Die Ausstellung der Berliner Gedenkstätte „Topographie des Terrors“ eröffnet den Blick auf weitgehend unbekannten Fotographien und zeigt nicht die Dokumente der NS-Propaganda, sondern die Sicht jüdischer Fotographen, die selbst im Ghetto gefangen und täglich vom Tod bedroht waren. „Sie dokumentieren die Spannung zwischen der ausweglosen Situation der Betroffenen und ihrem Bemühen, ihre Würde zu erhalten und so lange wie möglich zu überleben“, erklärte Werner Jung, Direktor des NS-Dokumentationszentrums. Dass die Leidensgeschichte der Opfer des NS-Terrors im Ghetto Litzmannstadt (pol. Łódź) erst jetzt auf diese Weise präsentiert werde, sei verwunderlich, so Jung. Denn aus dem Ghetto seien rund 12.000 Negative und Abzüge erhalten. Die Innenansicht auf das Leben der Verschleppten und die Zeugnisse des Überlebenswillens existierten heute nur, weil es neben dem geheimen Fotographien im Ghetto auch den klaren Auftrag zur Dokumentation gab, berichtete Karola Fings, die die Ausstellung betreut. Die Jüdische Verwaltung hätte sich im Dritten Reich stets bemüht die Wirtschaftlichkeit der jüdischen Verschleppten in den Ghetto zu beweisen. Man erhoffte sich dadurch Rettung, dass das effiziente Arbeiten der Gefangenen das Ghetto selbst finanziere und der „Judenrat“ war stets bemüht diesen Umstand zu verdeutlichen. Dazu waren Fotographien nötig. Die Notwendigkeit des Erstellens von Passbildern und Verwaltungsfotographien war ein weiterer Grund dafür, dass die Fotographen weiter ihrer Arbeit nachgehen konnten.

Photographien aus dem zweitgrößten Ghetto der Nazis
Das Ghetto Litzmannstadt im deutsch besetzten Łódź war das am längsten bestehende Ghetto und nach dem Warschauer Ghetto das zweitgrößte. Im Oktober 1941 gelangten in zwei Transporten auch etwa 2.000 Kölner dorthin. Von ihnen sollten nur 24 überleben. Bereits ein Jahr zuvor lebten 160.000 polnische Juden auf dem 4 Quadratkilometer großen Areal im Zentrum der Stadt. Weitere 20.000 Männer, Frauen und Kinder aus Prag, Wien, Luxemburg sowie Berlin, Düsseldorf, Frankfurt und Hamburg wurden binnen weniger Monate ebenfalls dorthin verschleppt. Dass heute derartig einfühlsame und würdevolle Fotographien aus diesem Ghetto vorlägen, sei den großteils unbekannten Photographen zu verdanken, so Jung. Einer der wenigen bekannten war Mendel Grosman (1913–1945). Der in den 1930er Jahren anerkannte Photograph konnte noch im August 1944, unmittelbar vor der Liquidation des Gettos, 10.000 Negative auf dem Gettogelände verstecken. Er selbst wurde am 16. April 1945 beim Todesmarsch ins Konzentrationslager Sachsenhausen erschossen. Seine Bilder wurden gefunden, jedoch gingen sie, nachdem sie nach Palästina gebracht wurden, dort im Unabhängigkeitskrieg größtenteils verloren. Heute existiert nur ein Bruchteil seines Werkes in verschiedenen Archiven und Museen.


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Das Leben der Kinder und der Arbeitsalltag
Nach einem Überblick über den Ort des Ghettos, die Photographie als historische Quelle und die einzelnen bekannten Photographen widmet sich die Ausstellung den zahlreichen Werken, die verschiedenste Szenen aus dem Ghetto einfangen konnten. Der Schwerpunkt der zu sehenden Bilderauswahl ist dabei dem Leben der Kinder und dem Arbeitsalltag gewidmet. Endlich gelinge es, den Opfern ein Gesicht zu geben, erklärte Jung. Tatsächlich sind vor allem die Aufnahmen der Kinder in Litzmannstadt besonders aufwühlend. Da viele dieser Fotos geheim aufgenommen wurden und keiner NS-Propaganda geschuldet sind, erscheinen die Momente sehr pur und bisweilen freudig und unbeschwert. Die Kinder erwecken den Eindruck, sich gar nicht in einem Ghetto zu befinden. Die Aufnahmen aus der Lebenswelt reichen von Wohnungsaufnahmen bis zur schlussendlichen Liquidierung und Auflösung des Lagers. Dazwischen wird der Besucher Teil des Arbeitsalltages und erfährt, wie die Gefangenen für die deutsche Industrie und Wehrmacht produzierten, nähten und gerbten. Die 65 Ausstellungsstücke, darunter viele großformatigen Aufnahmen, kreieren eine wirkmächtige Momentaufnahme aus dem Ghetto und der Besuche erhält eine Vorstellung wie eng, schmutzig und düster die Opfer ihre Tage verbrachten.


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Auftakt zu einer weiteren Ausstellungen und drei Veranstaltungen
Mit „Das Gesicht des Gettos“ beginnt ein Ausstellungszyklus, der anlässlich des 70. Jahrestages dieser Deportationen im NS-Dokumentationszentrum gezeigt wird. Ab Anfang Oktober wird eine zweite Ausstellung mit dem Fokus auf die aus Rheinland deportierten Juden zu sehen sein. Die vor 70 Jahren am 22. und 23 September begonnene Verschleppung von ca. 1.000 Kölnern ist Anlass zu einer von drei Gedenkveranstaltungen, die bis Dezember fortgeführt werden.

Infobox „Das Gesicht des Ghettos“
Die Neue Wechselausstellung des NS-Dokumentationszentrums mit dem Untertitel „Bilder jüdischer Photographen aus dem Ghetto Litzmannstadt 1940–1944“ ist vom 13. Juli – 4. September 2011 erstmal in Köln zu sehen und wurde von der Berliner Gedenkstätte „Topographie des Terrors“ konzipiert.



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