Köln | Polizei und Staatsanwaltschaft Köln ermitteln wegen eines Falles des strafrechtlichen Verbots der Volksverhetzung nach § 130 StGB in zwei Verfahren. Ein antisemitischer Flyer lag in einer KVB-Bahn auf Sitzen aus. Hier ermitteln die Behörden gegen Unbekannt. Ein Twitter-User teilte ein Foto dieses Flyers. Auch gegen ihn ermitteln die Behörden. In der medialen Berichterstattung fiel im Zusammenhang mit den Ermittlungen der Name einer Kölner Politikerin und Amtsträgerin, bei der die Polizei und Staatsanwaltschaft auf Nachfrage Ermittlungen nicht bestätigen. Die Synagogen-Gemeinde Köln nennt zwei Namen und fordert die sofortige Einstellung der Verfahren gegen die, die auf Twitter den antisemitischen Flyer posteten oder retweeteten und damit auf die antisemitische Hetze aufmerksam machen wollten.

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Hinweis: Die Redaktion verzichtet in diesem Artikel auf die Nennung von Namen von Personen, die im Zusammenhang mit diesem Fall und den Ermittlungen stehen könnten, um diese nicht einer Verdachtsberichterstattung auszusetzen, auch wenn diese bereits in anderen Medien oder weiteren Veröffentlichungen genannt werden.
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Das sagt die Polizei zu dem Fall

Die Kölner Polizei schreibt in der ursprünglichen Mitteilung vom vergangenen Freitag, dass am vergangenen Mittwoch, 10. Februar, ein Twitter-Nutzer ein Foto des Flyers aus der KVB-Bahn, auf dem volksverhetzende Inhalte dargestellt werden, postete und diesen Post auf den Twitter-Account der Polizei Köln verlinkte. Dadurch seien diese Inhalte auch auf dem Polizei-Twitter-Account angezeigt worden. Die Polizei Köln kannte den antisemitschen Flyer aus der Straßenbahn und ermittelt seit 4. Dezember 2020, so deren Pressestelle am 12. Februar. In den veröffentlichten Pressemitteilungen der Polizei Köln im Dezember 2020 findet sich kein Hinweis auf diese Ermittlungen zu den antisemitischen Flugblättern, die in der KVB-Bahn auslagen. Die Person, die den Flyer auslegte – die Beamten sprechen von einem „unsäglichen Flugblatt“ – konnte die Polizei bislang nicht ermitteln.

Durch das öffentliche Posten des Flyers wurden dann in Abstimmung mit der Kölner Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den Inhaber des Twitter-Accounts wegen des Anfangsverdachts der Volksverhetzung eingeleitet. In der Pressemeldung erklärt die Staatsanwaltschaft Köln ausführlich den rechtlichen Hintergrund und zeigt auf, dass selbst wenn der oder die Betreffende nur auf die Straftat hinweisen will, sich die Person, die die Veröffentlichung vornimmt, selbst strafbar machen kann, weil sie zur Verbreitung der Hetzschrift beiträgt.

Das sagt die Staatsanwaltschaft

Oberstaatsanwalt Willuhn erklärte gegenüber dieser Internetzeitung, dass die Polizei Köln derzeit damit befasst sei, die in Rede stehenden weiteren Verbreitungen der ursprünglich von einem einzelnen Twitter-Nutzer verbreiteten antisemitischen Schmähschrift zu sichten, festzustellen und forensisch zu sichern. Da sich Informationen durch Teilen oder retweeten in den Sozialen Medien rasant verbreiten, wollte diese Internetzeitung wissen, gegen wieviele Personen ermittelt werde. Willuhn: „Erst wenn diese Arbeiten abgeschlossen sind, wird hier zu entscheiden sein und entschieden werden können, ob und inwieweit die Ermittlungen auf weitere Personen ausgedehnt werden müssen beziehungsweise weitere Personen formal als Beschuldigte zu erfassen sind. Zur Zeit ist hier neben dem Verfahren gegen die unbekannte Person, die die Schmähschrift ursprünglich in einer KVB-Bahn verteilt hat, nur ein weiteres Ermittlungsverfahren anhängig, dass den twitter-Nutzer (Hinweis d. Red.: Gemeint ist der Twitter Nutzer des Ursprungs-Tweets) als bislang einzelnen Beschuldigten betrifft.“

Die mediale Berichterstattung

Nach der Pressemitteilung der Kölner Polizei gab es eine mediale Berichterstattung, in der die Behauptung aufgestellt wird, dass auch gegen eine Kölner Politikerin und Amtsträgerin ermittelt wird, da auch auf einem Twitter-Account den sie oder die Stadt betreibt, das Foto des antisemitischen Flugblattes geteilt wurde. In der medialen Berichterstattung wurde der Name genannt. Dabei ist hier völlig offen, ob die Politikerin dies selbst teilte oder jemand anderes, der Zugang zu dem Account hatte.

