Oberbürgermeisterin Henriette Reker lud die Gewerkschaftsvertreter zum Pressegespräch ins Rathaus ein. „Sicherlich wird sich durch die Krise einiges im System ändern“, prognostizierte Reker. Manchmal brauche es einen Tiefpunkt, um einen Lerneffekt zu erzielen. Sie appellierte dazu den Europa-Gedanken durch die Krise nicht aufzugeben. Sie hoffe, dass sich die BRD nicht abschottet.

Gerade im Niedriglohnsektor reicht das Kurzarbeitergeld nicht mehr zur Existenzsicherung. Das berichteten Vertreter verschiedener Gewerkschaften bei einer Pressekonferenz im Rathaus und fordern eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes. Oberbürgermeisterin Reker teilte mit, dass der Arbeitnehmer-Empfang in diesem Jahr verschoben werde und nicht zum geplanten Termin stattfinden wird.

Man habe derzeit gelegentlich den Eindruck, dass die Aufrechterhaltung der Gesellschaft nur noch von Krankenschwestern, Pflegern, LKW-Fahrern und Supermarkt-Kassiererinnen gestemmt werde, sagte der Vorsitzende des DGB Köln Witich Roßmann. Dabei seien 75% aller Arbeitnehmer nach wie vor in vollem Umfang beschäftigt und leisteten größtenteils „mehr als unter normalen Bedingungen“. Auch das Arbeiten im Homeoffice offenbare sich entgegen der landläufigen Meinung als „harte Arbeit“ sei – gerade, wenn gleichzeitig Kinder betreut werden müssten.

Problematisch sei, dass Menschen in ohnehin schlecht bezahlten Berufen, deren Lohn nur zur Existenzsicherung reiche, nun durch Kurzarbeit nur noch 60 Prozent des Nettogehaltes bekommen. Auch der hohe Anteil an Solo-Selbständigen offenbare sich durch die Krise – vorher sei diese Zahl durch die gute wirtschaftliche Situation „verdeckt“ gewesen. Nun erfahre der Begriff der „Daseinsvorsorge“ im Sinne eines sozialen Lastenausgleichs wieder an Aktualität. „Die Zeit des `Sozialexperimentes`, das alle neugierig betrachten, ist vorbei!“, so Roßmann. Nun gelte es für Arbeitnehmer, die von der vollständigen Schließung ihrer Betriebe betroffen seien, nach Lösungen, zu suchen die neue Perspektiven böten.

Zur „ungewissen“ Zukunft des Gastgewerbes äußerte sich die Geschäftsführerin der Gewerkschaft Nahrung, Genuss und Gaststätten Mania Wiesner. Während in der Lebensmittelbranche durch die Krise noch mehr Bedarf an Personal herrsche, stünde die Gastronomie, insbesondere die Systemgastronomie vor großen Schwierigkeiten. Sogar bei großen Hotelketten herrsche derzeit „Verunsicherung und Angst“.

Die Hoffnung, dass Bundesarbeitsminister Hubertus Heil eine Erhöhung des Kurzarbeitergeldes durchsetzt, äußerte auch Dieter Kolsch von der IG Metall Köln. Besonders die Zulieferindustrie seien von der Krise stark betroffen: allein in Köln sei in 37 Zulieferer-Betrieben derzeit auf Kurzarbeit umgestellt worden. Eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes fördere letztendlich auch die für die Wirtschaft nun so notwendige Kaufkraft.

In der Dienstleistungsbranche zeige sich ein „extrem geteiltes Bild“, berichtete Daniel Kolle, Geschäftsführer der Dienstleistungsgesellschaft Verdi in Köln. Auch er sprach sich für eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes auf 90 bis 95 Prozent des ursprünglichen Lohns aus.

Der DGB-Geschäftsführer Köln/Bonn Jörg Mehrle lobte unterdessen die Leistung der Angestellten von Jobcenter und Arbeitsagentur, die momentan sehr viel leisteten. Die Frage sei jedoch, wer anschließend den Deckel zahle und plädierte für einen Lastenfinanzausgleich. Trotz der Absage der Demonstrationen zum 1. Mai, hatte der DGB-Geschäftsführer jedoch auch eine gute Nachricht mit dabei: die Demonstrationen zum 1. Mai werden zwar nicht auf der Straße, dafür aber digital mit einem Livestream, Gesprächen, Interviews und „Solidaritätsbotschaften aus ganz Deutschland“ auf dgb.de/erstermai stattfinden.

Autor: Julia Katharina Brand
Foto: Reker mit den Kölner Gewerkschaftsvertretern im Gespräch