Leipzig | aktualsiert | Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am Dienstag Fahrverbote in den Städten möglich gemacht – allerdings sei bei der Prüfung von Verkehrsverboten für Diesel-Kraftfahrzeuge die Verhältnismäßigkeit zu beachten. Unionsrecht und Bundesrecht verpflichteten dazu, durch in Luftreinhalteplänen enthaltene „geeignete Maßnahmen“ den Zeitraum einer Überschreitung der seit 1. Januar 2010 geltenden Grenzwerte für NOso kurz wie möglich zu halten. Damit bestätigte das Bundesverwaltungsgericht weitestgehend die Urteile der Vorinstanzen in Stuttgart und Düsseldorf – bis auf Details: Das Bundesrecht lasse zonen- oder streckenbezogene Verkehrsverbote speziell für Diesel-Kraftfahrzeuge nicht zu. Die Verwaltung der Stadt Köln kommentiert das Leipziger Urteil so: „Das Urteil gibt der Stadt Köln Hinweise auf mögliche Handlungsoptionen, die verwaltungsintern und im Dialog mit dem Rat und der Bezirksregierung geprüft, bewertet und festgelegt werden.“

Mit ersten Stimmen aus der Köln von der Handwerkskammer, die jetzt selbst Umweltgifte messen will, der Industrie- und Handelskammer Köln und den Kölner Bundestagsabgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen Katharina Dröge und Sven Lehmann und der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker.

Stattdessen müsse sich der Erlass von Verkehrsverboten an der sogenannten „Plakettenregelung“ orientieren. Für Stuttgart hatte das Verwaltungsgericht bereits festgestellt, dass lediglich ein Verkehrsverbot für alle Kraftfahrzeuge mit Dieselmotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6 sowie für alle Kraftfahrzeuge mit Ottomotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 3 in der Umweltzone Stuttgart eine geeignete Luftreinhaltemaßnahme darstelle. Zur Herstellung der Verhältnismäßigkeit dürften Euro-5-Fahrzeuge jedoch nicht vor dem 1. September 2019, also vier Jahre nach Einführung der Abgasnorm Euro 6, mit Verkehrsverboten belegt werden, so die Leipziger Richter am Dienstag.

Darüber hinaus bedürfe es hinreichender Ausnahmen, z.B. für Handwerker oder bestimmte Anwohnergruppen (AZ 7 C 26.16 – Urteil vom 27. Februar 2018). Aus der Bundesregierung war aber ohnehin schon bekannt geworden, dass eine bundesweite Rechtsgrundlage zur Anordnung von streckenbezogenen Fahrverboten bei einer zu hohen Abgasbelastung in den Städten kommen soll. „Es soll eine neue Rechtsgrundlage zur Anordnung von streckenbezogenen Verkehrsverboten oder -beschränkungen zum Schutz der menschlichen Gesundheit vor Feinstaub oder Abgasen (Stickstoffdioxid) in der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) geschaffen werden“, schrieb das Bundesverkehrsministerium in der Antwort auf eine schriftliche Frage des Grünen-Abgeordneten Matthias Gastel.

Die „Rheinische Post“ berichtete bereits am Wochenende darüber. „Die Regelungen könnten bereits Eingang in die nächste StVO-Novelle finden, die derzeit im Hinblick auf die Schaffung von Parkbevorrechtigungen für das Carsharing erarbeitet wird und noch in diesem Jahr abgeschlossen werden soll“, heißt es in der Antwort.

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Und das sagen Kölner Institutionen:

Industrie und Handelskammer Köln bedauert Gerichtsentscheidung

„Mit großem Bedauern haben wir die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts für ein Diesel-Fahrverbot zur Kenntnis genommen“, sagt Ulf Reichardt, Hauptgeschäftsführer der IHK Köln. Die Wahrscheinlichkeit, dass auch in Köln ein Diesel-Fahrverbot umgesetzt wird, ist damit sehr groß. „Wir sprechen uns weiterhin gegen ein generelles Diesel-Fahrverbot oder eine flächendeckende Blaue Umweltzone in Köln aus“, ergänzt Dr. Ulrich Soénius, stellv. Hauptgeschäftsführer und Geschäftsbereichsleiter Standortpolitik der IHK Köln. „Wir müssen dafür sorgen, dass der Wirtschaftsverkehr und der ÖPNV gesichert bleiben. Das hat nun oberste Priorität.“

Handwerkskammer Köln will selbst die Stickoxide messen

„Fahrverbote für Dieselautos in Köln und Bonn würden unsere Unternehmen in der ganzen Region treffen. Auch die Betriebe aus dem Umland sind von den Aufträgen in den Metropolen abhängig. Wenn sie mit ihren Fahrzeugen nicht mehr zu ihren Kunden in den Cities kommen, wird es zu empfindlichen Beschäfti-gungs- und Umsatzeinbußen kommen,“ sagt Dr. Ortwin Weltrich, Hautpgeschäftsführer der Handwerkskammer zu Köln und weiter: „Selbst wenn es für Firmenfahrzeuge Ausnahmegenehmigungen geben sollte, wird es in den Betrieben zu Problemen kommen. Viele der rund 75.000 im Kölner und im Bonner Handwerk Beschäftigten würden mit ihren Autos nicht mehr zur Arbeit kommen können. Dieselfahrverbote dürfen nur für die Straßenabschnitte, in denen es zu massiven Überschreitungen des Stickoxidgrenzwertes kommt, ausgesprochen werden, nicht für ganze Innenstädte. Wir werden auch deshalb die seitens des Landesamtes für Natur-, Umwelt- und Ver-braucherschutz NRW (LANUV NRW) ermittelten Stickstoffdioxidwerte an ausgewählten Hotspots in Köln durch Eigenmessungen validieren.“

