Tausende feiernde Jecken auf der Zülpicher Straße am Elften im Elften in Köln, | Foto: Bopp

Köln | Womit lässt sich heutzutage Aufmerksamkeit generieren? Mit einer Story, die den Titel „Nazi-Eklat“ trägt. So geschehen am Elften im Elften. Die Wortkombination „Nazi-Eklat“ findet sich im Liveticker des Kölner Boulevardblattes „Express“ und sogar in einem eilig hinterhergeschobenen Kommentar des gleichen Mediums wieder. Aber die Redaktion schaute nicht genau hin und kann anscheinend nicht einmal googeln. Die Pressestelle der Kölner Polizei auch nicht. Erst der Kölner Oberstaatsanwalt Willuhn wusste, dass der Hitlergruß nicht mit dem linken Arm gezeigt wird. So ging die Fake-News „Nazi-Eklat“-Meldung dank Boulevard und NRW-Polizeibehörde viral.

Vormittags am Elften im Elften in der Zülpicher Straße

Das ist passiert: Ein junger Mann klettert eine Laterne in der Zülpicher Straße nach oben. Oben angekommen hebt er den linken Arm, zweimal. Zu sehen auf einem Video, das der Redaktion von „Express“ nach deren eigenen Angaben vorliegt. Aus der Menge wird etwas gerufen.

Im Medienbiz nennt man das, was daraus in der Redaktion gemacht wurde, „hochjazzen“. Aus diesem Video macht das Kölner Boulevardblatt den „Nazi-Eklat“. Und aus einem jungen Kletterer werden „Feiernde, die Straßenlaternen erklommen“. Weiter heißt es im Liveticker des „Express“: „Aus der Menge waren ‚Führer‘-Rufe zu hören. Menschen zeigten den Hitlergruß“.

Im Kommentar des „Express“ wird daraus dann der „traurige Tiefpunkt“ des Elften im Elften und ein „unverzeihlicher Vorfall“. Schon im Kommentar relativiert das Boulevardblatt selbst unter Selbstlob seiner exklusiven Berichterstattung, dass „mindestens ein Mann am Mittag einen Hitlergruß gezeigt“ habe. Am Vormittag verwendete das Boulevardblatt dafür noch den Plural. Weiter wird von mehreren „Führer“ Rufen in dem Kommentar gesprochen.

So ordnen Polizei und Staatsanwaltschaft ein

Die Polizei und Staatsanwaltschaft sichteten das Video, das den jungen Mann zeigt, wie er oben auf dem Laternenmast zweimal den linken Arm der johlenden Menge entgegenstreckt. Die Behörden sehen darin eine Jubelgeste und nennen seine Aktion leichtsinnig. Anders als die Boulevard-Journalisten weiß immerhin der Kölner Oberstaatsanwalt Willuhn, wie der „Hitlergruß“ definiert wird. Es ist auch einfach nachzugoogeln. In der Definition steht: „nationalsozialistischer Gruß, bei dem der rechte Arm mit flacher Hand schräg nach oben gestreckt wird“. Wer nicht lesen will oder kann, findet zu dem Thema unzählige Bilder aus dieser sehr dunklen Zeit der deutschen Geschichte. Es ist immer der rechte Arm. An Redakteure ist hier der Maßstab anzulegen, dass sie das entweder wissen oder aber überprüfen, wenn sie, wie sie selbst schreiben das Videomaterial vorliegen haben und von „Hitlergruß“ schreiben. Das hat hier anscheinend aber nicht stattgefunden.

Oberstaatsanwalt Willuhn stellt jetzt fest: „Das auf dem Video abgebildete Verhalten hat keine strafrechtliche Relevanz. Insbesondere zeigt der „Laternenmann“ nicht den Hitlergruß, sondern hebt den für einen Hitlergruß „falschen“, nämlich den linken Arm zu einer bloßen Jubelgeste, offenbar um sich für den ‚Erfolg‘ seiner fragwürdigen und leichtsinnigen Aktion feiern zu lassen.“ Auch den Zuruf ordnet Willuhn ein: „Auch der aus den Reihen der Zuschauer stammende Zuruf ‚Der Führer begrüßt‘ stellt für sich gesehen keine verbotene Parole, sondern eine nicht strafbare Geschmacklosigkeit dar.“

