Berlin | Sie haben das Schlimmste erlebt, was Eltern geschehen kann: Ihr zehnjähriger Sohn Mirco wurde ermordet. Verzweifelt sind Reinhard und Sandra Schlitter dennoch nicht. Sie schafften sogar das, was vielen Menschen undenkbar erscheint – sie konnten dem Täter vergeben. Fast auf den Tag genau zwei Jahre nach Mircos Entführung und Ermordung veröffentlichten die Schlitters am Donnerstag ihr Buch „Mirco. Verlieren. Verzweifeln. Verzeihen.“ Darin berichten sie nicht nur über die Ereignisse seit Mircos Verschwinden am 3. September 2010, sondern schildern vor allem, wie es ihnen gelungen ist, an dem Verlust nicht zu zerbrechen und ihren Frieden mit dem Mörder ihres Sohnes zu schließen.

„Es ging uns nicht darum, Mirco ein Denkmal zu setzen“, betonte Sandra Schlitter bei der Vorstellung des Buches in Berlin. Auch wenn es eine Rolle gespielt habe, „noch einmal in Erinnerungen zu schwelgen“. Am wichtigsten sei jedoch gewesen, zu zeigen, wie sie mit der Situation umgegangenen seien, ohne zu verzweifeln, und wie sie den Weg zurück ins Leben gefunden hätten, sagte die 36-Jährige.

Glaube gab den Eltern Halt

Zentral war für die Schlitters – die noch drei weitere Kinder haben, denen sie ein normales Leben ermöglichen wollen – ihr tiefer Glaube an Gott. „Wir haben ihm unsere Gedanken und unsere Verlorenheit mitgeteilt“, sagte Reinhard Schlitter über die 145 Tage währende Zeit der Ungewissheit, in der Mirco verschwunden war und die Eltern bangten, hofften und beteten, ihr Sohn möge noch am Leben sein.

Die Hoffnung zerschlug sich am 26. Januar 2011, als die Soko Mirco unter Leitung von Hauptkommissar Ingo Thiel den Familienvater Olaf H. festnahm, der die Ermittler schließlich zur Leiche des Kindes führte. Der 45-Jährige wurde im September 2011 zu lebenslanger Haft verurteilt.

Hoffnungen, ihren Sohn lebend wiederzufinden, hatte Thiel den Eltern ohnehin von Anfang an nicht gemacht. Auch diese Situation schildern die Schlitters in dem Buch. Für sie als Mutter sei das zunächst „ein Schlag vor den Kopf“ gewesen, erinnert sich Sandra Schlitter. Dennoch beschreiben die Eltern die Offenheit des Kommissars als „die beste Chance, das Geschehene zu begreifen“.

Verzeihen als bewusster Schritt

Hass auf den Menschen, der ihnen ihr Kind weggenommen hat, hegen die Schlitters nicht. Reinhard Schlitter ist überzeugt: Wenn er Hass empfände, würde er werden wie der Täter. „Der Schritt, dem Täter zu vergeben, war eine bewusste Entscheidung“, sagte der 44-Jährige. Hass auf den Mann, der Mirco ermordete, hätte ihre Familie zerstört, ist sich das Paar sicher. Kontakt zu Olaf H., für den sie laut eigener Aussage beten, haben die Schlitters nicht aufgenommen. „Es gab von Täterseite kein Signal, dass Interesse besteht“, sagte Mircos Mutter.

Gehadert mit Gott haben die Eltern auch in den schlimmsten Momenten nie. „Nicht Gott bringt Leid auf die Erde, sondern der Mensch ist frei, sich für gut oder böse zu entscheiden“, ist sich Reinhard Schlitter sicher. „Dieser Mann hat sich für das Böse entschieden.“

Die Familie hat inzwischen zu einem halbwegs normalen Leben zurückgefunden. „Wir führen unseren Alltag weiter, gehen unseren Jobs nach.“ Auch die übrigen drei Kinder – Julia, Judith und Alex – hätten wieder im Schulalltag Fuß gefasst. „Wir nehmen auch an Feiern teil, wie Hochzeiten und Geburtstagen“, berichtete Sandra Schlitter. Es gebe immer wieder Phasen der Trauer, ihr Leben aber könnten sie dennoch führen. Die Eltern sind sich sicher: „Wir werden Mirco wiedersehen.“ Am 18. September wäre Mirco 13 Jahre alt geworden.

Infobox
Mirco. Verlieren. Verzweifeln. Verzeihen
Sandra und Reinhard Schlitter mit Christoph Fasel
Adeo Verlag
Preis: 17,99 Euro

Autor: Tatjana Schäfer/ dapd | Foto: falcn/ fotolia
Foto: Symbolfoto