Wolfgang Reß, Geschäftsführer von Arbeitgeber Köln e. V., plädiet für Übergangslösungen und Ausnahmeregelungen: „Wir sind alle daran interessiert, die Luft in unseren Städten zu verbessern. Doch wir dürfen dabei nichts übers Knie brechen. Otto Normalverbraucher kann sich nicht jedes Jahr ein neues Auto leisten. Und auch mancher Handwerksbetrieb kommt in große Not, wenn er von jetzt auf gleich seine Dieselflotte ersetzen oder nachrüsten muss. Wer ein geändertes Mobilitätsverhalten der Bürger erreichen möchte, muss auch gute Alternativen zum Auto anbieten. Auch muss zum Beispiel durch sinnvolle Ampelschaltungen dafür gesorgt werden, dass der Autoverkehr in der Stadt „flüssiger“ läuft, um die Luftqualität zu verbessern.“

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Das sagen Kölner Politiker

Die Kölner Bundestagsabgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen Katharina Dröge und Sven Lehmann: „Dieses Urteil ist die Quittung für die Untätigkeit der Bundesregierung. Jahrelang hat sie es nicht geschafft für saubere Luft zu sorgen. Das hat auch in Köln dazu geführt, dass Bürgerinnen und Bürger dreckige Luft atmen müssen. Die Grenzwerte müssen jetzt endlich eingehalten werden. Um Fahrverbote zu verhindern brauchen wir Nachrüstungen auf  Kosten der Hersteller und die blaue Plakette.“

Oberbürgermeisterin Henriette Reker: „Es ist bedauerlich, dass das Gericht unsere Forderung nach einer Blauen Plakette nicht aufgegriffen hat. Das AVISO-Gutachten aus dem Januar hat uns verdeutlicht, dass wir ohne Fahrbeschränkungen dem Gesundheitsschutz unserer Bürgerinnen und Bürger nicht gerecht werden. Diese müssten aber nicht nur gerichtlich erlaubt, sondern auch praktikabel kontrollierbar sein. Daher sind wir ganz unabhängig vom Urteil bereits dabei, die beschlossenen Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität umzusetzen.“

Andreas Pöttgen, verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Ratsfraktion: „Nun rächt sich endgültig, dass das Problem der Luftverschmutzung jahrelang nicht wirkungsvoll bekämpft wurde. Tausenden Kölnerinnen und Kölnern droht quasi die Zwangsenteignung – vom Schaden für die Wirtschaft ganz zu schweigen. Pauschale Fahrverbote für Dieselfahrzeuge sind unsozial und schädlich, besonders für die vielen Handwerksbetriebe und kleinen Unternehmen.“

Wilfried Becker, umweltpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion: „Es geht um die Gesundheit der Kölnerinnen und Kölner. Wäre die Stadtverwaltung in der Vergangenheit aktiv geworden, stünden Fahrverbote jetzt vermutlich überhaupt nicht zur Debatte.“ Besonders für das stark belastete Mülheim hatte die SPD-Fraktion konkrete Maßnahmen erarbeitet: schnellstmöglicher Einsatz von E-Bussen, veränderte Streckenführung für LKW-Transitverkehr oder Pförtnerampeln im Bereich der Stadtgrenze an der Bergisch-Gladbacher Straße – alles kurzfristig umsetzbare Lösungen, denen sich CDU und Grüne bislang verweigert haben.“

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Das sagen Bundespolitiker

Diesel-Urteil: Hofreiter sieht Schuld bei Bundesregierung
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter hat der Bundesregierung nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts über die Zulässigkeit von Diesel-Fahrverboten jahrelange Untätigkeit vorgeworfen. „Das Urteil belegt, dass die Bundesregierung über Jahre die Hände in den Schoß gelegt hat“, sagte Hofreiter der „Rheinischen Post“ (Mittwochsausgabe). „Jetzt muss vor allem die Bundesregierung handeln. Die Bundesregierung muss den Kommunen endlich eine blaue Plakette an die Hand geben“, sagte Hofreiter. „Außerdem muss sie endlich die Nachrüstung dreckiger Dieselfahrzeuge auf Kosten der Autoindustrie durchsetzen“, sagte der Grünen-Politiker. „Darüber hinaus brauchen wir eine mutige und weitsichtige Offensive für Bus und Bahn.“
Unterdessen bezeichnete FDP-Chef Christian Linder Fahrverbote als falschen Weg. „Seit Jahren haben Politik und Verwaltung den Bürgern und Betrieben die Anschaffung von Dieselfahrzeugen fast aufgedrängt“, schrieb Lindner auf Twitter. „Wenn ihre Nutzung jetzt verboten wird, dann ist das kalte Enteignung und Wortbruch in einem.“