Die Fake-News des „Express“ schafft es in die amtliche Polizeimeldung

Es reicht ja nicht aus, dass ein Boulevardblatt etwas schreibt, sondern es kommt noch dicker. In der Pressemeldung der Kölner Polizei vom 11. November 2023, veröffentlicht um 23.17 Uhr mit dem Titel „POL-K: 231111-1-K Eröffnung der Karnevalssession – vorläufige Einsatzbilanz (Stand 21:00 Uhr) findet die Meldung des Boulevardblattes Eingang und damit beginnt die mediale Verbreitung erst richtig. Die Pressestelle der Kölner Polizei schreibt: „Nach einer medialen Berichterstattung zu Personen, die gegen 12 Uhr auf der Zülpicher Straße auf einen Laternenmast geklettert sein sollen und den Hitlergruß gezeigt haben sollen, hat der Polizeiliche Staatsschutz die Ermittlungen gegen Unbekannt aufgenommen und bittet Zeugen, sich unter der Rufnummer 0221 229-0 oder per E-Mail unter poststelle.koeln@polizei.nrw.de zu melden. Vor diesem Hintergrund versammelten sich gegen 15.30 Uhr rund 55 Mitglieder verschiedener Karnevalsgesellschaften unter dem Motto ‚Karnevalisten gegen Rechts‘ schweigend vor der Synagoge in der Roonstraße.“

Diese Zeilen sind allerdings mehr als bemerkenswert, da sie mehrere Fragen aufwerfen: Ist die Meldung des „Express“ einfach übernommen worden, ohne dass die Kölner Polizei und ihr Staatsschutz ermittelt hatten? Diese Vermutung liegt nahe, da die amtliche Polizeimeldung von „Personen“ spricht und nicht von einer „Person“. Kannte die Polizei also gar nicht das Videomaterial des Vorfalls?  Aber warum berichtet die Polizei dann darüber? Oder lag der Kölner Polizei das Video vor? Auch dann schließt sich die Frage an, ob Beamte der nordrhein-westfälischen Polizei, die dem polizeilichen Staatsschutz zugeordnet sind, einen Hitlergruß von einem den linken Arm heben nicht unterscheiden können?

Jetzt rauscht es im digitalen Blätterwald

Die Polizeimeldung sorgt für maximale Verbreitung. Denn jetzt meldet eine autorisierte Quelle den Vorfall und macht durch ihre Ermittlungen den „Nazi-Eklat“ hoffähig. Die „Tagesschau“, „Focus Online“, „Bild“, „RND“, „Rheinische Post“ oder „t-online“ übernehmen die Meldung und verbreiten den angeblichen „Hitlergruß“ von der Zülpicher Straße. Das Gerücht schaffte es aber auch in den Livestream des „WDR“ am Vormittag von der Sessionseröffnung am Heumarkt. Dort sagte Moderator Guido Cantz zur Anmoderation einer Frage gegen Mittag des Elften im Elften an den Präsidenten der Kölschen Kippa Köpp Aaron Knappstein: „Wir haben gerade schon wieder gehört und gelesen im Netz es gibt schon jetzt unschöne Szenen auf der Zülpicher Straße und auch bei den Bildern, die uns täglich aus Israel erreichen. Wie könnt ihr Karneval feiern“. Auch er spielte damit auf die Berichterstattung an.

Wie die Polizei schreibt, standen sogar Mitglieder der Kölner Traditionskorps Spalier vor der Kölner Synagoge nach dem vermeintlichen „Nazi-Eklat“ und „Hitlergruß“. In einer Bildunterschrift des „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus dem gleichen Verlagshaus, das auch den „Express“ verlegt, heißt es dazu: „Karnevalisten stellen sich am Nachmittag symbolisch schützend vor die Synagoge, um gegen Antisemitismus zu protestieren. Am Vormittag soll ein Mann auf der Zülpicher Straße antisemitische Parolen gerufen haben“.

Laternenkletterer ist kein Rechtsextremer

Da es ein Video gibt haben Polizei und Staatsanwaltschaft nach dem Mann, der auf die Laterne kletterte, gesucht und ihn gefunden. Dazu schreibt die Kölner Polizei: „Bei derartigen Aktionen und Äußerungen muss man immer davon ausgehen, dass sie gefilmt und öffentlich verbreitet werden. Was dann passiert, liegt nicht mehr in der Hand derer, die so etwas in einem unbedachten Moment vielleicht witzig finden und sich feiern lassen. Das sieht nämlich nicht jeder so. Zu dem Laternenkletterer ist inzwischen ein Hinweis eingegangen. Jemand hat ihn auf dem Video erkannt. Zu dem jungen Mann liegen keine polizeilichen Erkenntnisse vor, die eine rechte Gesinnung nahelegen. Der Wortbeitrag ‚der Führer begrüßt‘ ist keiner bestimmbaren Person zuzuordnen“.

Also kein „Nazi-Eklat“ am Elften im Elften in Köln. Erinnert sei an den § 6 des Pressegesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (Landespressegesetz NRW) zur Sorgfaltspflicht der Presse: „Die Presse hat alle Nachrichten vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit zu prüfen.“