern „respekt- und rücksichtsvoll“ den Grüngürtel niedertrampelten und in die Büsche urinierten keine negativen Folgen, sondern die Stadt lobt sie.

Die Stadt scheitert ohne klare Regeln. Wieder wurde der Grüngürtel und damit ein Landschaftsschutzgebiet befeiert. Wieder mehr Müll. Wieder mussten die Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) auf der Linie 1 den Betrieb stärker als geplant unterbrechen. Wieder kassierte ein Security-Mitarbeiter Geld. Die Liste lässt sich fortsetzen. Die Themen in der Stadtgesellschaft präsent. Aber es verändert sich nichts. Dabei ist der Erkenntnisgewinn klar: Jecke aller Altersklassen im Rausch werden nicht die Gehirnhälfte mit dem Umwelt- und Respektsbewusstsein aktivieren. Sie sind im Rausch: Wer sich übergeben muss, der übergibt sich, wer pinkeln muss der pinkelt, auf der Straße, im Grüngürtel oder sonst wo und genau dort, wo männlich, weiblich oder divers sich gerade befindet.

Eine Erkenntnis wäre, wenn die Stadt sich eingestehen würde, dass Menschen im Rausch das über Bord werfen, was sie eigentlich für moralisch gut befinden. Die zweite Erkenntnis, die es in der Stadtgesellschaft auch schon gibt, ist, dass Müll schwieriger aus Grünanlagen zu entfernen ist, als von Straßen zu saugen, zu kehren oder zu spritzen und ein Landschaftsschutzgebiet kein Venue für eine Massenparty ist. Dritte Erkenntnis und auch die ist nicht neu: Natürlich kann die Stadt bestimmen, wo gefeiert wird. Sie bestimmt die Regeln. Appelle oder Träumereien der Stadtverwaltung, dass jemand aus Wanne-Eickel im Veedel feiern wird, wenn die Stadtverwaltung dies im Internet vorschlägt oder medial als Tipp verbreitet, helfen nicht. Es muss Tabuzonen geben. Eine davon ist der Grüngürtel. Es muss Feierzonen geben, wo möglichst wenige Anwohnerinnen und Anwohner belastet werden. Dazu gibt es Vorschläge aus der Stadtgesellschaft. Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Die Uniwiese zeigt, dass es den Anreisenden egal ist, wo sie feiern. Es braucht nur einen Ort. Die Uniwiese ist der falsche Ort, denn es ist der Grüngürtel. Warum die Stadt unbedingt alle hierher lockte, bleibt ein Rätsel und es ist kein Argument jetzt zu sagen, die Location wäre jetzt etabliert.  

Allerdings ist zu befürchten, dass die Stadt, die Stadtgesellschaft und die Kommunalpolitik es an grünen, roten, gelben, schwarzen, lila, runden, eckigen oder ovalen Tischen bereden, bereden und bereden werden. Am Ende wird es keine Änderung geben, denn die Stadtverwaltung ist von ihrem Masterplan völlig überzeugt und fängt schon wieder an, die Angelegenheit schön zu reden, bevor die ersten Scherben und der Müll aus dem Grüngürtel gesammelt sind. Denn im hillije Kölle weiß man schon lange zum Thema Selbstlob: Selbst der liebe Gott hat es nötig, dass für ihn die Glocken geläutet werden. Darauf einen Dicken Pitter. Alaaf.