Im Rahmen der internationalen Konferenz „Rebuilding Lives“ hat die deutsche Sektion der UN-Hilfsorganisation UNICEF zu stärkeren Anstrengungen bei der Bewältigung der Kriegserfahrungen von geflüchteten Kindern aufgerufen.

Gemeinsam mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit hatte UNICEF Deutschland zu einer Expertentagung nach Berlin eingeladen. Ziel war es, verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, um die zerstörerischen Auswirkungen langanhaltender Konflikte auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu lindern.

Genau dieser Aspekt werde in den Debatte – gerade auch um das Thema Flüchtlinge – oft übersehen oder schlicht ausgeklammert. Doch das Ignorieren der Zusammenhänge sei für eine nachhaltige Lösung eher hinderlich, zumal die Probleme durch eine solche Haltung keinesfalls von selbt kommt.

„Anhaltende Konfrontation mit Gewalt, Angst und Unsicherheit kann katastrophale Auswirkungen auf das Lernvermögen, das Verhalten sowie die emotionale und soziale Entwicklung von Kindern haben. Ohne Hilfe kann toxischer Stress durch die Beobachtung oder das Erleiden traumatisierender Ereignisse zu Einnässen, selbstzerstörerischem Verhalten, Aggressionen, Rückzug, Depressionen, Drogenmissbrauch bis hin zum Selbstmord führen“, erläuterte UNICEF-Exekutivdirektorin Henrietta H. Fore in Berlin die möglichen Folgen von Kriegserfahrungen.

Viele Millionen sind betroffen – die Hälfte sind Minderjährige

Nach Schätzungen der UN leben derzeit mehr als 250 Millionen Kinder und Jugendliche in Ländern, in denen gewaltsame Konflikte auftreten. Rund 68 Millionen wurden durch bewaffnete und gewalttätige Konflikte sogar gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Rund die Hälfte dieser Flüchtlinge sind unter 18 Jahre alt. In den Krisenländern im Nahen Osten und Afrika belasten die Folgen der Gewalt eine ganze Generation von Kindern und Jugendlichen. Sie führen auch dazu, dass besonders verletzliche Gruppen wie Menschen mit psychischen Problemen, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen noch weiter marginalisiert werden.

„Was Kinder in Kriegen und Krisen erleben und mitansehen müssen, das begleitet und prägt sie ein Leben lang. Unsere Aufgabe ist es, ihnen trotz alledem ein Stück ihrer Kindheit zurückzugeben. Deswegen unterstützen BMZ und UNICEF gemeinsam hunderttausende Kinder, beispielsweise im Südsudan oder in der Krisenregion in und um Syrien mit psychosozialer Betreuung und speziell auf traumatisierte Kinder zugeschnittenen Programmen. Diese Kinder haben ein Recht darauf, mit unserer Hilfe ins Leben und den Alltag zurückzukehren. Das UN-Kinderhilfswerk leistet hierbei unschätzbare Arbeit und ist ein wichtiger Partner für uns“, betonte Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Spezielle Hilfen sind notwendig

Von Krieg, Vertreibung und traumatischen Erfahrungen betroffene Kinder – wie etwa Opfer sexualisierter Gewalt – brauchen spezielle Hilfe, um damit umgehen und ihr Leben wieder aufbauen zu können. Auch Familien oder Betreuerinnen und Betreuer, die selbst schwere traumatische Erfahrungen gemacht haben, dürfen nicht übersehen werden. Einige von ihnen brauchen gezielte Unterstützung, bevor sie selbst die von ihnen betreuten Kinder angemessen versorgen können.

Die Teilnehmer der Expertentagung forderten gemeinsames Handeln von Politik, Hilfs- und Entwicklungsorganisationen und Wissenschaft. Nachweislich wirksame und nachhaltige Hilfsprogramme zur Stärkung der psychischen Gesundheit von Kindern, jungen Menschen und anderen verletzlichen Gruppen müssten ausgeweitet werden. Bestehende Netzwerke von Eltern, Lehrenden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Gesundheitseinrichtungen sowie religiösen Autoritäten in den Gemeinden können dabei eine wichtige Rolle übernehmen.

UNICEF will in diesem Jahr 3,9 Millionen Kindern in Krisensituationen Zugang zu psychosozialer Hilfe eröffnen – zum Beispiel im Irak, in Jordanien, Libanon, Syrien, Somalia und Südsudan. Durch gemeindenahe Maßnahmen zur psychischen Gesundheit und psychosoziale Hilfe, wie Sport, Kunst oder Spiel und die Förderung eines unterstützenden Umfeldes, sollen die Kinder stabilisiert, ihr psychisches Wohlbefinden unterstützt und ihr Schutz verbessert werden.

Zusätzlich stellt das UN-Kinderhilfswerk über die Entwicklung entsprechender Referenzsysteme sicher, dass Kinder und Jugendliche, die spezielle psychologische Hilfe benötigen, identifiziert werden und Zugang zu koordinierter Hilfe erhalten. Dass eine Befriedung der Konflikte in der nahen Zukunft wenigstens für die kommende Generation die eigentliche Ursache beseitigen könnte, halten die UNICEF-Verantwortlichen von UNICEF für eher unwahrscheinlich. Eher scheint es so, als ob die Zahl komplexer und langanhaltender Konflikte dieser Tage so groß sei wie nie zuvor. Umso dringender sei es, angesichts dieser großen Zahl von Konflikten die psychosozialen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen nicht aus dem Blick zu verlieren, so UNICEF-Exekutivdirektorin Fore abschließend.

[infobox]Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat die Unterstützung von Menschen in Krisen- und Fluchtsituationen zu einem Hauptschwerpunkt seiner Entwicklungszusammenarbeit gemacht. Allein 2017 hat das BMZ 3,5 Milliarden Euro bereitgestellt, um die Ursachen von Flucht und Vertreibung anzugehen sowie ihre Auswirkungen auf Menschen und Gesellschaften zu lindern. Diese Hilfe soll sowohl den betroffenen Menschen als auch den aufnehmenden Gemeinden zugute kommen. Gemeinsam mit UNICEF eröffnet das Ministerium Kindern, Jugendlichen, Angehörigen und betreuenden Personen Zugang zu psychosozialer Hilfe. Das Ministerium hat allein 230 Millionen Euro für UNICEF-Projekte zur Stärkung der mentalen Gesundheit bereit gestellt.

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Autor: bfl