Hendricks will zügig Konsequenzen aus Diesel-Urteil ziehen

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD)will nach dem Diesel-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts möglichst schnell Maßnahmen ergreifen. „Wir werden jetzt mit den Ländern und Kommunen schnellstmöglich besprechen, welche Konsequenzen aus diesem Urteil zu ziehen sind“, sagte die SPD-Politikerin am Dienstagnachmittag in Berlin. Es gehe jetzt darum, gerade den belasteten Städten alle Unterstützung zu bieten.

Hendricks machte deutlich, dass das Gericht „keine Fahrverbote verhängt, aber Rechtsklarheit geschaffen“ habe. „Mein Ziel ist und bleibt, dass Fahrverbote möglichst nie in Kraft treten müssen“, fügte die geschäftsführende Bundesumweltministerin hinzu. Bundesverkehrsminister Christian Schmidt (CSU) äußerte sich ähnlich: „Das Gericht hat bei seinem Urteil sehr hohen Wert auf die Wahrung der Verhältnismäßigkeit gelegt“, sagte der CSU-Politiker.

Damit habe es sehr hohe Hürden für die mögliche Anordnung von kommunalen Fahrverboten gelegt. Zuvor hatte sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu dem Diesel-Urteil geäußert. Man werde das Urteil der Leipziger Richter zunächst genau prüfen, sagte Merkel in Berlin.

Außerdem werde man mit den Kommunen und den Ländern in ein Gespräch eintreten. „Das Thema Verhältnismäßigkeit spielt in dem Urteil auch eine große Rolle“, fügte die Kanzlerin hinzu. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hatte am Dienstagmittag Diesel-Fahrverbote in den Städten als grundsätzlich zulässig erklärt.

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So interpretiert die Landesregierung NRW das Leipziger Urteil:

Das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz in NRW teilt mit:“Nach nationalem Recht können Dieselfahrverbote nicht erfolgen. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht heute bestätigt. In seinem heutigen Urteil hat es allerdings darauf hingewiesen, dass diese Sperrwirkung des deutschen Rechts durch das Europarecht überwunden werden muss, wenn keine andere Möglichkeit besteht, die Grenzwerte zu erreichen. Insofern wurden die Urteile der Verwaltungsgerichte Düsseldorf und Stuttgart abgeändert. „Diese Entscheidung schafft Rechtssicherheit, bedeutet aber nicht, dass jetzt in Düsseldorf und anderen Städten, in denen die Luftqualitätsgrenzwerte überschritten werden, Fahrverbote angeordnet werden. Dies kann, darin hat uns das Bundesverwaltungsgericht bestätigt, nur die Ultima Ratio sein“, sagte Umweltministerin Christina Schulze Föcking anlässlich des Urteils.“

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Weitere Stimmen aus Deutschland

Spediteure: Innenstadt-Versorgung durch Diesel-Urteil gefährdet

Der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) hat vor den Folgen der Fahrverbots-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gewarnt. „Sollten die Kommunen das Urteil jetzt als Grundlage für weitere Verkehrsbeschränkungen nutzen, werden Speditionen und Paketlogistiker trotz moderner Fahrzeugflotten ihren Versorgungsauftrag für den innerstädtischen Handel und die Wohnbevölkerung kaum noch erfüllen können“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Frank Huster, dem „Handelsblatt“ (Mittwochsausgabe). „Mit einem solchen Schritt würden heute noch vitale Kommunen zu ihrer eigenen Verödung beitragen.“

Händlerstrukturen sowie Verkehrsströme würden dann im schlechtesten Fall nur in die außerstädtischen Peripherien verlagert. Huster forderte Ausnahmeregelungen etwa für Euro-5-Lieferfahrzeuge. „Bis zur seriellen Fertigung alternativ angetriebener und bezahlbarer Fahrzeugflotten – einschließlich flächendeckender Tank- und Ladeinfrastruktur – kann das Diesel-Lieferfahrzeug nicht von heute auf morgen den Versorgungsprozessen von Handel und Bevölkerung entzogen werden“, sagte der DSLV-Hauptgeschäftsführer.

Ohne Ausnahmen für die Lieferlogistik werde es deshalb nicht gehen. Huster gab zudem zu bedenken, dass Dieselfahrzeuge, die heute in der City-Logistik eingesetzt werden, bereits „überwiegend sehr hohe Emissionsstandards“ erfüllten. Sollte es jetzt zu Diesel-Fahrverboten in Stadtzentren kommen, drohten daher nicht nur Versorgungsengpässe. „Technisch hochwertige und bereits emissionsarme Diesel-Fahrzeuge jüngerer Generationen würden unmittelbar entwertet“, warnte Huster. „Damit würde der Verkehrsbranche für die Anschaffung von Neufahrzeugen benötigtes Kapital entzogen.“

Autor: dts