Diese Internetzeitung fragte nach, ob die Polizei Köln die Ermittlungen gegen die Kölner Politikerin bestätigen könne und warum in der Pressemitteilung nur von Ermittlungen gegen einen Twitter-Nutzer die Rede sei? Ralf Remmert, der Leiter der Kölner Polizeipressestelle schreibt: „Die Polizei Köln hat zu Personen, die den Ursprungsbeitrag retweetet haben, keine Auskünfte erteilt und diesbezüglich auf die umfassende rechtliche Bewertung von Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn verwiesen.“ Auch auf weitere Fragestellungen verweist die Polizei nur auf ihre ursprüngliche Pressemitteilung.

Die Synagogen-Gemeinde Köln nennt Namen und fordert die sofortige Einstellung der Verfahren

Am Sonntag teilte die Synagogen-Gemeinde Köln mit, dass Sie die Einstellung des oder der Verfahren wegen Volksverhetzung mit sofortiger Wirkung fordere. Die Erklärung veröffentlichte die Synagogen-Gemeinde Köln auch auf ihrer Webseite und nennt dort den Namen der Politikerin und einen weiteren Namen. In der Erklärung stellt die Synagogen-Gemeinde Köln fest: „Die Pflicht zur Einhaltung von Recht und Ordnung bzw. der Gesetze kann nicht bedeuten, dass Menschen in der Absicht einen abscheulichen Flyer zu brandmarken ihn öffentlich gemacht haben, um die Gesellschaft damit aufzurütteln, nun selbst der Volksverhetzung bezichtigt werden. Dieser Vorwurf ist demütigend und entwürdigend für Personen, die in der Vergangenheit ihren Einsatz gegen Rassismus und Antisemitismus zur Genüge unter Beweis gestellt haben.“

Das Social Media Dilemma

Die sozialen Netzwerke oder Medien sind kein rechtsfreier Raum und Recht und Gesetz gelten für Alle, gleich welche Absicht dahinter steht. Insofern sind die Ermittlungen und die rechtliche Einordnung eines Anfangsverdachts einer Straftat der Staatsanwaltschaft Köln absolut korrekt. Der einzige Vorwurf, der Polizei und Staatsanwaltschaft gemacht werden kann ist, warum sie den Fall nicht schon in der Folge des 4. Dezember öffentlich gemacht haben, als die antisemitischen Flyer in der KVB-Bahn gefunden wurden. Das Thema Antisemitismus und der gesellschaftliche Umgang sowie seine Ächtung durch die Gesellschaft ist zu wichtig, als dass dies hinter verschlossenen Türen verhandelt werden kann.

Die zweite Perspektive auf den Fall zeigt die Problematik des publizistischen Umgangs mit Sozialen Netzwerken durch Laien auf. Twitter-Nachrichten sind immer öffentlich und unterliegen damit den Gesetzen und Regeln, die eine Publikation mit sich bringt. Twitter ist kein Pranger für niemanden: Nicht für Privatpersonen, Behörden oder Politiker – alles Laien im Umgang mit Medien. Twitter ist kein Mittel, die Polizei auf Straftaten aufmerksam zu machen. Da ist die Online-Anzeige der einzig richtige Weg. Twitter ist so einfach: Smartphone raus, Foto, kurzer Text, Hashtags, gepostet und alles ist sofort öffentlich. Und der Applaus aus der eigenen Filterblase ist meist auch sofort garantiert. Genau das ist so verführerisch. Dabei müssen Laien die äußerst komplizierten und vielfältigen rechtlichen Wirkungen und Auswirkungen einer Veröffentlichung ohne Ausbildung, wie sie in institutionalisierten Medien über Jahre gelehrt und erfahren werden, genauso wie die Medienprofis richtig einschätzen. Zwei Aspekte – Erstens: Der Hinweis der Staatsanwaltschaft Köln ist richtig, dass gerade im Bereich der Verbreitung hetzerischer Inhalte in sozialen Netzwerken niemand es wirklich kontrollieren könne, wer am Ende und vor allem mit welcher Wirkung eine solche Hetzschrift zur Kenntnis genommen werde. Daher setze sich jede und jeder, der entsprechende Inhalte weiterleite, verlinke oder sonst wie verbreite, selbst dem Verdacht der Volksverhetzung aus. Dies zeigt, Userinnen und User müssen damit jederzeit rechnen und vor dem Posten einen Augenblick innehalten und sich über mögliche Folgen klar werden. Zu welchem Urteil in der Gesamtbetrachtung die Staatsanwaltschaft am Ende der Ermittlungen oder ein Gericht am Ende eines Verfahrens kommt bleibt dabei offen.

Zweitens: Social Media unter Freunden mit etwa Katzenpostings ist kein Problem für alle die, die dabei beachten, ihre Privatsphäre zu wahren. Social Media als öffentliches Sprachrohr setzt voraus, dass Userinnen und User eine Vielzahl von Gesetzen, Vorschriften und medienrechtliche Aspekte kennen und rechtssicher anwenden können. Auch wenn die Gesellschaft hier aktuell immer noch sehr tolerant und durch die Masse an Postings in der Rechtsverfolgung in der Regel überfordert ist, ist dies alleine kein wirksamer Schutz, wie der aktuelle Fall zeigt.

Autor: Andi Goral